Das #Wahlsystem in #Ungarn ist ein #Reststimmensystem, wie es im Prinzip auch bei den meisten österreichischen Landtagswahlen verwendet wird (und 2011 so inkonsequent für Bundestagswahlen eingeführt worden ist, dass das BVerfG gerade auch den Teil für nichtig erklärt hat). [1/24]
Gedacht sind Reststimmensysteme so, dass Stimmen, die im Wahlkreis nicht für einen (weiteren) Sitz gereicht haben, auf die nächsthöhere Ebene übertragen werden, um dort wirksam werden zu können. Das Problem dabei ist bloß, dass die Stimmen auf den verschiedenen Ebenen … [2/24]
… in der Regel unterschiedlich viel wert sind. Meistens sind sie zugunsten der größeren Parteien auf den unteren Ebenen mehr wert (in Kärnten ist es aber regelmäßig andersrum). Bei Reichstagswahlen in der Weimarer Republik ist das dadurch gelöst worden, … [3/24]
… dass es generell für 60'000 Stimmen einen Sitz gegeben hat (den letzten schon für die Hälfte) und dafür die Gesamtsitzzahl überall offen war. Im Burgenland hat Sitzvergabe über landesweite Harequoten bei fester Gesamtsitzzahl im Regelfall einen ähnlichen Effekt. [4/24]
Das ungarische Wahlsystem treibt aber den unterschiedlichen Wert von Stimmen auf die Spitze. Das war auch schon vor 2011 so, ist dann aber nochmal ausgebaut worden. Erstmal basiert es auf Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen. Reststimmensysteme haben normalerweise … [5/24]
… größere Wahlkreise, wo zumindest auch (lokal) mittelgroße Parteien Sitze kriegen können, und in kleinen Wahlkreisen (wie Osttirol) kriegt praktisch auch die größte Partei nichts. In Ungarn ist die Wahlzahl bzw. Quote die Stimmenzahl des zweitstärksten Kandidaten plus 1. [6/24]
(Konsequenterweise kriegt bei einem Patt niemand den Sitz.) Eine zersplitterte Opposition gewinnt also nicht bloß keine Wahlkreise, sondern verursacht durch die davon abhängige Wahlzahl auch noch eine hohe Anzahl an Reststimmen für die Mehrheitspartei. [7/24]
Untypisch für ein Reststimmensystem ist auch die separate Listenstimme. Die Reststimmen werden zu den Listenstimmen addiert und müssen mit ihnen konkurrieren. 63.9 % der gültigen Wahlkreisstimmen waren 2018 Reststimmen. Die Quoten, mit denen die Wahlkreissitze … [8/24]
… bezahlt worden sind, waren mit 31.3 % weniger als die Hälfte davon (3.9 % Sperrklauselverlust, 1.0 % Einzelkandidaten und Parteien ohne Liste). Für durchschnittlich gleichen Wert der Reststimmen wie der Quoten wären allein dafür gut 216 Sitze nötig gewesen. [9/24]
Real waren es rechnerisch nur etwa 36.6 Sitze (39.8 % der Stimmen für die 92 Listensitze ohne den deutschen Minderheitssitz). 2018 auf Oppositionsbündnis umgerechnet würden die Reststimmen nur noch 53.9 % ausmachen, die Quoten 42.6 % und die Sperrklausel 2.5 %. [10/24]
Für gleichwertige Reststimmen wären dann nur noch knapp 134 Sitze nötig gewesen, und tatsächlich wären es bei 35.1 % Reststimmen 32.3 Sitze gewesen. Das Oppositionsbündnis hätte rechnerisch 47 Wahlkreise gewonnen, Fidesz 57 (Sonstige 2). Listensitze wären 46:46 gewesen. [11/24]
Der Medianwahlkreis der 104 Wahlkreise, die nicht sonstwer gewonnen hätte, hat etwa 1'000 Stimmen Vorsprung für Fidesz (knapp 2 Prozentpunkte), wobei den zweitstärksten real die Opposition gewonnen hätte, wenn ihn nicht knapp eine linke sonstige Partei verloren hätte. [12/24]
Den größeren Teil macht die (natürliche) größere Konzentration der Opposition auf ihre Hochburgen und die dort höhere Wahlbeteiligung aus, aber sie hat auch tendenziell größere Wahlkreise. Die Wahlkreiseinteilung war zumindest eher besser als in Deutschland, … [13/24]
… aber das Komitat Pest (Budapester Umland) hat 1 (Hare/Niemeyer) bis 2 (Sainte-Laguë) Wahlkreise zu wenig, und da waren auch die stadtnahen der Opposition deutlich größer, weil die wohl tendenziell wachsen. Budapest selber hat sein Soll, sogar leicht aufgerundet. [14/24]
Gerechte Verteilung zwischen den Komitaten ist nicht vorgeschrieben, sondern nur ±15 % für die einzelnen Wahlkreise, bezogen auf die Wahlberechtigten der letzten Wahl (außer bei Unmöglichkeit in den ganz kleinen Komitaten, deren Grenzen beachtet werden müssen). [15/24]
Das ist in der englischen Übersetzung schon mit »may not deviate […] exceeding« formuliert, aber Gesetzesänderung wird separat bei ±20 % verlangt. Das scheint aber diesmal nicht passiert zu sein. 2 Wahlkreise in Pest waren jenseits von +20 % und sind jetzt … [16/24]
