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23 Mar, 19 tweets, 3 min read
Binnen weniger Monate haben die politischen Entscheidungsträger mir mein eisernes Vertrauen in unser föderalistisches, demokratisches Staatswesen restlos zerstört.

Mir geht das an mein Selbstverständnis, mir geht das an die Substanz.
#Ministerpraesidentenkonferenz
Ich habe der Politik bis in den Herbst 2020 hinein ihre Fehler nachgesehen, schließlich war es für alle die 1. Pandemie, und ich bin sicher, dass der Job als politischer Entscheidungsträger bei so etwas sehr schwer ist.
Seit Oktober ändert sich meine Haltung.
Die zweite Welle ist von der Wissenschaft im Vorfeld modelliert worden. Ebenso später die Dritte.

Seit letztem Herbst kann kein Entscheidungsträger sich darauf zurückziehen, er hätte es nicht kommen sehen.
Alle Entscheidungen sind mit Wissen und Wollen getroffen worden.
Und diese Entscheidungen werden von der Politik nicht nach den sachlichen Erfordernissen getroffen, sondern nach egoistischen Kalkülen.

Politiker dürften jetzt nicht mehr Politiker sein, sondern nur
noch Krisenmanager. Sie stehen der Exekutive vor, sie leiten jene staatl. Institutionen, welche diese Krise managen müssen.
All ihr Handeln müsste einzig und alleine auf das Wohlergehen der Gesellschaft im Allgemeinen ausgerichtet sein.
Stattdessen ist ihr Augenmerk zuallererst auf das eigene politische Vorankommen, auf das eigene Wohlergehen gerichtet.
"Welche Entscheidungen schaden meiner politischen Karriere am wenigsten? Was gefährdet meine Wiederwahl möglichst wenig?"
Dass das so ist, merkt man zu allererst an der Kanzlerin, deren politische Karriere selbstbestimmt zu ende geht, und die als erste bereit zu sein scheint, sich auf sachgerechte Entscheidungen zu konzentrieren, während alle anderen mutlos, kraftlos und vor allem
rückgratlos agieren.

Die politischen Entscheidungsträger negieren bewusst wissenschaftliche Erkenntnisse, um keine unbequemen Entscheidungen treffen zu müssen, die unpopulär sein könnten.
Sie treffen irrationale Entscheidungen, um es irgendwie
möglichst vielen recht zu machen oder möglichst wenigen weh zu tun.
Es wird gelogen, untertrieben, übertrieben, rumlaviert, versprochen, was nicht zu halten ist, Überraschung geheuchelt, Unwissenheit vorgegaukelt.
Und dabei wird eines überdeutlich allen vor Augen geführt: Diese Leute können keine ernsthaften Krisen managen - keiner von denen, nicht einer, und das aus einem einzigen Grund: Ihnen fehlt der Mut, notwendige Entscheidungen zu treffen und dann konsequent umzusetzen.
In den vergangenen 12 Monaten ist nicht eine (!) wirklich konsequente, kompromisslose Maßnahme beschlossen worden. Jede Maßnahme wurde von Wischiwaschi-Ausnahmeregelungen flankiert und je weiter die Pandemie
fortschritt, umso weicher wurden die Maßnahmen.
Ich möchte an dieser Stelle an Helmut Schmidt erinnern, der 1977 den Sturm auf die Landshut befahl und währenddessen seine Rücktrittsrede formulierte, für den Fall, dass ein deutscher Staatsbürger zu Tode kommen sollte.
Er war bereit, eine Entscheidung zu treffen, deren Folgen
weitreichender waren, und über seine Person hinaus gingen.
Für ihn ging es in diesem Moment nicht mehr um sich selbst, sondern um seine Verantwortung als Regierungsoberhaupt dieses Landes. Er tat, was seiner Meinung nach getan werden musste, und er war bereit, dafür
Verantwortung zu übernehmen.

Ich will den Schmidt nicht über Gebühr glorifizieren.
Aber wir scheitern, weil wir keine Politiker mehr haben, die über Charakter, Rückgrat und Mut verfügen, und die Politiker, die wir haben, sind mitunter auch noch korrupt bis ins Mark.
Dieses Land hat alle Ressourcen an der Hand, so eine Pandemie bestmöglichst zu bewältigen.
Wir haben die klugen Köpfe, wir haben das Geld und wir haben die Infrastruktur, zu testen, zu impfen, zu isolieren, zu pflegen und zu heilen.
Es ist durch nichts zu entschuldigen, dass wir es nicht schaffen, diese Ressourcen freizusetzen und zu nutzen.
Es ist schwer, nicht den Glauben an die Leistungsfähigkeit dieses föderalen Rechtsstaates zu verlieren, wenn man die letzten Monate betrachtet.
Und welche Daseinsberechtigung hat er, wenn er nicht in der Lage ist, die Menschen, die in ihm leben, bestmöglich zu schützen?
Ob der Politik wohl klar ist, dass ein dezentralisiertes, demokratisches Staatswesen, welches im Ernstfall sich als handlungsunfähig erweist, vom Wähler letztlich durch ein zentralistisch und undemokratisches Staatswesen ersetzt werden wird?
Mit meiner Tirade meine ich ausdrücklich nicht Politiker, wie den Dortmunder OB Westphal. Aber das nur am Rande.

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5 Jul 20
Warum Twitter mir nicht mehr gut tut, ein Thread:
Das Wichtigste zuerst: Meine TL sieht aus wie sie aussieht, weil sie für mich gemacht wird. Sie ist ein Spiegel dessen, was ich hier so lese, like, schreibe.
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Wir wollten uns mit Mett abreiben, hegten einen Fickwunschverdacht oder machten lustige Wortspiele, oder was mit Katzen, was auch immer.
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