Folge 6 der Infoserie #Sexarbeit & Medien beschäftigt sich mit #PLURV, nämlich mit R wie Rosinenpickerei + V wie Verschwörungserzählungen.
Beispiele sind die ebenso einflussreiche wie unwissenschaftliche Forschung von Melissa Farley et al und das "Lobby"-Argument./1
Zum verschwörungserzählenden Lobbybegriff hier ein Zeitfragen-Beitrag von @dlfkultur. Denn im Gespräch weisen Journalist*innen oft auf die Seriösität ihres Mediums hin: WIR arbeiten doch nicht SO!
Really?! Der renommierte @dlfkultur macht genau das./2
deutschlandfunkkultur.de/armutsprostitu…
Mehr inhaltliche Kritik zum Beitrag später im Thread.
Mit #PLURV werden Des - und Fehlinfos verbreitet.
R wie Rosinenpickerei
Nur die zur Position passenden Argumente werden angeführt. Es ist eine Pseudowissenschaftliche Argumentationsweise, die Repräsentativität verhindert./3
V wie Verschwörungserzählung
Es handelt sich um reine Annahme, die sich einer Nachvollziehbarkeit entzieht. (auch Verschwörungsmythos; Verschwörungstheorie)
Zur Abgrenzung unter diesen Begriffen empfehle ich diesen Beitrag der @AmadeuAntonio-Stiftung./4
amadeu-antonio-stiftung.de/verschwoerungs…
Beispiele für Rosinenpickerei:
Wie so oft hilft ein Blick auf besser in Bezug auf #PLURV untersuchte Themengebiete, wie Klima o. COVID19.
Hier mal ein paar Techniken, wie Rosinenpickerei stattfindet:
-Isolierte Beispiele (Tokens, die nicht repräsentativ sind)
/5
-Spezifiziertes Interesse (Betrachtungs einer Gruppe)
-Spezifische Orte (Straßenbasierte Sexarbeit)
-Quote Mining (Aus dem Kontext gerissene Zitate)

