Speziell für die #Referendar:innen hier ein paar Tipps für den #Sitzungsdienst bei der #Staatsanwaltschaft (Thread).

Ich hab versucht, Tipps zusammenzuschreiben, die sich in einschlägigen Fachbüchern evtl nicht finden (mein Tipp: Theiß, Sitzungsdienst des Staatsanwalts)

01/25
Vorbereitung:

Möglichst überprüfen, ob's noch weitere Verfahren gegen d. Angekl. gibt.

Mit der Info über weitere Ermittlungsverfahren ist zwar Vorsicht geboten. Die darf man nur preisgeben, wenn der/die Angeklagte schon davon weiß.

02/25
Wichtig sind vor allem weitere Anklagen gegen dieselbe Person. Die sollte man sich sicherheitshalber ausdrucken und mitnehmen, denn es kann sein, dass die unerwartet dazuverbunden und mitverhandelt werden.

03/25
Wieviel Notizen man sich bei der Vorbereitung macht, ist Geschmacksache. 2 Empfehlungen:

- Bei Verhandlungen mit mehreren Taten eine Übersichtstabelle machen, in die man in der HV auch Notizen eintragen kann.

- NICHT das Plädoyer vorab ganz/ teilweise ausformulieren.

04/25
Beim Verlesen der Anklage kann man zwar die nötigen Umformulierungen ("Angeklagter" statt "Angeschuldigter") auch während des Lesens machen. Führt aber schnell zu Versprechern - deshalb besser vorher in der Anklageschrift Notizen machen.

05/25
(muss man ja nicht übertreiben - ein kleines "k" mit Bleistift in jedes Wort "Angeschuldigter" reicht normalerweise aus.)

06/25
Das gilt natürlich besonders, wenn größere Umformulierungen nötig sind (zB. ursprünglich 2 Angeklagte, nach Abtrennung oder Teileinstellung wird nur gegen einen verhandelt. Evtl gibt's auch Änderungen im Eröffnungsbeschluss - den bei der Vorbereitung immer prüfen!)

07/25
Verlesen der Anklage:

Mir ist's unangenehm, wenn mir während des Vorlesens auffällt, dass ich mir bei der Aussprache von Namen unsicher bin. Vor allem, wenn's um Angeklagte geht. Der Name wird zwar vorher bei den Feststellungen zur Person erwähnt, aber oft zu kurz.

08/25
Einfache Lösung: den Angeklagten kurz fragen, bevor man zu lesen anfängt. Das kann im Übrigen den positiven Nebeneffekt haben, die Verhandlungsatmosphäre etwas zu verbessern.

09/25
Allgemeines zum Ablauf der Hauptverhandlung

Eine HV ist meist ein gut eingespieltes Räderwerk. Alles geht recht schnell, und wenn man den Ablauf mitgestalten will, muss man aktiv werden. Heißt: nicht zu schüchtern sein.

10/25
Wenn mir zB während der Befragung durch die Verteidigung noch eine Frage eingefallen ist, muss ich mich (höflich) bemerkbar machen, ehe die Zeugin entlassen wird.

Wenn ich weitere Beweisaufnahmen oder rechtliche Hinweise anregen will, muss ich aktiv das Wort ergreifen.

11/25
Überhaupt sollte man sich an den Beschuldigten- und vor allem Zeugenvernehmungen aktiv beteiligen. Auch sorgfältige Vorsitzende übersehen bei ihrer Befragung oft wichtige Punkte und sind dankbar für ergänzende Fragen.

12/25
Und meiner Ansicht nach nimmt man als StA:in durch gute Nachfragen in der Beweiserhebung oft mehr Einfluss auf das Ergebnis des Verfahrens als durch ein gutes Plädoyer.

13/25
Ein paar Punkte zur Vernehmung in der HV:

- Man sollte bei der Befragung bewusst auch die Verteidigerperspektive einnehmen. Stichwort objektive Behörde, zudem sollte man schon aus taktischen Gründen die Fragen zu entlastenden Punkten nicht der Verteidigung überlassen.

14/25
- Zeugen nicht "grillen". Dass ein erkennbar lügender Zeuge in peinlicher Vernehmung einknickt und schließlich mit der Wahrheit rausrückt, gibt's nur im Film. In der Realität bleiben die Leute meist auch unter Druck bei ihrer Version, so unwahrscheinlich sie auch ist.

15/25
"Grillen" kann für die Verteidigung Sinn machen, um Zeugen zu verunsichern (für mich der einzige Anlass, Verteidigern notfalls auch laut ins Wort zu fallen). Zur Wahrheitsfindung aus StA-Sicht trägt es selten bei. Lieber durch offene Nachfragen Widersprüche herausarbeiten.

16/25
Zum Plädoyer:

Hier gilt, was auch sonst für mündliche Vorträge gilt: frei sprechen. Vorab formulieren sollte man nur den Antrag.

Und insb. als Referendar:in sollte man keine Hemmung haben, um eine kurze Unterbrechung zur Vorbereitung zu bitten.

17/25
Ein schwieriger Punkt ist die Frage des Strafmaßes. Dazu habe ich kürzlich was geschrieben:

Hier bleibt einem letztlich nichts anderes übrig, als sich vorab nach Aktenlage einen Richtwert für eine Straftat der angeklagten Art zurechtzulegen.

18/25
In der Hauptverhandlung sollte man sich dann fragen, inwieweit das tatsächlich nachweisbare Geschehen von der Tat abweicht, die man sich bei der Vorbereitung vorgestellt hat. Und wie diese Abweichungen sich auf das Strafmaß auswirken.

19/25
Schwierig finde ich die Frage, ob man den Strafantrag bewusst hoch ansetzen soll.

M.E.: grds. ja, in Grenzen.

Der Strafantrag muss sich natürlich im rechtlich vertretbaren Rahmen halten. Ein bewusst zu hoch angestzter Antrag wäre rechtswidrig.

20/25
Andererseits ist's oft sinnvoll, im Rahmen dessen, was man selbst noch für angemessen hält, eher an die obere Grenze zu gehen. So gibt man dem Gericht die Möglichkeit, im Urteil etwas unter dem Antrag der StA zu bleiben.

21/25
Das trägt zur Akzeptanz des Urteils bei - und damit zum Rechtsfrieden. Wenn der Antrag der StA zeigt, dass die Strafe auch noch schwerer hätte ausfallen können, ist sie evtl leichter zu akzeptieren als ein Urteil, das dem Antrag der StA folgt oder ihn überbietet.

22/25
Andernfalls sollte man sich auch nicht von einer etwaig erkennbaren Tendenz des Gerichts beeinflussen lassen. Wenn das Gericht ein Strafmaß auswirft, das über die Einschätzung der StA hinausgeht, ist das halt so.

23/25
Ein großer Spaß beim Strafmaß ist die nachträgliche Gesamtstrafenbildung. Zwei Tipps:

- Ich spreche die Gesamtstrafe meist bei der Beweisaufnahme zur Person (nach BZR-Verlesung) an. Das ermöglicht den anwesenden Juristen ein Brainstorming und verringert die Fehlergefahr.

24/25
- Manche Richter/innen ignorieren die nachträgl. Gesamtstrafenbildung im Termin und schieben sie auf das spätere Beschlussverfahren. Eigentlich rechtswidrig, aber wenn die frühere Entscheidung im Termin nicht vorliegt, geht man da als Sitzungsvertreter/in halt mit.

25/25

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