Okee, dann erzähle ich mal von #moralischverletzt: Ich habe am WE einen Pat. betreut, der hochbetagt in einer Uniklinik gelandet ist. Frühdienst teilweise 1,5 Stunden nach Dienstschluss noch vor Ort, die Kolleg*innen haben gearbeitet wie verrückt.
Pat. ist seit über einer Woche dort, sieht verwahrlost aus. Unrasiert, verkrustete Ohren, borkiger Mund, staubtrockene Haut, keine Lagerungsmaterialien im und kaum Pflegeutensilien am Bett, wird als unkooperativ beschrieben.
Als ich dem Patienten beim Erstkontakt zu Trinken anbiete, trinkt er drei volle Becher Wasser im Sturz aus. Rasiere ihn, mache Hautpflege, reiche mit viel Ruhe Nahrung an, putze seine Zähne, spreche viel mit ihm, stelle das Radio an, lagere ihn vorsichtig.
Da ich Aushilfe bin, muss ich viele Routineaufgaben des Stammpersonals nicht machen, kann mir also mehr Zeit für die Patient*innen nehmen. Am nächsten Tag ist Patient schon klarer, hält sich beim Umbetten selbst fest, führt beim Essen den Löffel unter Anleitung. Spricht mehr.
Meine Kolleginnen freuen sich, sagen mir, wie gut meine intensive Betreuung dem Patienten tut. Ja, das sehe ich auch, aber ich weiß auch, dass ich am nächsten Tag nicht mehr da bin. Und am übernächsten und an dem Tag danach auch nicht.
Ich gehe nach Hause und heule unter der Dusche. Weil wir keine Zeit haben, Menschen zu pflegen. Keine Zeit haben, sie zum Essen und Trinken anzuleiten, Nahrung in Ruhe anzureichen. Keine Zeit haben, sie in Ruhe umzubetten, ohne ihnen dabei Angst zu machen.
Keine Zeit haben, ihre Haut einzucremen. Keine Zeit haben, regelmäßig ihre Schutzhose zu wechseln. Keine Zeit haben, sie zu mobilisieren oder ihre Arme und Beine zu bewegen. Keine Zeit haben, Fingernägel von Blutresten und Schmutz zu befreien. Keine Zeit haben, zuzuhören.
Es macht mich verrückt, dass wir so oft nur eine menschenunwürdige Pflege anbieten können. Wir sind froh, wenn nebenan niemand verblutet, die notwendigsten Medikamente gegeben werden konnten, der schlimmste Schaden abgewendet werden konnte.
Dieser Patient könnte mein Vater sein, meine Mutter, mein Ehemann. Ich schäme mich für unser Gesundheitssystem. Und halte es mit am Laufen.
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