Karl Lauterbach sagte dies hier 👇



Im ersten Teil dieses 🧵 geht’s darum, die Aussagen zu prüfen und zu kommentieren. Im zweiten Teil geht’s darum, die Publikation genauer anzusehen, auf die sich Lauterbach bezieht.
I. Im ersten Satz bezieht sich Lauterbach auf einen Artikel der BILD, der von @DeineMeinungung zitiert wird. Lauterbach bezieht sich vordergründig auf die Schlussfolgerung »PCR-Tests sind keine Grundlage für politische Maßnahmen«.
Dieser Satz wird auch im BILD-Artikel als Überschrift gewählt. Karl Lauterbach hält diese Aussage für »Quatsch« und kommentiert im folgenden die ct-Werte. BILD wiederum zitiert einen Letter to the Editor an das Journal of Infection.

bild.de/politik/inland…
Es ist nicht klar, ob Lauterbach sich auch insgesamt auf den ganzen Inhalt des kurzen BILD-Artikels und auf die Ergebnisse des Letters bezieht. Auf diesen Letter und die Grundaussage gehen wir im zweiten Teil ein. Zuerst die weiteren Aussagen Lauterbachs:
Satz 2: »Ct-Werte wurden meist mitgeteilt«.
Im Passiv formuliert, ist die erste Frage auf diese Aussage: Wer teilte wem was mit? Die zweite Frage lautet: Wie oft ist »meist«? Die dritte Frage lautet: War das schon immer so? Diese Fragen lassen sich leider nur fragmentarisch beantworten.
Zuerst zu den Kommunikationswegen.
Der 1. Kommunikationsweg läuft so: Ein Labor, das RT-qPCR-Testungen auf SARS-CoV2 durchführt und ein positives Testergebnis zutage gefördert hat, teilt dem Gesundheitsamt das positive Testergebnis mit. Das Gesundheitsamt leitet dann die entsprechenden Maßnahmen nach IfSG ein.
Was die letzten Monate herausgekommen ist: Die Gesundheitsämter erhalten nicht immer die CT-Werte, sondern nur das Testergebnis.
Gisbert Köhler hat sich die Mühe gemacht, die 16 Landesgesundheitsämter und zwei weitere Gesundheitsämer in Nordrhein-Westfalen anzuschreiben. Das Video ist sehenswert.



Zunächst: Von der Hälfte der Gesundheitsämter erfolgte keine Antwort.
Die Antworten mit Stand April 2021 weisen darauf hin, dass zumindest die Landesgesundheitsämter Kenntnis der ct-Werte haben. Auch seine zweite Frage ist interessant, nämlich, ob die Gesundheitsämter einen Zweittest empfehlen. Ergebnis: Nie »Ja«! Dazu auch weiter unten.
Wir wissen allerdings nicht, was in den lokalen Gesundheitsämtern passiert, die als untere Gesundheitsbehörden fungieren.
Eine ältere Quelle aus dem Oktober 2020 wies darauf hin, dass 73 Prozent der Gesundheitsämter »den Wert ›selten‹ oder ›nie‹ erfahren.«

tagesschau.de/investigativ/n…
Frappierend: Wir wissen nicht, wie viele Gesundheitsämter nicht geantwortet haben. Dass sie genau diejenigen sind, die besonders gründlich die Laborbefunde prüfen, lässt sich daraus nicht ableiten.
Eine Rücklaufquote von 137 bei ca. 400 Gesundheitsämtern wäre eine Katastrophe. Vielleicht kann @m_grill, der hier und anderswo aktiv gebohrt hat, Auskunft geben, was genau gefragt wurde?
Der 2. Kommunikationsweg läuft zwischen Abstrichstelle (beispielsweise eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus) und Labor: Das Labor teilt mit, was und mit welchem Ergebnissen getestet wurde.
Dieser 2. Kommunikationsweg ist auch standardmäßig bei anderen Tests etabliert und dürfte auch bei SARS-CoV2 nicht zusammengebrochen sein. Vielleicht hat eine zeitweise Überlastung der Labore dies temporär lahmgelegt, vielleicht auch nicht.
Das entscheidende ist der 3. Kommunikationsweg, nämlich ob tatsächlich reale Menschen ihr Testergebnis mit den relevanten Informationen erhalten haben, ob vom Gesundheitsamt oder der Abstrichstelle.
Ich habe eine kleine Stichprobe von 35 Testergebnissen, welche mir zugeschickt wurden.

