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Aug 15, 2021 13 tweets 2 min read Read on X
Armin Laschet ist ein Politiker des postfaktischen Zeitalters, der noch nie für etwas einstehen musste, so scheint es, was er sagt - und mit jedem Tag wird dieser Kandidat mehr und mehr zur Belastung für das ganz grundlegende Verständnis dafür, was Politik sein kann oder soll.
Der neueste zynische Twist ist sein Afghanistan-Plan, in dem er fordert, alle Mitarbeiter der Deutschen in Sicherheit zu bringen - als habe nicht die CDU, die das ja von allein in der Regierung und ohne Hinweis von Laschet tun könnte, nicht genau das Gegenteil beschlossen:
"Der Bundestag hat am 23.6. 2021 einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt, in dem die Fraktion gefordert hatte, ein Gruppenverfahren zur „großzügigen Aufnahme afghanischer Ortskräfte einzuführen, die für deutsche Behörden + Organisationen arbeiten oder gearbeitet haben.“
"Die Koalitionsfraktionen und die AfD lehnten den Antrag ab, die Linksfraktion stimmte mit den Grünen dafür, die FDP enthielt sich." Also: SPD und CDU/CSU stimmten mit der AfD, vor etwas mehr als sieben Wochen, gegen diese Aufnahme - wobei die Fakten klar waren.
Denn was jetzt passiert, war lange klar - aber wer wie Armin Laschet ja noch vor kurzem die Abschiebung von Geflüchteten nach Afghanistan unterstützt oder gefordert hat, der lebt eben in seiner ganz eigenen Wahrnehmung von Welt und Wirklichkeit.
Das ist kein so großes Problem, wenn man zum Beispiel Autohändler oder Tierfutterverkäufer oder Molekularbiologe ist - wenn man aber Verantwortung trägt in diesem Land und sogar noch mehr Verantwortung will, dann ist das erbärmlich, opportun, wohlfeil und eben zynisch.
Was daraus erwächst ist das, was in ruhigeren Zeiten "Politikverdrossenheit" genannt wurde - und heute tatsächlich eine Systemkrise ist, wenn jemand wie Armin Laschet überhaupt in die Nähe der Macht kommt.
Jemand, der mit Vertrauen und Verantwortung hantiert, als sei das billiges Porzellan, das schon immer irgendwer hinter einem aufkehrt, wenn man mal wieder ein paar Teller, Tassen, Schüsseln zerhauen hat - was kümmert es mich, Armin?
Jemand, der jetzt, wo es zu spät ist, sich aufschwingt zu hohlen Worten von "akut mit dem Tod bedrohten Frauen" - hohl, weil er davor nichts getan hat und auch jetzt nichts tun muss, weil es komplett selbstgefällige Wahlkampfrhetorik ist.
Jemand, der alles "eng mit unseren Partnern in Europa und den USA abstimmen" will - vielleicht bin ich naiv, aber ich war davon ausgegangen, dass das in den vergangenen zwei Wochen, zwei Monaten, zwei Jahren, 20 Jahren geschehen ist?
Jemand auch, der sogar in seinem so humanistisch aufgeregt tönenden Plan nicht verbirgt, um was es ihm geht – "2015 soll sich nicht wiederholen".
Das wird es nicht, Armin Laschet, Zeit ist linear, jedenfalls vordergründig – aber was will man auch von jemandem erwarten, der ernsthaft dem Mister Elektroauto die Vorzüge von Wasserstoffantrieb erklären will.
Es ist alles ein deprimierendes Schauspiel - menschenverachtend vor dem Hintergrund dessen, was in Afghanistan passiert. Ich halte das, ehrlich gesagt, nicht mehr aus.

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Oct 18, 2021
Ein paar Worte zu der Sache Springer, Reichelt, Döpfner – weil hier ein paar Dinge deutlich werden, die vor einiger Zeit angefangen haben, die Medienkrise als Demokratiekrise, und die sich in die nahe Zukunft erstrecken: die Radikalisierung des konservativen Spektrums.
Dass Reichelts Abgang von der @nytimes herbeigeführt werden musste, zeigt schon die Schwäche des deutschen Medienbetriebs - eine Art Omerta, die so weit geht, dass krass gegen die Pressefreiheit vorgegangen wird, ein verstörender Einschnitt für den Journalismus.
Verstörend, wenn auch nicht überraschend ist, dass dieser Angriff auf die Pressefreiheit aus jener Richtung kommt, die sonst sofort von #CancelCulture schwadroniert, wenn der hegemoniale Diskurs herausgefordert wird.
