Im Zug.
Mann: Was haben Sie da gerade geflüstert!?
Ich: Eine Bracha, also einen Segen. Über mein Essen.
Er: Weil Sie so heilig sind?
Ich: Kennen wir uns? [Natürlich nicht.]
Er: Sie sind doch ein ach so heiliges Völkchen!
Ich: O danke!
Er: Zumindest halten Sie sich für heilig.
/1
Ich: Eigentlich wollte ich ja nur essen. Das ist übrigens das Ruheabteil.
Er: Mit Ihrem jüdischen Papstkäppchen das heilige Essen essen!
Ich: Die Kekse? Das sind wirklich nur Kekse. Und übrigens Kippa. Ich dachte, das hätte sie herumgesprochen.
/2
Er: Es hat sich ja auch rumgesprochen, dass... [lange krude Verschwörungstheorie, dass der angebliche Jude, der definitiv nichtjüdische Elon Musk, eine Fabrik in Brandenburg bauen ließe, die aus Rache an den Deutschen das Grundwasser Berlins verseuchen solle.]
/3 #Antisemitismus
Während der Mann quasselt, setze ich meine Kopfhörer auf; knabbere meine Kekse und singsange immer wieder leise vor mich, dass das hier das Ruheabteil im Zug ist. Hier sollte man Ruhe haben. Gerade auch vor Antisemiten.
/4 #Antisemitismus #juedischinschland #nichtohnemeinekippa
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Ein Journalist fragte mich in Sachen neuer #Antisemitismus-Studie, ob ich ihm die Top 10 meiner schlimmsten antisemitischen Begegnungen von 2022 nennen könne. Wie bizarr und traurig eine solche Top 10 wäre...
Okay, here we go!
1/11
Platz 10: Gehe mit einer Cola entnervt durch den heißen Zug.Mann:"Ist der Jude im feinen Anzug unterwegs,wenn wir hier schon im T-Shirt schwitzen!?Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen!?Ey, du!"-Ich:"Ey-duen Sie mich nicht!Und googlen Sie "Leinen" und "Anstand"." 2/11
Platz 9: Germanist erklärt mir, ich dürfe nicht öffentlichen kritisieren, dass "Jude" laut Duden ein diskriminierender Begriff sei, weil ich als Jude nicht genügend Feingefühl für die deutsche Sprache hätte. 3/11
Dienstag. Ich flüchte mich vor dem Regen in die nächste Tram. Meine Hose ist durchnässt, aber Regenjacke und -schuhe helfen dem Rest, trocken zu bleiben. Ich setze mich ganz hinten in den verwaisten Sitzbereich. Der Boden ist seicht unter Wasser, alles fühlt sich klamm, schwül…
…und vorherbstlich an: die Polsterung, die Stangen zum Festhalten, die Fensterscheiben, die Luft.
An der nächsten Haltestelle steigt ein Mann dazu und stellt sich telefonierend vor den Sitzbereich, den ich gewählt habe.
Er zieht eine wie ein Schwamm vollgesogene Mütze ab und lässt sie auf den Boden klatschen. Das erinnert mich daran, meine Kapuze abzusetzen.
Der Blick des Mannes fällt auf meine zur Regenjacke passenden grünen Kippah. Er würgt seinen Gesprächspartner am Hörer ab und legt auf.