Auswärtsfahrt. Wir gehen rein mit einem kleinen, persönlichen Thread für Interessierte zum Thema Ajax Amsterdam bzw. ihrer berüchtigten Fanszene, die sich grob unter dem Kürzel "F-Side" versammelt:
Der Begriff F-Side entstammt, äußerst überraschend, der Blockbezeichnung, in dem die Heimfans im mittlerweile abgerissenen "de Meer Stadion" standen. Dem Vak-F. (Anbei auch ein Bild von mir als kleiner Frechdachs bei einem meiner ersten Besuche dort Anfang/Mitte '90)...
Wer sich mit der F-Side auseinandersetzt, wird schnell bemerken, dass man immer wieder auf den offensiv präsentierten Davidstern trifft, was in der insgesamt sehr rechten und antisemitischen Fußballfanwelt als durchaus unüblich angesehen werden kann (wieder ich, in Rotterdam '95)
Zwar ist der Verein selbst nicht jüdischen Ursprungs, doch stand das alte Stadion in einem jüdischen Wohngebiet (Amsterdam war vor dem Holocaust mit geschätzten 100.000 Juden eine der größten jüdischen Communities). Dementsprechend setzte sich auch das Publikum zusammen. Nach...
...dem 2. Weltkrieg war erkennbar, dass viele Menschen aus diesen Vierteln dem Holocaust zum Opfer fielen. Aus Respekt und Trauer begann man, bestimmte jüdische Traditionen und Symboliken ein- bzw. Fortzuführen. Allzuviel blieb davon bis heute nicht übrig, doch es erklärt den...
...ständig präsenten Davidstern. Die Fanszene, die sich in den 70ern so langsam im Vak-F organisierte, merkte schnell, dass der Davidstern andere Fanszenen provozierte. Die Niederlande sind berüchtigt für extrem rechte Firms. Da Amsterdam zahlenmäßig meist die größte Firm...
des Landes darstellte, war man den verfeindeten Szenen lange überlegen. Um ihre stramm rechten Feinde doppelt zu demütigen, nannte man sich immer öfter "die Superjuden". Nebst Erzrivale Feyenoord Rotterdam, die auch zahlenmäßig ebenbürtig sind, sind die Szenen...
TW Gewalt! ...von Ado Den Haag und FC Utrecht weitere sehr rechtsextreme Gruppierungen die tief in die rechtsterroristischen Szenen des Landes verknüpft sind. Bis zum Auswärtsfahrverbot waren diese Spieltage von extremer Gewalt überschattet. Oft kam es auch zu Treffen abseits...
der Spieltagterminierungen. Bei der sog. "Schlacht von Beverwijk" '97, wo sich hunderte schwer bewaffnete Hooligans von Feynoord und Ajax am Rande einer Autobahn trafen, kam es zum ersten Totschlag/Mord, der direkt mit dieser Rivalität in Zusammenhang gebracht werden konnte.
Ajax-Hool Carlo Picornie wurde mit einem Tischlerhammer erschlagen, als er bereits bewusstlos am Boden lag und die zahlenmäßig deutlich unterlegenen Ajax-Hools bereits den Rückzug angetreten hatten. Noch Jahre später zeigte Feynoord eine Choreo über die gesamte Kurve, die jenen
Hammer abbildete gepaart mit dem Spruch "Ihr habt ihn zurückgelassen". Gleichzeitig ahmt das gesamte Stadion vor dem Anstoß gegen Ajax oft Zischgeräusche nach, die auf die Vergasung von Juden anspielen soll. Die F-Side selbst ist heute für nordeuropäische Fanszenen...
sehr multikulturell aufgestellt. Nebst weißen Europäern gibt es eine große Nordafrikanische und arabischsprachige Szene, eine große Szene von PoC, oft mit (Groß-)Eltern aus dem Surinam sowie viele Menschen indonesischer Abstammung, die sich unter dem Namen Moluku unter eigenem...
Banner in der F-Side präsentiert. Muslimische Anhänger nutzen die Vorwiese des Stadions nicht selten für Gebete, die mit der Spielzeit kollidieren. Das dies ungeschützt möglich ist und akzeptiert wird, wäre in den meisten niederländischen (und auch vielen anderen....
