Sehr wichtige Beobachtung. Gerade bei Menschen, die vorsichtiges Verhalten aggressiv als als "übertrieben" kritisieren und einen angehen, man könne doch "nicht dauernd Panik schieben ", was frau gar nicht tut, springt mir deren abgewehrte eigene Angst förmlich ins Gesicht.
Eine solche Dynamik von Angstabwehr ist für mich als psychoanalytisch geschulte Therapeutin selbstverständlich. Den meisten Menschen erscheint es befremdlich, wenn ich vermute, dass hinter lautem "Zurück zur Normalität!" Geschrei in Wirklichkeit sehr viel Angst steckt, 2/
je lauter und aggressiver, desto mehr. Maßnahmengegner bekämpfen Maßnahmen und bekämpfen die, die Maßnahmen fordern, weil Maßnahmen sie dauernd erinnern, dass immer noch Pandemie ist, und weil sie mit der anhaltenden Bedrohung durch das Virus nicht umgehen können. 3/
Deshalb muss für das Wiedererlangen der psychischen Stabilität die real weiterbestehende Gefährdung geleugnet werden und die Maxime ausgegeben werden, die Pandemie sei eigentlich vorbei. Fatalerweise werden Politiker und andere Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und 4/
genau dieses verkünden, dann als Heilsbringer gefeiert.
Selbstverständlich sind nicht alle Maßnahmengegner von abgewehrter Angst getriggert. Es gibt durchaus sehr reale und vernünftige Gründe, warum man Maßnahmen kritisiert. Kinder, Jugendliche und Familien kommen tatsächlich 5/
in schwierige Situationen, wenn Präsenzunterricht und Betreuung ausfällt. Restaurantbesitzer und andere Menschen, die plötzlich viel weniger oder gar nichts mehr verdienen, fürchten sehr berechtigt um ihre Existenz und wünschen sich ein schnelles Ende der Maßnahmen. Und allein 6/
der Wunsch nach Freiheit, Geselligkeit, nach Großveranstaltungen und Reisemöglichkeiten ist natürlich auch nachvollziehbar und ziemlich normal.
(Psycho-)pathologisch verdächtig wird es an dem Punkt, wo die anderen Argumente, die für mehr Sicherheit und Infektionsschutz 7/
sprechen, überhaupt nicht mehr gehört werden dürfen,
und wo die, die Sorgen artikulieren, aggressiv angegangen werden. Spätestens,
wenn bisher unantastbare humanitäre Grundsätze über Bord geworfen werden,
weil man sich z.B. nicht einmal mehr mit der Gefährdung von Menschen
8/
auseinandersetzen will, die wegen Vorerkrankungen dem Virus besonders wenig entgegenzusetzen haben,
nicht einmal mit der Gefährdung von Kindern und Babys,
würde ich davon ausgehen, dass unbewusste Angstabwehr die treibende Motivation ist.
Weil Menschen normalerweise nicht so
9/
agieren, wenn sie nicht subjektiv selbst in existentieller Not sind.
Leider ist das mit Betroffenen nicht besprechbar,
sind unbewusste Faktoren der gesellschaftlichen Meinungsbildung öffentlich nicht darstellbar und verhandelbar.
Das verstehe ich. Was ich nicht verstehe:
10/
Warum holen sich Politiker, die wichtige Entscheidungen für das Wohl des ganzen Landes zu treffen haben, nicht kompetente Berater ins Boot,
die ihnen auch solche Zusammenhänge erklären
und sie auf ihre eigenen Mechanismen der Realitätsverleugnung aufmerksam machen und
11/
sie dadurch befähigen, richtig abzuwägen und gute Lösungen zu entwickeln?
Klar, für den kurzfristigen Machtgewinn braucht's das nicht, da ist es für eine Politikerkarriere eher hinderlich, wenn man selbstreflexiv unterwegs ist.
Aber könnte es sich nicht selbst für Politiker
12/
langfristig auszahlen?
Liest hier noch irgendjemand mit?
Jemand, für dessen Entscheidungen das relevant wäre?
Verzeiht mir!
Ich weiß, ich bin eine
hoffnungslose Optimistin.
13/13
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Was ich als Psychotherapeutin Eltern sage:
Wenn ein Kind morgens weint, weil es nicht in die Schule will, sollte es nicht gezwungen werden, sondern emotionale, ggf. auch therapeutische Hilfe bekommen. Wenn die Angst begründet ist (z. B. eine Bedrohungs- oder Mobbingsituation
1/
oder zuviel Leistungsdruck), braucht das Kind Hilfe, damit sich diese Situation ändert.
Wenn der Grund der Angst ein manifester ist, braucht es manchmal z.B. einen Schulwechsel.
Wenn das Kind aus Angst weint, und die Eltern diese Angst begründet finden,
2/
und selbst Angst haben
und sich die Bedrohungssituation
momentan mit rechtlichen Mitteln nicht abstellen lässt,
weil Polizei nicht zuständig und Staat seinen Aufgaben nicht nachkommt,
würde ich mein Kind nicht in die Schule schicken.
Ich bin keine Juristin,
3/
Dringende Leseempfehlung für den unten verlinkten Artikel von Raina MacIntyre. Hervorragende Zusammenfassung, wo wir aktuell mit Omicron stehen und warum wir nicht auf Herdimmunität, Impfungen alleine oder das baldige Erreichen eines endemischen Zustands hoffen sollten. 1/2
Liebe Journalist*innen perfekte Vorlage für Euch! Bitte nehmt die in diesem Artikel zusammengefassten Informationen, adapiert das an unsere deutsche Situation, übersetzt und publiziert es, damit mehr Bürger verstehen, warum es höchst problematisch ist, Omicron laufen zu lassen.
@TenenbaumTobias Wer kann momentan quantifizieren, welche psychischen Schäden durch den Lockdown versus andere Implikationen der Pandemie verursacht sind? Wer kann quantifizieren, welche Organschäden covidinfizierte Kinder langfristig davontragen? Ich nicht. Sie auch nicht. 1/...
@TenenbaumTobias Als FÄ für Psychosomatische Medizin mit therapeutischer Zusatzqualifikation für KJP verstehe etwas von körperlichen und seelischen Zusammenhängen. Mir machen die unabwägbaren Folgen der Infektion mit einem neurotropen und das Endothel schädigenden Virus mehr Sorgen. 2/...
@TenenbaumTobias Ein Großteil der Kinderärzte scheint sich um die Psyche der Kinder am meisten Gedanken zu machen, die angeblich maximal durch Schul- und Kitaschließungen belastet wird, während Kinder- u. Jugendpsychiater und -therapeuten das überwiegend anders sehen. 3/...