1/n 175.000 Impressionen, 6.500 Interaktionen – mit diesem Tweet habe ich einen regelrechten Shitstorm ausgelöst. Viel Kritik, vor allem auch der Vorwurf, „junge Amazonen“ sei sexistisch und herablassend. - Das war in keiner Weise meine Intention.
2/n In der kritisierten Weise eine Auseinandersetzung zu führen, liegt mir völlig fern. Ich bedauere es daher ausdrücklich, diesen Begriff gewählt zu haben. – Um was geht es mir tatsächlich? Ich habe mich in den letzten Jahren wieder etwas mehr mit den Themen Militär und Rüstung
3/n bzw. Rüstungskontrolle und Entspannungspolitik befasst. Verstärkt wurde das Interesse jüngst durch die Diskussion über die Anschaffung bewaffneter Drohnen, bei der es viel wütende Kritik gegen die SPD gab. Die Recherche hat mir dabei gezeigt, dass die HERON-Drohnen, um die
4/n es konkret ging, nur der politische Türöffner für viel umfangreichere Rüstungsprogramme sein soll, bei denen bewaffnete Drohnen ein integraler Bestandteil der Waffensysteme sind. Zu nennen, sind hier vor allem das Nachfolgesystem MGCS für den Kampfpanzer Leopard sowie
5/n das bislang größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt: die Hundert-Milliarden-teure Entwicklung und Anschaffung eines futuristischen Kampfbombersystems mit Drohnenbegleitung, abgekürzt FCAS. Bei dieser Recherche bin auch erstmals auf @RiekeFranke aufmerksam geworden,
6/n deren programmatischen Artikel für „war on the rocks“ ich in meinem Tweet verlinkt habe. Sie hat sich sehr eingehend mit Fragen rund um militärische Drohnen befasst. (Siehe Literaturliste ecfr.eu/profile/ulrike… ) Und sie hatte in einem eigenen Tweet kund getan,
7/n dass die Gefahr bestehe, dass „sie verrückt werde, wenn sie von der SPD in der Drohnen-Diskussion noch einmal höre, es sei mehr Debatte nötig.“ – Ich denke, dass ich ihre Position in der Drohnen-Frage damit auch richtig verstanden habe. Image
8/n Die Recherche hat mir aber auch gezeigt, dass die Diskussion um Drohnen oder die Erfüllung des 2%-Ziels der NATO nur die Oberfläche sind. Tatsächlich hat eine sehr tief gehende Diskussion über die künftige Ausrichtung der Bundesrepublik auf dem Feld der Außen-,
9/n Sicherheits- und Militärpolitik begonnen. Sie wird weniger öffentlich und mehr in so genannten „Fachkreisen“ geführt. Aufgefallen ist mir dabei, dass es mittlerweile eine deutliche Vermehrung von Instituten gibt, die sich mit diesen Fragen befassen und die höchst aktiv
10/n bemüht sind, ihre Positionen in die Diskussion einzubringen und mehr noch: die augenscheinlich daran arbeiten, die Koordinaten der außen- und sicherheitspolitischen Diskussion in Deutschland zu verschieben: weg vom Verteidigungsmotiv und hin zu einer
11/n strategischen Machtpolitik. Die Szene ist vor allem transatlantisch, aber auch in Europa intensiv vernetzt. Die Akteure haben oft (zusätzliche) Ausbildungen an einschlägigen Instituten in den USA, England und Frankreich absolviert – mithin an Orten, an denen
12/n Militär und Rüstung traditionell viel stärker machtpolitisch betrachtet und in der Nutzung – neudeutsch: – viel „robuster“ gehandhabt werden. Entsprechend ist häufig ein dichotomisches Grundmotiv in der Argumentation und im Selbstverständnis der Szene zu beobachten:
13/n einerseits die Kritik an einem pazifistisch durchwirkten und machtvergessenen Deutschland, das es sich unter dem Schutzschirm der USA gemütlich macht und das unwillig ist, einen fairen Beitrag bei den Militärausgaben zu leisten und eine seiner Größe und Wirtschaftsstärke