und insbsondere für den Sexarbeitskontext:
Suggestive Umfragen, suggestive Fragetechniken in Forschungsarbeiten
/6
Ein klassisches Beispiel für Rosinenpickerei sind die "Forschungen" von Melissa Farley et. al.
Wer ist Melissa Farley?
Farley (*1942) ist eine klinische Psychologin und Aktivistin gegen Pr*stitution und P*rn*grafie./7
de.wikipedia.org/wiki/Melissa_F…
Ihre Studien (Farley I + II 1998 | Farley III 2003) fanden viel Beachtung, obwohl sie weder repräsentativ sind, noch ausreichend wissenschaftlich fundiert durchgeführt wurden.
Die Farley-Studien spielen für Deutschland eine zentrale Rolle./8
z.B. beim Beschluss des "Prostituiertenschutzgesetz" (ProstSchG) von 2017. Bis heute nutzen Medienvertreter*innen sie für (kurzsichtige) Recherche und berufen sich auf sie.
Farley et al. bezeichnen die Auswahl der Teilnehmer*innen ihrer Studie selbst als "opportunistisch". /9
Viele waren Klient*innen von Beratungsstelle oder Ausstiegsprojekten.
Straßenbasierte Prostitution und Beschaffungsprostitution waren überrepräsentiert. Das führt zu einem one-fits-all-Bild, das v.a. durch eine hohe Gewaltbetroffenheit geprägt ist. /10
Sexarbeit als Escort oder im Bordell dagegen wurden unterrepräsentiert, denn diese Sexarbeiter*innen entsprechen nicht den Rosinen, die Farley et al für ihr Fazit picken möchten.
Eine Kernaussage der Farley I-III Studien ist,.../11
... dass Sexarbeitende höher vom Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) u/oder Traumafolgestörung betroffen seien als der Durchschnitt der Gesellschaft.
In aller Kürze: Die Definition von PTBS und Traumafolge-störungen hat sich zwischen 1998 und heute stark geändert - .../12
das hat Auswirkungen auf die Schlussfolgerungen und Kriterien von Farleys Untersuchungen. Ebenfalls nicht untersucht wurden Effekte von Stigma.
Wen das näher interessiert, dem lege ich den Text von Gerhard Walentowitz (via Doña Carmen 2019) ans Herz./13
donacarmen.de/wp-content/upl…
Mediale Rezeption
Medial werden Farley I-III oft für polarisierende Nachfragen an Sexarbeitende oder Aktivist*innen für Sexarbeitsrechte genutzt. Dabei geht die valide Kritik von Forschenden und Sexarbeitenden am Bias dieser Arbeiten und ihrem Sendungsbewusstsein verloren./14
Sorry (not), aber wir müssen nochmal über Confirmation bias - Bestätigungsfehler reden.
Aus den Erfahrungen der medialen Darstellung von Covid19 & Klimakrise und aktuell durch den Krieg in der Ukraine könnten Medien viel dazu lernen. Aber der Bestätigungsfehler verhindert's./15
Über Falschinfos und sogar Lügen, die trotz alledem leichter für die Mehrheitsgesellschaft konsumierbar sind, als die nüchterne, evidenzbasierte Realität. Das trifft auf Sexarbeit auch zu, umso mehr, als Sexarbeitsfeinlichkeit & Hurenstigma tief kulturell verankert sind./16
Wegen des Bestätigungsfehlers fällt Farleys et al Rosinenpickerei auch versierten Journalist*innen nicht auf.
Schlimmer: Ihre persönliche Verflechtung mit der Anti-Sexarbeits-Bewegung wird ebenfalls fast nie erwähnt. Das allerdings können Menschen wissen, die 1 min googeln./17
Nun zu Verschwörungserzählung(en). Ich habe das Beispiel der "Prostitutionslobby" ausgewählt. Zitat Beitrag @dlfkultur:"Die Frauen sind oft völlig schutzlos und haben praktisch keine Lobby. Denn die „Pro-Prostitutionslobby“, die gerne von Sex-Arbeiterinnen redet (...)/18 Image
(...) vertritt die Interessen der Betreiber und der Minderheit der Prostituierten, die diesen Beruf vielleicht wirklich frei gewählt hat und davon menschenwürdig leben kann."
3 Punkte:
1. Der Begriff (Pro-)-Prostitutionslobby ist ein Kampfbegriff der Anti-Sexarbeitsbewegung.
/19
2. Was oder wer in der Sexarbeit in der Minderheit ist, ist nicht erwiesen.
3. Sexarbeiter*innenrechte sind Arbeiter*innenrechte. Der Begriff Lobby ist Diffamierung ad-hominem. (s. Folge 5 der Infoserie)
Diese Slurs sind veröffentlicht im renommierten Medium @dlfkultur./20
Der Deutschlandfunk hat sich nicht ein einziges Mal zu meiner Kritik geäußert. Grüße gehen raus an: @DLFmedien @DLF & @DLFmedien. Putin-Versteher*innen, Querdenkende beanspruchen regelmäßig bei Euch kostbare Öffentlichkeit zu beanspruchen. Na, das passt gut zusammen mit #SWERFs. Image
Ich möchte nicht auf dieser bitteren Note schließen:
Es ist zäh und es ist Arbeit, aber alle können mithelfen. Die 6 Folgen der Infoserie bieten Ressourcen, sich zu Des- + Fehlinfos über Sexarbeit weiterzubilden.
Teilt die Serie gern.
Für diskriminierungskritischen Journalismus!
. @threadreaderapp pls unroll

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Mar 21
Infoserie Sexarbeit & Medien, Folge 5:
Logikfehler & Unerfüllbare Erwartungen.
Außerdem geht's um die Frage der journalistischen Neutralität, den Begriff der Ko-Orientierung, 5 Jahre #ProstSchG sowie ein Positivbeispiel aus der aktuellen Berichterstattung.
Ein Thread.🧵
1/x
Logikfehler & Unerfüllbare Erwartungen stelle ich als Teil von #PLURV vor. Schaut mal in die Grafik, da steht, was PLURV umfasst und bedeutet. In Folge 4 ging es auch schon um Pseudo-Expertise.
Logikfehler ist ein Sammelbegriff für Scheinargumente.
!B
2/x HYDRA eV: Beratungsstelle und Treffpunkt für Sexarbeitende
Dazu gehören
- Vereinfachungen
- Verzerrungen
- bewusst in-Kauf-genommene Mehrdeutigkeit
- Strohmann - Argument
- ad hominem Argument*
*ad hominem: auf die Person gerichtetes Scheinargument, das bewusst angreift.