...nordeuropäischen Fanszenen) unvorstellbar. Die F-Side versteht sich aufgrund ihrer Zusammensetzung und der traditionellen Feindschaft mit rechten Szenen als antirassistisch. Als die European Defense League versuchte, mit antiislamistischen Mahnwachen und Patrouillen Fuß zu...
fassen, boxten Amsterdamer Hooligans diese kurzerhand aus der Stadt. Wobei dieses ikonische Bild entstand, was die Herrenrasse-Ideologie der Nazis leicht bloßstellte. Jedoch darf man nicht den Fehler machen, und die F-Side für eine linke Szene halten. Mit Politik hat man dort...
sehr wenig am Hut, was sich in den üblichen toxisch maskulinen Verhaltensweisen wie Sexismus, Homophobie und einer gewalttätigen Hierarchie widerspiegelt. Auch die Amsterdamer Szene ist eng mit dem Milieu verknüpft und Wortführer sind nicht selten landesweit bekannte...
Schwerverbrecher. Vor kurzem erlag eine "Hooligan-Legende", Pollertje, Schusswunden. Pollertje war lange aktiv in der Fanszene und wegen Beteiligung eines Überfalls in einem Sexclub mit vierfachen Mord verurteilt. (Symbolbild, nicht Pollertje)
Zurück zum Positiven: Stimmungstechnisch sucht die F-Side in Nordeuropa oft ihres Gleichen. Die "Entradas", das Warmsingen vor dem Stadion vor wichtigen Spielen, bieten ei Flair, wie man es sonst nur aus Südeuropäischen oder -amerikansichen Szenen kennt.
Auch hat die F-Side vor einiger Zeit ein Statement auf der Homepage verfasst, was sich grob übersetzt wie folgt liest: "Natürlich sind wir gegen Diskriminierung, solange ein Jude nkch tritt seiner Kippa ohne Angst durch die Stadt laufen kann, solange Schwule nicht ohne Bedenken..
.Hand in Hand unsere Grachten entlangschlendern können, Menschen von Türstehern wegen ihres Aussehens abgewiesen werden." Solange setzen wir uns gegen Rassismus (Diskriminierung) ein." Zwar fehlt in der Umsetzung da m.E noch einiges, doch wenn man bedenkt, WIE toxisch so große...
...Szenen i.d.R. sind, halte ich das für einen wichtigen ersten Schritt. Beenden möchte ich diesen Reisethread mit dieser kleinen aber feinen Anekdote: Als Ziggy Marley durch Europa tourte, durfte er in der Halbzeit Papas "Three little birds" vor der F-Side performen (dieser Song
ist soetwas wie die inoffizielle Hymne der Kurve). Er war so begeistert von der Stimmung und Lautstärke, dass er die Tour im Ajax-Trikot fortsetzte. Sein nächster Gig war in? Richtig! Rotterdam. Es dauerte wohl ganze 60 Sekunden, bis er das Konzert unterbrach um sich umzuziehen.
Alle Angaben ohne Gewähr und nur im besten Wissen niedergeschrieben. Lasse mich gerne korrigieren, sollte es wider erwarten jemand derart jucken.

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2 Nov
Immer, wenn Leute sich liberal nennen, kommt anschließend selbsgerechte und rechtsoffene Grütze zutage. Ob Politik oder Journalismus, macht da keinen Unterschied. Man merkt, diese Autorin sah sich noch nie mit Rechten (Menschen) konfrontiert geschweige denn, musste sie sich von
ihnen Bedroht fühlen. Ich kann diese Voltairsche Verklärung der Toleranz von weißen Menschen nicht mehr lesen und hören. Garniert wird diese Widerlichkeit von Kommentar dann auch noch mit spitzfindig-kindisch-utopischen Vergleichen a la "stellt mal lieber das Internet ab", die
lediglich der Lächerlichmachung dienen sollen und der "Ausschließeritis", einer Wortkreation, über die sich Rechte Boomer, die auch gerne mal eine Cancel Culture herbeifantasieren, freuen dürften. Es ist frustrierend, wie diese Menschen geglaubte Fortschritte immer wieder
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