Ich will zum #weltfrauentag2022 daran erinnern, dass Frauen betrogen, verschleppt, verkauft, weiterverkauft, gefoltert und als Sex-Objekte ausgebeutet werden. Heute, jetzt, in Österreich. Und dass unsere Gesellschaft & Staat sie fallen lässt. Das ist die Geschichte von Kate. 🧵
Alle betonen, dass man gegen Menschenhandel wenig ausrichten könne, weil die Opfer nicht aussagen. Die Geschichte von Kate zeigt, was passiert, wenn eine trotz Lebensgefahr aussagt: Sie darf bleiben, solange sie für das Verfahren nützlich ist - dann wird sie abgeschoben.
Kate kommt aus einem Dorf in Nigeria. Mit 20 wurde sie mit der Aussicht auf einen Job nach Italien gelockt. Dort wurde sie mit roher Gewalt und Folter zur Prostitution gezwungen. Als ihnen die Polizei auf den Fersen ist, verkaufen sie die Menschenhändler 2005 nach Wien weiter.
Kate muss mit einer falschen Geschichte um Asyl ansuchen. Als Asylwerberin ist ihr der Arbeitsmarkt verwehrt - als Prostituierte darf sie legal arbeiten. Als sie sich weigert, verprügelt sie einer der Menschenhändler, sie wird stundenlang in einem Keller gesperrt. Sie fügt sich.
Kate löst sich langsam aus der Ausbeutung, lernt ihren späteren (österreichischen) Mann kennen, lernt deutsch. Ihr Asylantrag wird abgelehnt, sie geht zur Polizei und erzählt ihre wahre Geschichte. Sie legt Dokumente, Überweisungsbelege vor, zeigt Wohnungen und nennt Namen.
In Italien hätte sie dank so einer Aussage Aufenthaltsstatus bekommen. In Österreich darf sie allerdings nur so lange bleiben, wie sie für das Verfahren nützlich ist. Doch da sich die Menschenhändler in Italien befinden, kommt es in Österreich zu keinem Verfahren.
Am 20.1.2010 holt die Polizei Kate aus ihrer Wohnung. Sie weiß nicht, worum es geht. Sie landet in einer Abschiebezelle in der Rossauer Kaserne. Am nächsten Tag versucht eine Demonstration, die Abschiebung zu blockieren - ohne Erfolg. (@tschoka23 hat da fotografiert, glaube ich).
Als sie in Lagos landet, hat sie ihren Wintermantel an und ihre Handtasche. Sonst nichts, kein Geld. Sie kann nicht in ihre Region zurück - es hat sich natürlich herumgesprochen, dass sie ausgesagt hat, die Gefahr für sich und die Familie sind zu groß. Sie taucht bei Lagos unter.
2012 habe ich Kate in Nigeria ihrem Unterschlupf besucht. Sie war schwer traumatisiert, allein, voller Angst. Ihr Vater starb, ohne dass sie ihn nochmal sehen konnte. Ihr Lebensgefährte versucht alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit sie nach Wien zurückkehren kann. Erfolglos.
Die einzige Möglichkeit scheint eine Heirat. Es dauert Jahre, bis Kate und ihr Lebensgefährte die Dokumente haben, sie darf aber auch nicht zur Hochzeit einreisen. 2018 heiraten sie in Nigeria. Es dauert noch einmal zwei Jahre, bis sie im Januar 2020 ein Touristenvisum bekommt.
15 J nachdem sie nach Wien verschleppt wurde, 10 J nach ihrer Abschiebung kehrt Kate zurück. Sie beantragt Aufenthalt - wieder ohne Erfolg. Das Visum läuft aus, doch es ist Pandemie, Kate bleibt. Im November 2020 sprach ich mit ihr für die @zeitonline: zeit.de/2020/46/asylpo…
Heute habe ich Kate gefragt, ob sie mittlerweile einen Aufenthaltsstatus hat. Die Antwort ist immer noch: Nein. Diese Frau wurde ist in Wien, mit Österreichern als Kunden, in der Prositution ausgebeutet. Sie hat das getan, was alle immer fordern: Sie hat ausgesagt.
Sie hat damit ihr Leben aufs Spiel gesetzt, aber da sie für nicht nützlich genug war, hat man sie dorthin abgeschoben, wo sie am meisten gefährdet war, und bis jetzt schließt man ihr die Türen - auch noch als Ehefrau eines Österreichers. Leider ist Kate kein Einzelfall.
Gerade sehen wir ein kurzes Schlaglicht auf Menschenhändler an den Grenzen zur Ukraine, die dort Mädchen und Frauen abpassen. Das passiert nicht nur jetzt gerade, sondern ständig, vor unsere Augen, und wird mit Schulterzucken quittiert.
Für das Buch "Ware Frau" haben ich vor Jahren mit Mary Kreutzer über Menschenhandel aus Nigeria recherchert. Eine der erschreckendsten Erkenntnisse war die Gleichgültigkeit, mit der fast die gesamte Gesellschaft Frauenhandel hinnimmt. (hier als ebook : amazon.de/Ware-Frau-Spur…)
Es gibt so viele wichtige Aspekte zum #weltfrauentag2022, Frauenhandel ist besonders unerträglich. Weil die ganze Gesellschaft zusieht. Es geschieht vor unseren Augen, Österreicher sind die Kunden und zucken die Schultern. That's it, that's the thread. Schaut hin.

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Nov 30, 2021
Es kann mir niemand erzählen, dass die dzt Corona-Schulregeln zum Wohl der Kinder sind. Die sind zum Wohl derer, die den Ausfall der Eltern in der Arbeit nicht zahlen wollen, weil „koste es was es wolle“ für Hotels und Betriebe, aber nicht für Kinder gilt. Ein Beispiel:🧵
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