Read 9 tweets
Aug 29, 2021
Ein paar Worte zum Verhältnis von Markt und Staat, weil das in Laschets Klimaplan wieder an so prominenter Stelle auftaucht: Kurz gesagt, der Markt wird es nicht richten, er ist zu langsam, setzt falsche Prioritäten, ist nicht frei, sondern durch Einfluss und Interessen verzerrt.
Historisch gesehen ist der Klimawandel ein Ergebnis der kohlegetriebenen Industrialisierung und dem damit verbundenen – Andreas Malm nennt das "fossil capitalism", er zeigt, wie ein immer radikalerer Markt zur Bedrohung der Bedingungen wurde, die seine Existenz ermöglichten.
Was bedeutet das für uns? Erst einmal, dass eine Rhetorik wie die von Armin Laschet rein taktisch ist und nicht ernst gemeint - sein Klimaplan ist damit als Ideologie zu lesen, weil er die grundsätzlichen Erkenntnisse zum Entstehen der gegenwärtigen Krise ignoriert.
Read 9 tweets
Aug 22, 2021
Wir leben in Zeiten demokratischer Pathologien, und @rezomusik hat Arm in Arm mit Antonio Gramsci ein paar wichtige Punkte festgehalten über den Anything-goes-Konservatismus der radikalen Verantwortungslosigkeit.

Er führt dafür die zentrale Kategorie der Inkompetenz ein, die tatsächlich das fahrlässige Handeln vor allem von Akteur*innen der CDU/CSU prägt - und verbindet es mit der Kategorie Unehrlichkeit, man könnte aus sagen: der Täuschung oder der Lüge, mit Korruption als Daueroption.
Der Gramsci-Moment ist dabei, dass einerseits deutlich wird, wie überlebt das konservative Projekt schon lange ist – der Konservatismus hatte historisch die Funktion, den Fortschritt und dann immer mehr den Kapitalismus einzuhegen, sozial, moralisch, strukturell:
Read 11 tweets
Jul 17, 2021
Die wissenschaftsfeindliche journalistische Rechte will verhindern, Zusammenhänge zwischen Katastrophe und Klima zu benennen. Das ist schändlich. Das ist gefährlich. Das ist dumm. Das zeigt leider wieder einmal, dass Lobbyismus wirkt.
Man kann so eine Katastrophe nur „politisieren“, weil schließlich Politik das Spielfeld ist, in dem Lösungen gefunden werden innerhalb einer Demokratie.
Es ist nach allen Katastrophen, Stürmen, islamfeindlichen Attentaten, allem, das nicht ins rechte Weltbild passt, das gleiche Spiel - nur keinen Kontext, nur keine Erklärung, chiliastische Verhangenheit, Mythos der Tragödie.
Read 6 tweets
Jul 1, 2021
Die Berichterstattung über die Grünen und speziell Annalena Baerbock irritiert aus verschiedenen Gründen - und der Vergleich mit dem Wahlkampf 2016 in den USA und dem dramatischen Medienversagen ist da ganz hilfreich:
Die New York Times und andere amerikanische Medien haben verstanden und zum Teil eingestanden, dass sie damals die falschen Akzente gesetzt haben, aus Nebensächlichkeiten wie Clintons Emails ein Dauerthema gemacht haben und damit wirklich relevante Themen zu wenig beachtet haben.
Ähnliches geschieht nun im deutschen Wahlkampf: Während die Kandidaten der beiden anderen großen Parteien massive Skandale aufzuweisen haben, in die sie mutmaßlich verwickelt sind, Banken, Masken, Manipulation - sind es bei Baerbock immer seltsamere Petitessen.
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Apr 17, 2021
Es ist deprimierend: Im Frühjahr 2020 gab es eine große Bereitschaft in der Bevölkerung, das gemeinsam „zu schaffen“, ähnlich wie die beeindruckende basisdemokratische Reaktion in der Flüchtlingskrise 2015 - und wieder wird die Chance vertan, dieses Land neu zu definieren.
Die Energie hätte genutzt werden können, in der Realität des 21. Jahrhunderts anzukommen: schnellere Entscheidungen, mehr konkrete Verantwortung, flache Hierachien, Experimente, ein Arsenal von Maßnahmen, nicht das Warten auf „die“ oder „da oben“ -
nur leider waren „die“ oder „da oben“ nicht ganz auf der Höhe der (wenn auch nicht ihrer) Möglichkeiten: Der Moment der zivilgesellschaftlichen Transformation wurde verschenkt. Die Bürger*innen reagierten lange verantwortlich, sahen sich als Gesellschaft in der Verantwortung,
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