1/ GEGNERINNEN DER BURKA-INITIATIVE: WIR MÜSSEN REDEN: Nicht über das Nein, aber über das Campaigning – ein Thread (ein langer, sorry).
2/ Es gibt wirklich viele gute Gründe, die Initiative abzulehnen. Zum Bsp, dass wir es zwar angenehmer finden, wenn wir von Personen, denen wir in der Öffentlichkeit begegnen, das Gesicht sehen können, sich daraus kein Recht ableiten lässt, niemandem Unverhüllten zu begegnen.
3/ Oder dass es in einer Zeit, in der dank Videoüberwachung und Gesichtserkennung ein ziemlich lückenloses Verfolgen uns aller technisch simpel, billig und schnell geworden ist, legitime Gründe geben kann, nicht überall und jederzeit erkannt zu werden.
4/ Und natürlich darf und soll darauf hingewiesen werden, dass die Initianten als Kämpfer für Frauenrechte durch und durch unglaubwürdig sind.
5/ Aber viele, die aktiv für ein Nein votieren, versuchen oft mit ganz anderen Beiträgen zu überzeugen. Etliche davon sind problematisch – und für die Nein-Kampagne wohl kontraproduktiv.
6/ Da ist zunächst einmal das Argument, das Verbot dränge diejenigen Frauen, die zum Niqab gezwungen werden, aus der Öffentlichkeit. Natürlich: die Gefahr besteht. Das Argument wirkt aber schnell ziemlich empathielos.
7/ Hört denn die gesellschaftliche Verantwortung wirklich auf, wenn wir den Frauen dieses Bisschen Restfreiheit gewähren? Fragt man nach, heisst es in der Regel, Emanzipation könne man nicht erzwingen, der Schritt müsse schon von den Frauen selbst kommen.
8/ Beim Thema häusliche Gewalt herrscht (ausser vielleicht im Umfeld der Initianten) doch der Konsens, dass der Staat auch eine Verpflichtung gegenüber denjenigen Frauen hat, die es nicht aus eigener Kraft schaffen, ihrer Situation zu entkommen.
9/ Die unterdrückte Niqab-Trägerin scheint in der Nein-Kampagne allerdings eher ein Schattendasein zu fristen. Viel lieber erzählt man (meistens "mann") von der selbstbestimmten Konvertitin, die den Niqab nun wirklich freiwillig trage.
10/ Man(n) verweist auf Interviews und Studien, die zeigen, dass in Europa diese Gruppe dominiere. Gern vorgebracht werden das (kaum ergebnisoffen geführte) Interview von Tunger-Zanetti und die Arbeit der Soziologin de Féo.
11/ Es ist aus soziologischer Sicht selbstredend durchaus richtig, solche Porträts zu erstellen.
12/ Man sollte sich aber im Klaren sein, dass eine Kampfniqabträgerin in aller Regel viel mitteilungsfreudiger sein dürfte und viel eher den Freiraum hat, sich von Fremden interviewen zu lassen, als eine Frau, deren familiäres Umfeld sie zum Niqab zwingt.
13/ Dieser Bias ist bei dieser Form von empirischer Forschung kaum aus den Daten wegzukriegen. Dessen sollte man sich bewusst sein, wenn man solche Forschungsergebnisse ins Feld führt.
14/ Und man sollte auch die Offenheit haben, dort hinzusehen, wo es keine Verhüllungsverbote, aber grosse erzkonservative muslimische Gemeinschaften gibt.
15/ @ElhamManea zeigt in ihrem Buch "Women and Sharia Law" deutlich, wie in Grossbritannien eine sehr permissive Haltung des Staates extrem misogyne Praktiken begünstigt.
16/ Die Konvertitinnen, die den Niqab eher zum virtue Signalling an potentielle fromme Partner überziehen, sind eine Realität. Man darf sie also in der Debatte selbstredend ins Spiel bringen.
17/ Was aber unverantwortlich ist: den Niqab als Pop-Utensil zu verklären. Er wird heutzutage ausschliesslich von radikal-muslimischen Gruppierungen propagiert. Er lässt sich nicht aus diesem islamofaschistischen Kontext lösen.
