Thread by @pablodiabolo

Also, @ganzoffengesagt: Die älteren Frauen haben also wegen der Chats erkennen müssen, dass Sebastian Kurz doch nicht der perfekte Schwiegersohn, sondern ein ganz normaler junger Mann sei: das ist der Schlüsselsatz im ca einstündigen Interview von @StefanLassnig mit dem Tiroler

ÖVP-Politiker Franz Hörl. Ein ganz normaler junger Mann ist also der doppelt gescheiterte Kanzler. Und ganz normal soll auch alles werden, was Franz Hörl sagt. Ich weiß gar nicht, ob der Zillertaler Hotelier weiß, welche Diskursstrategie, die Verschiebung des „overton window“,

des Denk-, des Sag- und schließlich auch des Machbaren er da betreibt. Aber seine Gegenüber sollten es wissen. Wohlgemerkt: der Interviewer schlägt sich gut, er fraternisiert trotz x Versuchen von Hörl kaum, er ist gut vorbereitet, gibt Konter, konfrontiert Hörl mit der Wahrheit.

Aber das kommt gegen den Wasserfall an Halbwahrheiten nicht an. Der ÖVP-Politiker bringt Ungefähres und Lustiges wie Fakten daher, hin und wieder macht der Interviewer auf Unschärfen aufmerksam, dann kann Hörl problemlos zurück, aso jå woaß i jetzt a nit so genau, aber wos i

eigentlich sågen wollt, bitte låss mi ausreden...

Aber du kannst den Mann nicht einladen und dann jede seiner Antworten auseinandernehmen, das geht vorbereitungstechnisch und in Real Time nicht und das geht auch atmosphärisch schwer. Und so kann Hörl dann doch ungestört die

Geschichte aufbauen, Corona hätte Ischgl Anfang Feber 2020 überrascht und niemand hätte wissen können, was komme. Wahr ist: zwei Wochen früher ist wegen einzelner Verdachtsfälle in Innsbruck ein ganzes Hotel polizeilich geräumt und gesperrt, am Brenner ein Zug für zwei Stunden

vom Militär an der Einreise gehindert und eine deutsche Schulklasse an der Grenze abgefangen und über Nacht in einer Feuerwehrhalle untergebracht worden. Wahr ist auch: in den ZeugInnenaussagen zu Ischgl ist schon zwei Wochen vor dem Saisonende die Rede davon, dass auf den

Skihütten alle Kellnerinnen mit Schals als Mundschutz herumliefen und der sonst sehr touchy Hüttenwirt den GästInnen nicht einmal mehr die Hand gebe. Und Tatsache ist auch, dass entgegen Hörls Behauptung von damals noch entspannten Tiroler Medizinkoriphäen, zu diesem Zeitpunkt

längst zahlreiche VirologInnen gewarnt haben. Aber im Interview schwierig zu handeln: Hörls Märchen schwer überprüfbar, alles auf explizite Nachfrage, wer denn die Tiroler Koriphäen waren (die ausbleibt) nicht beantwortet werden muss. Hörl bastelt hier sehr effektiv und mit

wenig Widerspruch an seiner ganz eigenen Geschichte, an einer neuen Normalität.

An mehreren Stellen im Gespräch ist diese Absicht - die Verschiebung der Normalität - dann ganz transparent: immer dann, und das passiert unzählige Male, wenn sich der Interviewte selbst als Stimme

der Vernunft innerhalb seiner Lobby darstellt, wenn ihn „seine Leit“ geschimpft hätten, wenn er von Unternehmern für hunderte Jobverluste verantwortlich gemacht worden sei und was er in den eigenen Reihen nicht alles aushalten haben müsse und hast du nicht gesehen. Da habt ihr

es ganz offen gesagt: seid froh, dass ihr mich habt, weil ich bin noch die gemäßigte Stimme, hinter mir stehen Horden von viel wilderen Leuten und seid froh, dass ich zwischen euch und denen vermittle. Diskursverschiebung, wie aus dem Lehrbuch.

Auf einmal ist Franz Hörl, der Rechtsaußen der ÖVP, der durch Sexismus und Rassismus Schlagzeilen machte, der weltweit letzte deklarierte Fan von Sebastian Kurz, der ist jetzt die neue Mitte. Das ist das Ziel solcher Auftritte und das gelingt: weil es gelingen muss, wenn man ein

Gespräch mit solchen Leuten führen will, weil ein auf Fakten beharrendes und Logiken und Konsistenz einforderndes Gespräch mit einem wie Hörl nicht funktioniert. Du kannst den Redeschwall nicht live factchecken, du kannst die Unwahrheiten nicht im Nachhinein herauspiepsen und du

kriegst sie auch gar nicht zu fassen: weil das Dinge nur ungefähr sagen und im Zweifel als Schmäh gemeint haben dieser Kommunikationsstrategie so inhärent ist, dass es das Gespräch anders nicht gibt. Hörl hat das nicht erfunden, ich glaub er hat es nicht einmal gelernt. Aber in

einem toxischen Tal und in einer autoritären Organisation setzen sich die durch, die mit ihrer Kommunikation eigene Realitäten schaffen und ihre Interessen damit durchzusetzen vermögen. Ein Naturtalent in Sachen Trumpscher Realitätsverschiebung und Machtausübung, quasi.

Und dann wäre da noch die Ebene Männer und Frauen, die wäre noch einmal einen eigenen Beitrag wert: wen er aller kennt (wenn auch dann doch nicht mit Vornamen), mit wem er schon wo zusammengesessen ist und wem er schon aller den Kopf gewaschen haben will. Namedropping ohne Ende,

it‘s a man‘s world, die einzige Frau, die vorkommt, ist die angefeindete Virologin von Laer.

Schwere Kost, in Passagen unfreiwillig komisch, in Summe trotzdem gefährlich. Ich sehe das Positive daran: richtig gehört zeigt dieses Gespräch mit Franz Hörl, warum man keine solchen

Gespräche mit Franz Hörl führen sollte. Jedenfalls nicht vor Publikum.