Ich bin dort aufgewachsen & die Bilder aus #Zwönitz überraschen mich null. Diese Szene ist im Erzgebirge seit Jahrzehnten stabil in der Größe, vernetzt, anschlussfähig, trainiert, gewaltbereit – und verharmlost.
Heute wird öfter gefilmt. Aber geduldet wird sie seit Jahrzehnten.
Wir haben überlegt, was wir anziehen. Weil es sein konnte, dass du den letzten Bus verpasst, 45 Minuten in dein Dorf laufen musst und eben nicht weißt, welcher Kleinwagen mit zu lauten Auspuff und vier Kerlen drin neben dir anhält.
Wir haben Kassetten falsch beschriftet und CDs auf unbeschriftete Rohlinge gebrannt, damit nicht "Die Ärzte" draufsteht, wenn jemand den Walkman oder Discman (hach!) abzieht.
Wir haben uns von unseren Eltern Bomberjacken gewünscht, weil die alle anhatten.
Bei uns stand "Heute is' Fußball" für "lass mal XY schnell noch erledigen" oder "lass lieber morgen treffen".
Wir haben unglaubliche Finesse im Lesen von Menschengruppen in Sekundenbruchteilen entwickelt, weil es kein Fest & keinen Platz gab, wo sie nicht auftauchen konnten.
Wir haben von unseren Eltern, Nachbarn, Lehrern, Verwandten gehört: Die seien bisschen komisch aber schon ok, die täten keinem was, seien ordentlich, kümmerten sich um ihre Sachen, helfen auch mal, machten Sport, seien nicht so verlottert und zögen sich wenigstens ordentlich an.
Wenn man von jemandem hörte, der vermöbelt wurde, und das passierte in einiger Regelmäßigkeit, dann war der Vorwurf ("wer weiß, was der anhatte" / "um die Zeit geht man dort aber auch nicht lang" / "das weiß man aber, dass die sich dort treffen") immer nur einen Satz entfernt.
Was das alles bedeutete, das war uns gar nicht so klar. Wir kannten es nur so. Wir haben uns Laufwege, Zeitpläne, Antworten, Verhaltensmuster unterbewusst gegenseitig antrainiert. War halt so. Und irgendwann war klar: Man macht das jetzt ne Weile mit und irgendwann zieht man weg.
Wenn du gut genug mitgeschwommen bist, unauffällig genug war, dann ist die Erinnerung daran heute blass, weit weggepackt und nicht sonderlich traumatisch. Wenn du früh genug aufrecht warst, ist sie vlt. durchaus sehr traumatisch.
Es gab keine Zivilgesellschaft. Keine starke Gemeinschaft, die Gegendruck erzeugt. Es gab Wegsehen und Dulden. Und keine Lust, sich darum zu kümmern, weil man über ein, maximal zwei Ecken immer jemanden kannte, der selbst in dem Vereinsheim abhing, in dem die Hakenkreuze waren.
Heute filmt immer irgendein Handy mit. Mehr Bilder bedeuten aber nicht: wachsendes Problem. Das war nie weg. Auch, weil die Lokalpolitik (das bedeutet im Erzgebirge immer: die CDU) und ja, auch die Polizei, sich vor vielen Jahren entschieden haben, es mit einhegen zu versuchen.
P.S.
Weil der Hashtag jetzt ein paar Mal kam: Ich hatte das im Kopf gar nicht zusammengebracht, weil es eben so alltäglich war. Aber es stimmt, Ja, unbedingt: Schaut und lest die #Baseballschlägerjahre -->