14/n angemessene Rolle im NATO-Bündnis zu übernehmen; anderseits das Plädoyer für ein Deutschland, dass mehr militärische Führung und Verantwortung übernimmt, machtbewusster und strategischer denkt, die Bedeutung von Militär und Rüstung als Mittel der Politik entdeckt und
15/n entsprechend mehr in seine militärische Stärke und die des Bündnisses investiert. Während die Vertreter des pazifistisch-machtvergessenen Deutschlands bestenfalls als Ärgernis betrachtet werden, ist die Selbstwahrnehmung augenscheinlich die einer
16/n neuen außenpolitischen Elite, die die Welt endlich so sieht wie sie ist: eine Welt, die sich in zunehmend unsichere Zeiten bewegt, die von Geopolitik und Machtkonkurrenzen geprägt wird, in der Russland und China die ebenso finsteren wie machtpolitisch versierten Antipoden
17/n sind und in der sich Deutschland nur behaupten kann, wenn es selbst wieder in den Kategorien der Geo- und Machtpolitik denkt und handelt. Entspannungspolitik, Kooperation und Abrüstung kommen in diesem Weltbild, wenn überhaupt, nur als sentimentales Wunschdenken vor.
18/n Anders als früher handelt es sich bei dieser Szene nicht mehr vornehmlich um weiße alte „Falken“ und „Kalte Krieger“ männlichen Geschlechts. Man hat sich seit Jahren – wie Alexander Lambsdorff in seiner Kritik ausführt – um „mehr weibliche Stimmen in der
19/n Sicherheitsforschung und Sicherheitspolitik“ bemüht und das zeigt sich auch in der hier beschrieben Szene. Der intellektuelle und rhetorische Kampf für eine stärker militärisch unterlegte Machtpolitik wird mehr denn je von einer Community geführt, die modern, jung und
20/n gegendert aufgestellt ist – während ihre Botschaften im Kern von einem nur allzu gut bekanntem alten Geist geprägt sind. - Darauf wollte ich pointiert mit dem kritisierten Vergleich hinweisen, was aber in dieser Verkürzung und Wortwahl verfehlt war.
21/n Dass mir diese Apologeten einer neuen Macht- und Militärpolitik (völlig unabhängig von ihrem Geschlecht) nicht behagen, daraus mache ich keinen Hehl. Die Herausforderungen und Bedrohungen, vor denen dieser Planet angesichts der Klimakrise steht,
22/n lassen sich mit mehr militärischem Auftrumpfen und einem Anheizen militärischer Machtkonkurrenzen nicht lösen, im Gegenteil. Denn sie laufen dem entgegen, was nötig ist: mehr internationale Kooperation, gerade auch mit China und Russland, ergo mehr Vertrauensbildung
23/n und weniger Dämonisierung und vor allem die Konzentration aller intellektuellen, ökonomischen und politischen Ressourcen auf den Schutz und Erhalt unseres Planeten – und nicht auf die Perfektionierung von Destruktivkräften.
24/n Ich sehe deshalb mit Unbehagen, dass augenscheinlich eine Menge Geld in die neuen außenpolitischen Think Tanks (und flankierende Influencer) gesteckt wird und sich womöglich eine ähnliche - einflussreiche wie problematische – außenpolitische Blase wie in den USA bildet.
25/n Die Geschichte des Neoliberalismus zeigt, dass sich neue politische Paradigmen nicht von selbst entwickeln, sondern bei näherem Hinschauen gut organisierte und gut dotierte Netzwerke am Werk sind. Sie erst im Nachhinein zu entdecken und zu beschreiben,
26/n wie es beim Neoliberalismus mittlerweile der Fall ist, kommt zu spät. Ich rege deshalb an, dass der hier nur sehr oberflächlich angesprochene Szene außen- und sicherheitspolitischer Institute und Think Tanks mehr kritische Aufmerksamkeit geschenkt wird.
27/n Wenn es dumm läuft, kann sich nämlich aus der stärkeren Akzentuierung militärischer Macht über kurz oder lang ein Neomilitarismus entwickeln. Davor möchte ich warnen – nicht als romantischer Pazifist, sondern als entschiedener Antimilitarist. END