corodok.de/pcr-desaster-b…

Weitere Befunde anonymisiert und Berichte gerne!
Was ich vorläufig sagen kann: Der Informationsgehalt variiert stark. Die Laborbefunde weisen manchmal die Genstellen aus, auf die getestet wurden, die Nachweisschwellen, teilweise sogar auch Variantentests, und allgemeine Informationen.
In einigen wenigen Fällen wurden die ct-Werte auf den Befunden bei positiven PCR-Tests nicht mitgeteilt, aber in den meisten Fällen schon. Dies mag dann zunächst dafür sprechen, dass sauber gearbeitet wird, jedoch:
Die betroffenen Menschen mussten sich die Laborbefunde hartnäckig und durch Nachbohren erfragen.
In meinem Freundeskreis hat jemand vor ein paar Wochen einen positiven PCR-Test gemacht und bis auf einen Anruf vom Gesundheitsamt garnix erhalten. Die Abstrichstelle verweist auf das Labor, und das Labor weiĂź von nix. Das fĂĽhrt zu folgender Spekulation:
Meinem Laienverständnis nach liegen hier teilweise millionfache Verstöße gegen §630f–g BGB vor, nach dem Behandelnde verpflichtet sind, Patientenakten zu führen, und jeder Patient berechtigt ist, Einsicht in die Patientenakte zu nehmen. Laborergebnisse gehören dazu.
Gibt es Juristen, die das hier fachkundig beantworten können? *Spekulation Ende* Zurück zu Lauterbach: Meine Daten sprechen alle dagegen, dass ct-Werte »meist mitgeteilt wurden.«
Vermutlich handelt es sich bei Lauterbach aber um dieselbe Quelle, die ihn darüber informiert hat, dass Patienten auf Intensivstation durchschnittlich zwischen 47 und 48 Jahre alt sind → nämlich er selbst!



Diese Quelle darf angezweifelt werden!
Satz 3: »Man hätte am Quarantäne Ende Noch-Positive mit hohen ct Werten früher wieder aus Quarantäne befreien können.«
Ja, in der Tat. »Man hätte«. Man hätte auch klären können, ob es sich um noch-Positive, schon-wieder-Positive, oder falsch-Positive handelt. Man hätte auch die Kontaktpersonen, die einen negativen PCR-Test hatten, aus der Quarantäne entlassen können.
Hätte, hätte, Fahrradkette. Herr Lauterbach als langjähriger Abgeordneter, mit mehr als 500k Followern auf Twitter, und Kontakt zu allen Talkshow-Gastgebern des Landes, hätte seinen Einfluss einbringen können, um diesen Zustand abzuhelfen. Hat er aber nicht.
Satz 4: »Aber für Politik spielen ct Werte keine Rolle.« Dieser Satz lässt tief blicken.

Auf faktischer Ebene lässt sich zunächst sagen, dass ct-Werte eine gewaltige politische Rolle spielen.
Wie oben sichtbar wurde: Die ct-Werte legen das Handeln der Gesundheitsämter fest. Ob sie Kenntnis der ct-Werte haben, spielt hierbei keine Rolle: Positive werden dann nämlich grundsätzlich in Quarantäne geschickt.
Was allerdings konzediert werden muss: Die Gesundheitsämter trifft dabei ggf. weniger Schuld, als man meinen könnte. Wer personell und finanziell auf Sparflamme gehalten wird, der kann auch nicht perfekt arbeiten.
Die Frage wäre dann, ob die horrenden Werbeausgaben für’s Massentesten Symptomloser nicht besser in die Finanzierung der Gesundheitsämter geflossen wäre?
ct-Werte setzen die Leitplanken für den (juristischen) Handlungsspielraum fest, den Menschen zur Verfügung haben, wenn sie aus der Quarantäne entlassen werden wollen. Wenn Sie ct-Werte nicht wissen, können sie auch nicht handeln.
Die Politik beschließt, ändert und verwirft Gesetze. Im Infektionsschutzgesetz ist die Inzidenz der entscheidende Parameter für pandemiebedingte Maßnahmen niedergelegt. Die pandemiebedingten Maßnahmen bestimmen unser aller Leben.
ct-Werte sind eine wesentliche Stellschraube, mit denen die Inzidenz hoch- oder runtergeschraubt werden kann. Gälte flächendeckend »ct-Wert über 30 ist nicht testpositiv«, dann lebten wir in einer anderen Welt.
Welcher Parameter könnte politischer sein als dieser? Was die Gleichsetzung »testpositiv = infiziert = potenziell ansteckend« psychologisch und gesellschaftlich anrichtet, und ob diese Gleichsetzung überhaupt gerechtfertigt ist, ist damit noch gar nicht angesprochen.
Man kann den Satz auch böse interpretieren, und sagen, dass ct-Werte *für Karl Lauterbach* keine Rolle spielen.
Tja, und dann kann man sich fragen, ob ihm nicht auch alle, die ohne rechte Not in Quarantäne geschickt wurden, auch egal sind.
Satz 5:»Alpha und Delta Variante haben gar gefährliche ct Werte«
Dieser Satz zeigt einfach nur das absolute Unverständnis der RT-qPCR-Technik. Der ct (cycle threshold) gibt den Zyklus an, bei dem die gesuchte Genstelle so oft vervielfältigt worden ist, dass er durch einen beigegebenen Farbstoff sichtbar geworden ist.
Alpha- und Delta-Varianten haben nicht per se »gefährliche ct Werte«. Wie gefährlich diverse Varianten sind, kann ein einzelner Parameter eines Testverfahrens, welches als Ziel lediglich den Nachweis eines Genomfragments in bestimmter Frequenz hat, nicht ermitteln.
Die Gefährlichkeit eines Virus kann nur durch eine Kombination von harter virologischer Grundlagenforschung, medizinischer Diagnostik und epidemiologischer Analyse ermittelt werden. Ob das erfolgreich gewesen ist, mögen Sie selbst beurteilen.
WERBEPAUSE: Im Verlag gibt es eine Publikation, welche die Geschichte des PCR-Tests nachzeichnet. Es gibt die Publikation als kostenlose PDF hier:
thomaskubo.de/das-pcr-desast…
II. Schauen wir uns nun die Publikation an, die im Artikel der BILD referenziert wird.
journalofinfection.com/article/S0163-…
Zunächst einmal handelt es sich bei der Publikation *nur* um einen sog. Letter to the Editor. Es ist keine Publikation, die einen peer-review durchlaufen hat. Es ist dennoch eine Studie.
Die Expertise der Autoren kann ich fachlich nicht bewerten. Es jedenfalls eine Publikation, die auch Laborpraktiker, Epidemiologen und Ärzte umfasst. Die Daten sind aber dem interessierten Idioten wie mich zugänglich.
Im Gegensatz zu Modellier-Arbeiten, die in Zukunft auf mein Vertrauen und meinen Respekt verzichten mĂĽssen, handelt es sich hier um eine Arbeit, denen knallharte empirische Daten aus dem richtigen Leben zugrunde liegen.
Was ebenfalls hervorzuheben ist, dass die Autoren es nicht vermieden haben, die exakte Messmethodik anzugeben: Sie nennen die genauen Genstellen und geben den Entnahmeort der Probe an. Sie nennen auch die Nachweisschwellen.
Ferner haben sie alters- und geschlechtsspezifische Angaben und schenken den beiden ct-Werten 25 und 30 besondere Aufmerksamkeit, weil sie auch teilweise in Richtlinien empfohlen werden.
Das RKI etwa nennt zurzeit keinen genauen Schwellenwert, definiert aber etwa in den Entlassungskriterien: »positives PCR-Ergebnis nur unterhalb eines definierten Schwellenwertes, der eine Aussage über die Anzuchtwahrscheinlichkeit erlaubt«.