Wie wird verzerrt und vereinfacht?
3/x
Read 27 tweets
Feb 22
Moin,
es ist Dienstag, und das bedeutet:
Folge 4 der Infoserie "Sexarbeit & Medien" kommt raus. Das Thema heute
#plurv & Pseudo-Expert*innen zu Sexarbeit.
Thread.
/1
Pseudo-Expert*innen treten politisch oder medial als Sachverständige oder (unabhängige, haha) Expert*innen auf.
Sie beanspruchen Raum in Debatten, fallen dort aber durch einseitige und voreingenommene Meinungen auf, die nicht revidiert oder differenziert werden./2
PLURV verbreitet Desinformation, über COVID19 oder die Klimakrise. Und über Sexarbeit, z.B. in den Medien.
P = Pseudo-Expert*innen
L = Logikfehler
U = Unerfüllbare Erwartungen
R = Rosinenpickerei
V = Verschwörungserzählungen
Danke, @klimafakten!/3
klimafakten.de/meldung/p-l-u-…
Read 21 tweets
Feb 15
Heute ist Dienstag und das bedeutet, dass heute
Teil 3 der Info-Serie "Sexarbeit & Medien" rauskommt.

Thema ist die SWR-Doku "Raus aus der Prostitution".
Dazu gibt es hier schon einen längeren Thread, den ich am Ende verlinke.
Jetzt aber zur aufbereiteten Analyse. /1 Image
Tokenismus = Feigenblattpolitik.
Von Tokens (engl.) = Spielsteine, Marionetten.
Ex-Kollegin Nadine wird in diesem Film zum Token der Anti-Sexarbeitsbewegung. Beispielhaft dafür: Sie wird zur Symbolfigur während Kritik an ges. Strukturen, die den Umstieg erschweren, ausbleibt./2 Image
Wichtig: Meine Kritik richtet sich nicht an Nadine, sondern an die Autorin und an den SWR, dessen Redaktion zulässt, dass Stimmung gegen Sexarbeit durch Stereotype und Sexarbeitsfeindlichkeit schon länger ihren festen Platz in diesem Sender haben. Nadine gebührt Respekt./3 Image
Read 12 tweets
Feb 13
Der Film "Raus aus der Prostitution" (SWR 2022) von Katja Schupp ist eine Heldenreise. Eher eine Heldinnenreise. Denn Protagonistin Nadines Umstieg von Prostituierter (Selbstbezeichnung) zu Einzelhandelskauffrau ist Autorin Schupp "helfend" beteiligt./1
g.co/kgs/vAzPLh
Disclaimer: Nadines Story könnte auch in der Umstiegsberatung bei @hydra_berlin stattgefunden haben. Ihre Erfahrungen beim Umstieg verdienen Anteilnahme & Respekt. So zeigt der Film viele Hürden, die auch die Sexarbeitsbewegung kritisiert. Leider geht's hier nicht um Kritik./2
Die versprochene Quintessenz:
Schupp und der SWR reproduzieren Sexarbeitsfeindlichkeit, Gemeinplätze und Stigma. Sowohl wie Schupp Fragen stellt, der Spannungsbogen, die "Expertinnen" als auch die Kommentare der Autorin zeugen klar von einer sexarbeitsfeindlichen Perspektive./3
Read 24 tweets
Feb 9
Heute geht#ss in der Info-Serie #Sexarbeit in den Medien um Desinformation & Fehlinformation über Sexarbeitende.
Desinformation ist die gezielte und bewusste Verbreitung von Falschinfos, entweder direkte Lüge oder subtile Unterdrückung von Fakten.
Los geht's: Ein Thread./1 Image
Fehlinformationen dagegen sind ungenaue oder völlig falsche Aussagen, die irreführen. Sie kommen als seriöse Information daher, dabei sind sie oft nicht gefaktchecked.
Hier verlinke ich einen Artikel zu Des-und Fehlinformation: /2
liberties.eu/de/stories/feh… Image
Zur besseren Differenzierung von Desinformation und Fehlinformation (D+F).
Ergänzen möchte ich, dass oft auch ein Blick auf den*die Autor*in weiterhilft, zu entscheiden, ob es sich um D oder F handelt. Zum Beispiel: Sexarbeitsgegner*innen verbreiten eher D als F./3 Image
Read 10 tweets

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