• • •

Missing some Tweet in this thread? You can try to force a refresh
 

Keep Current with Arno Gottschalk

Arno Gottschalk Profile picture

Stay in touch and get notified when new unrolls are available from this author!

Read all threads

This Thread may be Removed Anytime!

PDF

Twitter may remove this content at anytime! Save it as PDF for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video
  1. Follow @ThreadReaderApp to mention us!

  2. From a Twitter thread mention us with a keyword "unroll"
@threadreaderapp unroll

Practice here first or read more on our help page!

More from @ArnoGottschalk

7 Jun
1/7 #CoronaVirusDE Übersicht in Schaubildern. Stand 7.6.21 um 0:00 Uhr. Tendenz 😊😐😊 Im rollierenden 7-Tage-Durchschnitt weitere deutliche Abnahme bei neuen positiv Getesteten und neu Verstorbenen. Seitwärts mit (meldebedingten?) Ausschlägen bei neuen Intensivpatienten. Image
2/7 Die Zahl der neuen positiv Getesteten lag gestern bei 1.845. Das waren 1.200 / 39% weniger Fälle als 7 Tage zuvor. Image
3/7 Über die letzten 7 Tage hinweg addieren sich die neuen Fälle auf 21.064. Image
Read 7 tweets
26 May
@falkinjo_hb 1/n Deine Berechnung basiert auf der Annahme, dass die Vonovia ihre Gewinne mit Mieterträgen verdient. Es mag verwundern: aber das ist nicht so. Vonovia hat in 2020 Vermietungserlöse von 3,07 Mrd. € erzielt. Dem standen auf der Kostenseite gegenüber: -2,2 Mrd. € an Material-,
@falkinjo_hb 2/n ... Personal- und Abschreibungsaufwand, -280 Mio. € sonstige Aufwendungen und 410 Mio. Zinsaufwendungen, zusammen also 2,89 Mrd. €. Von den Mietertägen blieben nach Abzug dieser Posten somit nur 117 Mio. €. Knapp 1 Mrd. € Dividenden lassen sich daraus nicht zahlen. Wie ..
@falkinjo_hb 3/n ... kann das angehen? Der Gewinn stammt auch nicht aus Immobilienverkäufen. Deren Erlöse lagen bei 240 Mio. €. - Das Geheimnis liegt in der Immobilienbewertung. Dort, bei der Bewertung der "Investment Properties" weist die Vonovia ein Ergebnis von 3,7 Mrd. € aus. Dieser...
Read 8 tweets
26 May
1/7 #CoronaVirusDe Übersicht in Schaubildern. Stand 26.5.21 um 0:00 Uhr. Tendenz 😊😊😊 Im gleitenden 7-Tage-Durchschnitt weitere starke Abnahme bei neuen positiv Getesteten, neuen Intensivpatienten und neu Verstorbenen.
2/7 Die Zahl der neuen positiv Getesteten lag gestern bei 2.578. Das waren 5.000 / 34 % weniger Fälle als 7 Tage davor und - abgesehen vom Pfingstmontag - der niedrigste Wert seit dem 6. Oktober.
3/7 Über die letzten 7 Tage hinweg addieren sich die neuen positiv Getesteten auf 46.672. Das ist der niedrigste Wert seit dem 20. Oktober.
Read 7 tweets
25 May
1/7 #CoronaVirusDe Übersicht in Schaubildern. Stand 25.5.21 um 0:00 Uhr. Tendenz 😊😊😊Im gleitenden 7-Tage-Durchschnitt weitere deutliche Abnahme bei neuen positiv Getesteten und neu Verstorbenen,leichter Rückgang bei neuen Intensivpatienten. Unklar, wie weit feiertagsverzerrt
2/7 Die Zahl der neuen positiv Getesteten lag gestern bei 5.297. Das waren 56 weniger als eine Woche zuvor.
3/7 Über die letzten 7 Tage hinweg addieren sich die neuen positiv Getesteten auf 51.206. Der rollierende Wochenwert ist damit seit 30 Tagen nahezu kontinuierlich am Sinken.
Read 7 tweets
24 May
1/5 Europa sollte für die Nato ein Cyber-Abwehrzentrum betreiben, schlägt @ABaerbock laut @LostinEU vor. “Das wird kosten. Das ist mein Vorschlag an die Amerikaner: Wir als Europäer finanzieren das als Lastenteilung innerhalb der Nato.” lostineu.eu/baerbock-redet…
2/5 Die Idee, dass sich Deutschland angesichts innenpolitischer Widerstände weniger auf herkömmliche Rüstung und mehr auf das neue Feld des Cyber War konzentrieren sollte, hatte die neokonservative US-Denkfabrik American Enterprise Institute auch schon. politico.eu/article/german…
3/5 „Stellen Sie sich eine Reihe von spezialisierten Hauptquartieren vor (…) die im Auftrag der westlichen Allianz - NATO, EU, Five Eyes - nicht nur neue und aufkommende Formen der Aggression überwachen, sondern auch nichtkinetische Gegenschläge planen und koordinieren…“
Read 5 tweets

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just two indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3/month or $30/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!

Follow Us on Twitter!

:(