Als Modelierer lassen mich solche Artikel verwundert zurück. Es wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass Aufhellung des Dunkelfeldes zum Anstieg der Fallzahlen beigetragen haben. Es wurde auch nicht bei der Präsentation der Modelle kommuniziert. fr.de/wissen/corona-… (1/23)
Doch die gemeldeten Fallzahlen, die den Anstieg der Aufhellung des Dunkelfeldes beinhalten - durch Schnelltests bei meist asymptomatischen Gruppen (Kita-Kinder, Schüler) und anschließender Verifizierung durch PCR-Test - sind die Grundlage für die Modelle. (2/23)
Wenn ich nun diese Datengrundlage nehme und den Anstieg prognostiziere, tue ich so, als wenn die Aufhellung des Dunkelfeldes die Änderung des Infektionsverlaufs widerspiegelt. Das ist jedoch nicht so, denn zumindest ein Teil des Anstiegs ist dem Testverhalten zuzuschreiben.(3/23)
Als Data Scientist verbringt man etwa 80% der Zeit damit, die Daten vorzuverarbeiten. Dabei schaut man sich die Daten an, schaut, ob es Ausreißer gibt, falls ja, wie sie entstehen und man führt eine Datenbereinigung durch. (4/23)
Gerade bei Zeitreihenanalysen schaut man sich an, ob die Zahlen zeitlich miteinander vergleichbar sind. Denn nur wenn sie zeitlich miteinander vergleichbar sind, kann eine möglichst saubere Zeitreihenanalyse stattfinden. (5/23)
Doch gerade durch die veränderte Teststrategie mit Einführung der Schnelltests ist eine zeitliche Vergleichbarkeit nicht gegeben. Hierzu benötigen wir die dauerhafte Untersuchung einer repräsentativen Stichprobe, um saubere Daten zu erhalten. (6/23)
Doch als die Modelle veröffentlicht wurden, wurde auf diesen Umstand nicht hingewiesen. Auch im Nachhinein wird die Verhaltensänderung der Menschen als Hauptgrund für die falschen Prognosen herangezogen, nicht aber die fehlerhaft genutzte Datengrundlage. (7/23)
Es wird darauf hingewiesen, dass die Verhaltensänderung der Menschen die Reduktion der Fallzahlen bewirkt hat, nicht jedoch, dass eine Veränderung im Verhalten bezgl. der Tests zum Anstieg der Fallzahlen beigetragen haben können. (8/23)
Wenn Corona wieder präsenter in den Medien vertreten ist und man vor der dritten Welle gewarnt wird, ist es durchaus möglich, dass Bürger mit leichten Symptomen sich eher testen lassen, da sie es nun wieder eher in Betracht ziehen, dass sie es haben könnten. (9/23)
Auch vor Ostern, wenn man kurz davor ist seine Verwandtschaft zu besuchen, ist man eventuell vorsichtiger. Man möchte seine Verwandtschaft nicht gefährden und lässt sich beispielsweise mittels Schnelltests eher präventiv testen, was man sonst vielleicht nicht getan hätte. (10/23)
Damit kann es durchaus sein, dass auch damit ein gewisser Teil der gemeldeten Fallzahlen vor Ostern auf einen solchen Effekt zurückzuführen ist. Ohne eine dauerhafte Stichprobenuntersuchung werden wir hier nur Vermutungen anstellen können. Wir brauchen verlässliche Zahlen.(11/23)
Genau diese Effekte machen die Datengrundlage unsauber, die zeitliche Vergleichbarkeit fehlt. Doch die Modelle beruhen gerade darauf, dass die zeitliche Vergleichbarkeit gegeben ist. So liefern die Modelle von vornherein zu hohe Werte, was jedoch nicht kommuniziert wird. (12/23)
Nun wird davon gesprochen, dass es Szenarien sind. Das ist natürlich korrekt. Aber dann müssen auch die anderen Szenarien präsentiert und mitgeteilt werden, wovon sie abhängen. Warum wird das nicht bei der Vorstellung der Modelle kommuniziert, sondern erst im Nachhinein? (13/23)
