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Mar 11 13 tweets 3 min read
Statt von Putin als den Alleinverantwortlichen für den Krieg in der Ukraine, meinen viele Analysten von berechtigten russ. Sicherheitsinteressen und der NATO-Osterweiterung als dem Grundübel des Krieges sprechen zu müssen. Was eine deutsche, aber nicht (ost)europäische Sicht ist.
Das fängt schon mit dem teilweise verklärten und romantischen Russlandbild an. Und dies symbolisiert niemand so wie Michail Gorbatschow. Hier in Deutschland ist er der liebe Gorbi, der uns die Einheit geschenkt hat.
In unseren östlichen Nachbarländern ist er aber auch der Gorbatschow, der Panzer losgeschickt hat, um mit Gewalt den Zerfall der Sowjetunion zu stoppen. So wurden am 13. Januar 1991, dem sogenannten Blutsonntag von Vilnius, 14 unbewaffnete Zivilisten umgebracht.
Erinnert sei auch an den August-Putsch 1991, welcher endgültig zum Zusammenbruch der Sowjetunion führte. Deutschland war da schon vereinigt und in der NATO sicher. Die ostmitteleuropäischen Staaten waren aber bündnislos und hatten Sowjettruppen zu Hause.
Die hatten in diesen Tagen wirklich Angst, dass ihre jungen Demokratien und die Tage der Souveränität und Freiheit bald wieder Geschichte sein könnten. Und diese Angst haben sie die ganzen 90er Jahre nicht abgelegt. Und dies nicht zu Unrecht.
Wir hier in DE sehen das Russland der 90er Jahre als die des wilden ausbeuterischen Kapitalismus unter dem trinkfreudigen Jelzin. Die Ostmitteleuropäer sahen aber auch einen wankenden gefährlichen russischen Bären, bei dem man nicht wusste, wie sich dessen Politik entwickelt.
Die Verfassungskrise 1993, bei der Jelzin das Weiße Haus zerschießen ließ, damals Sitz der Volksdeputierten, die damaligen Erfolge der Kommunisten und des Nationalisten Schirinowski, all dies schürte in Ostmitteleuropa Misstrauen gegenüber Russland.
Mit Putin wurde es nicht besser. Hier ist man teilweise immer noch geblendet von seiner Bundestagsrede 2001. In Polen, Tschechien, den baltischen Staaten mit ihrer starken russischen Minderheit, sah man aber auch den Putin, der Tschetschenien zu einem Trümmerfeld gemacht hat.
Bei dieser Sichtweise ist es mehr als nachvollziehbar, dass diese Staaten Schutz in der NATO suchten. Wenn man sich den miserablen Zustand der dortigen Armeen anschaut, kann man sogar sagen, sie fühlten sich in der NATO so sicher, dass sie die Verteidigung vernachlässigt haben.
Während seiner Präsidentschaft zwischen 1990 und 1995 hat Lech Walesa, immerhin Friedensnobelpreisträger, aber noch vorgeschlagen, der Ukraine Atombomben abzukaufen. Laut der New York Times soll Polen sogar mit eigenen Atombomben gedroht haben, falls man nicht in die NATO komme.
Man kann also auch sagen: Ohne die NATO-Osterweiterung hätten wir vielleicht in Ostmitteleuropa hochgerüstete Staaten, die das Potential hätten, halb Europa in Schutt und Asche zu verwandeln. Das sollten die Kritiker der NATO-Osterweiterung bedenken. nytimes.com/2018/05/08/mag…
Dies sollte man auch bedenken, wenn man eine Lösung für die Ukraine sucht. Russische Einflusssphären oder prorussische Regierungen mögen durch den deutschen Tunnelblick perfekt erscheinen, sind aber keine dauerhafte Lösung. Weder für die Ukraine, noch für Belarus...
...und die anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Auch in diesen wird Russland mit Misstrauen betrachtet, wenn nicht von den den zum Teil autoritären Regierungen, dann zumindest von der Bevölkerung. Und auch Autokraten regieren nicht ewig.

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Jun 4, 2021
Wie in #Belarus Menschen gebrochen werden, sah man gestern. Erschreckend ist aber, wie "alternative Medien" in Deutschland diese Menschen hier diffamieren. Und der Autor des Pamphlets ist auch noch jemand, der sich seine Texte von russischen Staatsorganisationen bezahlen lässt.
2016 drehte der NDS-Autor Ulrich Heyden Telepolis zwei Berichte, darunter ein Interview mit Pretzell, von der Krim und von der Hannoveraner Messe an. Erst im Nachhinein musste hinzugefügt werden, dass diese Berichte ohne russische Finanzierung nie entstanden wären.
Daher spricht es auch nicht für die Seriosität der Nachdenkseiten, die so gerne die "etablierten Medien" kritisieren und deren Gründer Albrecht Müller überall "Einflussagenten" der USA vermutet, wenn sie ausgerechnet solchen zwielichtigen Gestalten Platz einräumen.
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