18/ Am revisionistischen Versuch, ihn als Gegenstand des Mainstream-Islam erscheinen zu lassen, können eigentlich nur zwei Seiten Interesse haben:
19/ - die Initianten, die implizit die ganze Religionsgemeinschaft ins Visier nehmen wollen, und
- die muslimischen Extremisten, die ihre Normen als bindend für die ganze Umma darzustellen versuchen.
20/ Ich kann wirklich nicht nachvollziehen, wieso Gegner der Vorlage so bereitwillig in diese Falle tappen.
21/ Sie gehen aber noch weiter, sie versuchen den Niqab als gleichbedeutend zu einem Mini-Jupe, einem Kostüm oder einer Tracht darzustellen – Kleidungsstücke, die fallweise an- oder ausgezogen werden.
22/ Am weitesten geht @operationlibero mit ihrem Wimmelbild, in der eine Niqabträgerin inmitten von Personen in Superheldenkostumen und ähnlichen Outfits steht.
23/ Dass das noch mit dem Titel "Freiheit: für alle was anderes" verziert wird, schlägt dem Fass den Boden aus.
24/ Der Versuch, dieses Symbol der Unfreiheit und der Entidentifizierung als Zeichen der Ermächtigung und der Selbstbestimmung zu verklären, ist nicht weniger jenseits als wenn Querdenker Plakate mit "impfen macht frei" hochhalten.
25/ Es ist eine unzulässige und unerträgliche Dekontextualisierung.
26/ Interessanterweise fehlt auf dem Operation-Libero-Wimmelbild die Ku-kux-Klan-Kutte, obschon OL-Sprachrohr @schlegel_stefan betont, dass er sich auch für das Tragendürfen von KKK-Uniformen stark machen würde.
27/ Natürlich muss man sich – und da hat @schlegel_stefan Recht, die Weltanschaung hinter dem Symbol nicht zu eigen machen, wenn man dieses nicht verbieten will. Aber der KKK-Vergleich zeigt, wie schnell die Diskussion kulturrelativistisch wird.
28/ Bei der KKK-Kutte würde das Publikum, auf das @operationlibero abzielt, kaum bejahen, dass sich dahinter eine legitime Haltung verbirgt. Man versteht die rechtsradikale Botschaft und versucht sie nicht schön zu reden.
29/ Diese Verklärung der Niqab-Symbolik und das ständige Oszillieren zwischen der unterdrückten Trägerin, die ihre Restfreiheiten verlieren würde, und der Punkniqabträgerin, die den Überwurf für ihr Selbstempowerment benötigt, schadet der Kampagne – davon bin ich überzeugt.
30/ Für liberale und Ex-MuslimInnen ist der Versuch, den Niqab zu normalisieren, nur schwer zu ertragen. Ich vermute aufgrund von Gesprächen, dass die muslimisch sozialisierten Stimmberechtigten mehrheitlich ja stimmen werden. (Die VOX-Analyse des @gfsbern wird Klärung bringen.)
31/ Der zweite OL-Dauertwitterer zum Thema, @S_Manser_Egli, betont allerdings, dass ihre Kampagne gar nicht zum Ziel hat, ein Nein-Mehr zu erwirken.
32/ Vielleicht stehen ja vielmehr Virtue signalling an die eigene Blase und Fundraising im Vordergrund…
33/ Hätte ich eine Affinität zu Verschwörungstheorien, würde ich aber wohl vielmehr glauben, die krude OL-Kampagne sei in Wirklichkeit von den Wobmännern finanziert, um im linken Lager möglichst viele Ja-Stimmen rauszuholen…
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Das @BAG_OFSP_UFSP braucht eine neue Leitung – ein dringender Appell!
(Spoiler: Die Meldung neuer Coronavirusfälle erfolgt per Fax.)
Der amitierende @BAG_OFSP_UFSP-Direktor @PStrupler kündigte im Okt 2019 an, er wolle per Sept 2020 abtreten. aargauerzeitung.ch/schweiz/bag-di…
Er macht gelegentlich Retweets von Corona-Meldungen, tritt aber kaum mehr öffentlich in Erscheinung.
Omnipräsent ist dafür Daniel Koch, der Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten. Er fällt in den letzten Tagen vor allem damit auf, dass er an Medienkonferenzen Journalisten, die um Zahlen bitten, vertröstet.