… bei +28.5 % bzw. +33.1 %. Nach aktuellen Wahlberechtigten hätte Pest jetzt mehr als 2 Wahlkreise zu wenig. Dafür würd allerdings grad einer in Budapest wegkippen. Klar 1 Wahlkreis zu viel hat Somogy; Tolna wär mit nur noch 2 Wahlkreisen zwangsläufig über +20 %. [17/24]
(Die in Prozentpunkten symmetrischen Toleranzgrenzen sind nicht nur deswegen schlecht; faire Toleranzgrenzen müssten z. B. −20 % bis +25 % sein (4/5 bis 5/4).) Mehr als die Hälfte der Wahlkreise ist aber noch innerhalb von ±6 %. 17/106 sind jenseits von ±15 %. [18/24]
Das Problem mit solchen Wahlsystemen ist, dass sie einerseits große Parteien belohnen, aber andererseits relativ komfortable Nischen für kleinere Parteien bereithalten, so dass kaum ein Anreiz besteht, dass sich das Parteiensystem anpasst. [19/24]
Das kann zu recht stabilen Asymmetrien führen, die man nicht mehr so leicht loskriegt. Immerhin sind aber in Ungarn Wahlbündnisse erlaubt, wohl auch deswegen, weil Fidesz das eigene mit der ziemlich irrelevanten KDNP behalten will. [20/24]
Preis dafür ist eine höhere Sperrklausel für die Listensitze (10 % statt 5 % für 2er-Bündnisse, 15 % für größere). Das und relativ hohe Wahlantrittshürden (Unterstützung von etwa einem halben bis ganzen Prozent der Wahlberechtigten pro Wahlkreis, 71 Wahlkreise … [21/24]
… für Liste) hält wohl eher einer konzentrierten Opposition als Fidesz Konkurrenz vom Leib. Insofern ist es nicht ganz prohibitiv. Das mit dem Wahlrecht für Auslandsungarn, die bloß ethnisch Ungarn sind, aber an sich originäre Staatsngehörige anderer Staaten, … [22/24]
… ist auch noch nicht voll ausgebaut, weil die nur die Listenstimme haben, die eh nicht so viel wert ist. Was Fidesz 2018 mehr Listen- als Wahlkreisstimmen gehabt hat, kommt im Wesentlichen aus dieser Quelle. [23/24]
Die Wahlurne ist übrigens bei Wahlbeginn offen. Der erste Wähler, der erscheint, muss sie überprüfen und unterschreiben, dass sie leer war und vor seinen Augen so versiegelt worden ist. Gültige Stimmen erforden Kennzeichnung durch 2 sich schneidende Linien im Ankreuzfeld. [24/24]
Erwähnen hätt ich noch sollen, dass 2018 das jetzige Oppositionsbündnis nach Wahlkreisstimmen praktisch exakt gleich stark war wie Fidesz. Zusammen mit den Reststimmen wären es auch nur wenige Promillpunkte Listenstimmen weniger gewesen. [25/24]
Das Wahlergebnis in #Ungarn wird sich wohl noch abmildern, aber an der Mehrheit für Fidesz ändert sich nichts mehr. Auch in weit ausgezählten Wahlkreisen in Budapest ist die Opposition weitaus schlechter als 2018 und Mi Hazánk stark. vtr.valasztas.hu/ogy2022
Der Auszählungsstand ist nach Wählern übrigens deutlich geringer als angegeben. Zu erwarten sind mindestens je 5 Millionen Stimmen. Wahlkreisstimmen sind aber schon weiter und bisher gehn auch alle Wahlkreise in Pest an Fidesz. [1/3]
Vermutlich erreicht Fidesz zusammen mit MH eine 2/3-Mehrheit (wenn nicht allein), was dann effektiv ein Rechtsruck wär. [2/3]
Briefwahl und in fremden Wahllokalen abgegebene Stimmen werden zumindest teilweise erst in einigen Tagen ausgezählt. So viel sind das aber nicht, und da sind wohl auch noch die Listenstimmen der Auslandsungarn dabei, die zu knapp 100 % an Fidesz gehn. [3/3]
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Erstmal wird natürlich die CSU interessant sein, aber Vorsicht: Die war in den 18-Uhr-Prognosen auch schon bis zur völligen Unbrauchbarkeit falsch.
CSU in Bayern 32.5 bei 16.5 SPD und 14 Grüne. Schaut nicht so nach sehr großem Bundestag aus. Die 42 Wahlkreise von Infratest dimap sind wohl untere Grenze und sollen nach deren Angaben 730 ergeben. #btw21
Die Briefwahlbeteiligung zur #btw21 scheint wesentlich niedriger als erwartet zu sein. In den ersten 3 Wochen hat sie sich allgemein gegenüber 2017 verdoppelt, aber dafür waren es in den letzten 3 Wochen teils deutlich weniger als 2017. leipzig.de/buergerservice… [1/7]
Ein gutes Drittel der Wahlberechtigten dürften es trotzdem noch werden, wenn man im Schnitt eine Steigerung um gut die Hälfte annimmt, aber das sind dann deutlich unter 50 % der Wähler, wenn die Wahlbeteiligung nicht sehr niedrig wird (was aber denkbar erscheint). [2/7]
Die spärlichen Daten zu den Rückläufen deuten auch darauf hin, dass bis heute ein wesentlicher Teil der Wahlbriefe nicht abgeschickt worden ist. In Leipzig wird das Defizit gegenüber 2017 seit Anfang der Woche jeden Tag noch größer. Bei dem Trend würden am Ende … [3/7]