Auch wird nun davon gesprochen, dass die Prognosen nur für einen kurzen Zeitraum aussagekräftig sind und mit der Zeit ungenauer. Das stimmt natürlich. Aber warum wurde das (von einigen Modellieren) nicht direkt kommuniziert? (14/23)
Auch werden die Modelle von einigen Modellierern verteidigt und hauptsächlich auf Verhaltensänderung der Menschen zurückgeführt. Dass die Saisonalität eine Rolle spielt, wird, wenn überhaupt, nur untergeordnet erwähnt. Ein guter Thread hierzu: (15/23)
Oftmals stammen solche Prognosen von Verfechtern der No-Covid-Bewegung (ohne Wertung!). Dabei beschleicht mich das Gefühl, dass deshalb auch eher die Modelle mit hohen Werten veröffentlicht und die Probleme der Modelle nicht kommuniziert werden. (16/23)
Ich hoffe, ich liege damit falsch. Denn Modelierer sollten NIEMALS Modelle präsentieren, um zu zeigen, wovon sie überzeugt sind. Vielmehr sollte gezeigt werden, welche Informationen aus den Daten abgeleitet werden können, in alle Richtungen. (17/23)
Politische Entscheidungen sind nicht durch die Modellierer zu forcieren. Modellierer liefern ALLE Informationen aus den Daten, damit zumeist andere in der Lage sind Entscheidungen zu treffen. Modelle dürfen daher nicht politisch motiviert sein. (18/23)
Man mag ihnen zu Gute halten, dass sie die Menschen vor Krankheit und Tod schützen wollen. Doch eine solche Wertung haben Modellierer nicht zu treffen! Sie müssen Modelle wertneutral erzeugen. Zumal es auch Kolateralschäden gibt, wobei eine Abwägung stattfinden muss. (19/23)
Aus virologischer Sicht ist es sicherlich immer am Besten, wenn Menschen nicht aufeinander treffen, damit Viren nicht auf andere Menschen übergehen können. Doch das kann ja kein dauerhaftes Ziel sein. Deshalb müssen auch andere Sichtweisen berücksichtigt werden. (20/23)
Und gerade weil es ein komplexes Thema ist, wobei viele Dinge berücksichtigt werden müssen, kann eben nicht gesagt werden, dass man mit der Präsentation der worst worst worst case Szenarien nur das Beste wollte. Das ist nicht Aufgabe der Modellierer. (21/23)
Natürlich gibt es bei den Modellierern auch gute, erfahrene Modellierer. Aber es wurden auch Modelle von Personen veröffentlicht, wo nicht klar ist, woher die Expertise stammt. Die Presse muss darauf achten, ob ein Modellierer tatsächlich die Expertise mitbringt. (22/23)
Bei der zukünftigen Veröffentlichung von Modellen bitte berücksichtigen: @dpa @fr @SZ @Tagesspiegel @zeitonline @welt @handelsblatt @wiwo @tagesschau @ZDFheute @derspiegel @sternde @BILD @focusonline @rponline u.a.
(23/23)

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2 May
@OlafGersemann @welt Das Problem ist die Datengrundlage, auf derer die Prognosen beruhen und die Nichtberücksichtigung von Parametern, wie Saisonalität. Als Data Scientist mit Expertise im Bereich Prognosen muss ich das so klar sagen. Wir brauchen verlässliche Daten. (1/11)
@OlafGersemann @welt Die Prognosen beruhen auf den gemeldeten Fallzahlen. Bevor die Prognosen durchgeführt wurden, wurde die Teststrategie geändert. Es gab vermehrt Schnelltests, wodurch die zeitliche Vergleichbarkeit nicht mehr möglich ist. (2/11)
@OlafGersemann @welt Gerade Gruppen wurden nun häufig mittels Schnelltests getestet, die zuvor keinen PCR-Test gemacht hätten. Es wurde gerade die junge Personengruppe getestet, die meist asymptomatisch ist (Schüler und Kita-Kinder). Ein positives Ergebnis wird mittels PCR-Test verifiziert. (3/11)
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