28.Juli 1987 21h00: Angriff der Fischwürmer!

An diesem Abend sendet 'Monitor' einen Beitrag zu Fischwürmern (Nematoden) in deutschem Küstenfisch.
Was sich danach abspielt, ist ein Lehrstück in evidenzfreier medialer Massenhysterie.

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'Mehr als zehn Millionen Zuschauer sitzen am 28. Juli 1987 vor dem Fernseher - und ekeln sich. Das ARD-Magazin "Monitor" zeigt in Großaufnahme, wie sich zwei Zentimeter lange Würmer in aufgeschnittenen Speisefischen ringeln.'

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www1.wdr.de/stichtag/stich…
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"Die Innenansicht ist schlimm: Alle zwölf Heringe sind von Wurmlarven befallen, vor allem in den Bauchhölen, aber auch im Muskelfleisch. Der Name des Wurms, der sich in das Gewebe einbohren kann: Anisakis - im Volksmund: Heringswurm."

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'Nach der Fernsehsendung sinkt der Fischumsatz in der Bundesrepublik um fast 80 Prozent. Der Fachverband Fischhandel wehrt sich. Die Stiftung Warentest findet bei späteren Fischtests kaum Würmer. Einige Mediziner zweifeln mögliche Gesundheitsschäden bei Verbrauchern an.'

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'Doch "Monitor" hält dagegen: "Wir haben einen (1!) Patienten in der Sendung vorgestellt, der aufgrund dieser Wurmlarven eine schwere Magenoperation durchleiden musste", sagte Autor Thebrath. Daraufhin hätten sich nach der ersten Sendung 40 (!) weitere Betroffene gemeldet.
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Das Presseecho in den folgenden Tagen führte bei Fischhändlern zu Umsatzrückgängen von bis zu 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Von August bis Dezember 1987 ging der Fischverbrauch um gut 25 Prozent zurück.

fischmagazin.de/newsartikel-se…
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Ich war damals Frischfisch-Einkäufer einer Handelskette. Zwei Tage nach der Sendung rief eine große Zeitung an. Ich gab vorsichtig die (korrekte) Auskunft, daß Würmer seit Millionen von Jahren in Fischen sind und auch bei größter Sorgfalt mal einer durchrutschen könne.

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Daheim angekommen bekam ich eine Panikattacke. Was würden sie schreiben? Am nächsten Morgen um 6h stand ich am Kiosk, um mit zittrigen Händen die Zeitung zu kaufen. Oh Glück, der Redakteur war sachlich und hatte anderswo Gleiches recherchiert.

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Im weiteren Verlauf gab es tage- und wochenlang kaum ein anderes Thema in den Medien. Die deutsche Fischindustrie musste bis zum Jahresende etwa 140 Arbeitsplätze abbauen. Ein absolut gesundes und wichtiges Lebensmittel geriet nachhaltig in Verruf.

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Die Politik konnte da nicht untätig bleiben, die völlig verstörte Bevölkerung erwartete nun ein hartes Durchgreifen.
'Der Gesetzgeber erlässt eine strengere Fisch-Hygiene-Verordnung: Spezielle Leuchttische und Schnitttechniken werden Pflicht.'

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Würmer unter der Haut oder im Körper sind eine Urangst des Menschen, als Kinder erzählten wir uns Gruselgeschichten davon.
Und auch die Qualitätsmedien greifen das Thema regelmäßig auf.

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t-online.de/gesundheit/id_…
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Es dauerte etwa zwei Jahre bis die Menschen alles vergessen hatten und der Fischkonsum wieder zum alten Niveau zurückkam.
Nachtrag:
Selbst heute noch stuft Twitter Fischwürmer als 'sensibles Material' ein 🤡

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