#twlz #digitalität Der Shitstorm deutscher AbiturienT*innen auf den Insta- und Twitterfeeds von NYT-Autor Farhad Manjoo, nachdem eine Kolumne von ihm im NRW-Englisch-LK-Abit drankam, sagt einiges über die Kultur der Digitalität aus und wie sie gelehrt wird. Ein Thread.
Zunächst mal: Ja, es ist ein Shitstorm, auch wenn manche der dort Postenden eine Ausrede bringen, die ein ziemlich verlässlicher Mobbing-Indikator ist: "War doch nur Spaß bzw. Satire (vom #liefers -Service?), und wenn du das nicht chackst, verstehst du das Internet nicht." Es
sind die Abiturient*innen, die Probleme mit den Affordanzen und Anforderungen des Mediums haben.
Zunächst mal: Ja, der Textumfang war unfair. Zwar war bisher rechtlich ein Umfang von 600-800 Wörtern für den LK vorgegeben und dieser wurde für 2021 auf 1000 Wörter max. erhöht (der
Text von Manjoo hat 923 Wörter) - aber in den vergangenen Jahren waren die LK-Texte meist nur 500-600 Wörter lang. Diesmal war auch der andere Text über 900 Wörter, der dritte ein Gedicht. Ärger der SuS also durchaus berechtigt, zumal in Pandemiezeiten.
Was dann geschieht, ist aber durchaus interessant: Einzelne SuS stoßen im Netz auf die Insta- und Twitteraccounts des Autors und stellen offenbar äußerst schockiert fest, dass ihr Abitext von einem realen Menschen und für ein echtes, interessiertes Publikum von Tausenden
geschrieben wurde. Offenbar verhindert auch die Tatsache, dass unter den normaler Weise im Unterricht bearbeiteten Texten ein Link zu einer Zeitung, einem Blog etc. steht, dass SuS glauben, dass all diese Texte letztlich von Schulbuchautoren o.ä. stammen - anders ist die
Konsterniertheit der Kommentare nicht zu erklären. Schule ist mit dem echten (d.h. digitalen) Leben harsch kollidiert.
Wasjetzt passiert, ist noch interessanter: Die SuS kommentieren den Text und ihre offenbar beträchtlichen Schiwerigkeiten mit ihm nicht in Medien, auf denen sie
sich üblicher Weise mit anderen SuS austauschen, sondern direkt auf den Seiten von Manjoo (der dies ebenfalls recht konsterniert zur Kenntnis nimmt). Um es vorweg zu nehmen: Sie geben dabei kein gutes Bild ab. Es wird geschimpft, der Autor sei schuld, dass man sein Abi nicht
bekommen werde, er wird bedroht, es kommt sogar die schon arg abgehangene Frage auf, ob er selbst überhaupt die zu analysierenden Aspekte seines Textes intendiert habe (offenbar mit dem Schluss, dass, wenn er das nicht getan habe, diese auch nicht analysiert werden könnten, ein
zähes Thema zahlloser Deutsch- und Englisch-LK-Diskussionen seit Jahrzehnten).
Das Interessante ist dabei, dass ein Großteil dieses Shitstorms jetzt aber auf Deutsch stattfindet: Die SuS sind sich offenbar gar nicht bewusst, dass sie in den Feeds eine amerikanischen Journalisten
mit Tausenden (zumeist wohl englsichsprachigen) Followern sind, und was es für ein Licht auf sie wirft, dass sie offenbar trotz 12 Jahren Englischunterricht und 1,5 Jahren Englisch-LK) nicht gewillt oder in der Lage sind, hier 280 Zeichen auf Englisch abzusondern. Ganz sicher
greift man zu kurz, wenn man das nur auf mangelnde Sprachbeherrschung zurückführt. Vielmehr zeigt sich hier, dass außer den Affordanzen eines Mediums (der Journalist war leicht zu finden, man kann ihn mit Sprache oder Memes beschimpfen) auch Anforderungen hinzukommen, will man
erfolgreich in einer Kultur der Digitalität bestehen.
Aber auch der Inhalt der Replies ist hier bezeichnend: Natürlich kann ich in einem Fall wie diesen die Feeds des Autors nutzen, um mich selbst witzig oder geistreich darzustellen - durch eine clevere Antwort, ein Meme, ein GIF
etc. Den meisten der Antwortenden fällt aber angesichts ihrer plötzlichen Begegnung mit dem Autor nicht mehr ein als ein bisschen übe das eigene Scheitern an dem text zu jammern und zu beklagen wie schwer er gewesen sei - oder halt auf Manjoo zu schimpfen. Wer aber digital
publiziert, muss auch performen - ein schwaches Post fällt wie eine Schrankwand auf den Postenden zurück. Zurecht wird im 'twlz ja gefordert, dass SuS ihre Arbeitsergebnisse auch im Netz publizieren sollen statt sie vor dessen angeblichen gefahren zu schützen. Beim Englisch-Abi
wurde dieses Jahr deutlich, worin diese Gefahren tatsächlich liegen - nicht in der viel beschworenen endlosen Aufbewahrungszeit von Fotos und Filmen, nicht im Stalking von bösen Kinderschändern, sondern in der Option, sich ganz selbst gewählt zu blamieren.
*verhindert [...] nicht, dass

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