rki.de/DE/Content/Inf…
Damit rekurriert das RKI zumindest indirekt auf die ct-Werte, weil die angeführten »1.000.000 (10^6) Kopien/ml« sich eben indirekt und grob über die PCR ermitteln lassen.
Durch das spezifische Design (eine Region, ein Labor, ein Teststystem, ein Jahr) lässt sich querschnittartig auch etwas über das ganze Land sagen.
Ein genauer Vergleich mit der Viruslast-Studie aus Charité ist sicher interessant. Die zwei knappen DIN-A4-Seiten brachten jedenfalls für mich mehr Erkenntnisgewinn als die Arbeit aus der Charité, aber vielleicht bin ich auch nur zu dumm.
Die Rohdaten wären zur weiteren Vertiefung ebenfalls sehenswert, und ggf. stellen die Autoren diese auch irgendwann zur Verfügung. Einige Zitate mit kurzem Kommentar:
»For a small subset of 58 people, sufficient clinical information was available to allow classification as symptomatic or asymptomatic.«
Dies spricht Bände. Die Kommunikationswege sind offenbar so schmal, dass das Labor die wichtigste Information in nur 58 von 162.457 Fällen vorliegen hatte.
»In the small group of individuals for whom clinical information was available, symptomatic subjects had a markedly lower mean Ct value of 25.5 compared to asymptomatic subjects, who showed a mean Ct value of 29.6«
Dieses Ergebnis sollte man mal sacken lassen.

Wie wär’s mal damit, Asymptomatische einfach in Ruhe lassen, wie vor 2020.
»Our results confirm the findings of others that the routine use of ›positive RT-PCR test results as the gold standard for assessing and controlling infectiousness fails ...
... to reflect the fact “that 50-75% of the time an individual is PCR positive, they are likely to be post-infectious‹«
Das ganze Testregime, was wir erleben, lässt sich damit infrage stellen.

Die Alternative aus dem Mund der WHO:
who.int/news/item/20-0…
»Most PCR assays are indicated as an aid for diagnosis, therefore, health care providers must consider any result in combination with timing of sampling, specimen type, assay specifics, ...
... clinical observations, patient history, confirmed status of any contacts, and epidemiological information.«

Was ist daran eigentlich so schwer?
Zurück zu Lauterbach: Die Sätze 1, 4 und 5 sind falsch. Satz 2 ist nach allen Daten, die ich habe, falsch oder unbelegt. Satz 3 offenbart entweder Ahnungslosigkeit oder Böswilligkeit. Neben #LauterbachLuegt schlage ich als Trend #LauterbachHatKeineAhnung und #ctGate vor.

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