Die SPD ist ein sehr gutes Beispiel dafür schwer es ist identitätsstiftende Narrative, die die eigene ontologische Sicherheit begründen, also die Stabilität des eigenen Selbst verankern - Ostpolitik, Friedenspartei - zu hinterfragen. Viel zu viele in der Partei versuchen ein
altes Weltbild zu retten und vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Der externe Schock durch den Ukrainekrieg hat bei vielen Politikern zu einem mehr oder weniger radikalem Umdenken im der Sicherheitspolitik geführt. In der SPD, in der der alte Kurs am meisten identitätsstiftend war
sind die Beharrungskräfte am größten und die Weigerung sich politisch auf eine veränderte geopolitische Lage einzustellen ist tief verwurzelt. Die Weigerung die eigene Rolle in der Russlandpolitik kritisch aufzuarbeiten, die Feindseligkeit gegenüber der Kritik von @MelnykAndrij
das Lavieren bei schweren Waffenlieferungen und der Versuch von Olaf Scholz sich hier mit Scheckbuchdiplomatie aus der Affäre zu stehlen, sind alles Symptome für eine außen- und sicherheitspolitische Identitätskrise der SPD, die Gefangen ist zwischen den Dogmen der Vergangenheit
und der Unfähigkeit auf die Herausforderungen der Gegenwart mit Mut, Kreativität und Pragmatismus zu reagieren. Narrative Anpassungen der eigenen Identität sind nicht einfach, oft auch schmerzvoll, aber sie sind nicht unmöglich. Ein diskursiver Prozess, der die Fehler der
Vergangenheit klar benennt, und die Begriffe der Ostpolitik und Friedenspartei neu besetzt als Ausdruck der wehrhaften Solidarität mit der Ukraine kann die #Zeitenwende als Ausdruck sozialdemokratischer Identität verinnerlichen. Bleibt dieser Schritt aus wird die SPD als ein
sicherheitspolitischer Zombie im Sinne Gramscis weiter existieren, ein Zwitterwesen in dem das alte Weltbild tot ist, aber ein neues nicht geboren werden kann. Die Ausbrüche weinerlichen Selbstmitleids in der deutschen Sozialdemokratie in letzter Zeit deuten darauf hin, dass es
bis zur Schaffung einer neuen identitätsstiftenden außen- und sicherheitspolitischen Rolle der SPD noch ein weiter Weg ist.
Aber die Grünen sind doch auch historisch in der Friedensbewegung verwurzelt, warum haben dann viele prominente Grüne wie Baerbock, Habeck, und Hofreiter die #Zeitenwende anscheinend verinnerlicht und sich die Forderungen nach schweren Waffen zu eigen gemacht? Gute Frage, meine
Einschätzung hierzu ist, dass die Grünen, anders als die vom Ostpolitik-Flügel dominierte SPD, immer ein distanzierteres Verhältnis zu Russland hatten, und gleichzeitig eine wertegeleitete Außenpolitik, die Menschenrechte im Zentrum sieht, ein identitätsstiftendes Narrativ der
Partei ist. Insofern konnten die Grünen, trotz ihrer pazifistischen Wurzeln, und wie im Kosovo-Krieg, die aktive Unterstützung und Verteidigung ukrainischer Menschenrechte und der Freiheit der Ukraine ins Zentrum stellen und damit auch die Forderung nach schweren Waffen verbinden
Für die ontologische Sicherheit der Grünen war und ist der Ukrainekrieg ein weniger existentieller Schock als für die SPD, für die seit Egon Bahr und Willy Brandt Ostpolitik zum Wesenskern gehört und Friedenspolitik vor allem anderen Verständigung mit den Machthabern in Moskau
bedeutet. Schon in den 1980ern hat die SPD Stabilität in Osteuropa und gute Beziehungen zum Kreml über die tatkräftige Unterstützung etwa der polnischen Solidarność gestellt. Diese Reflexe der diplomatischen Priorisierung der deutsch-russischen Beziehungen an den 'kleineren'
Staaten Osteuropas vorbei, zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsche Außenpolitik, die von der SPD die letzten zwanzig Jahre aktiv mitgestaltet worden ist und die mit Nord Stream 2 ihr Fanal erlebt hat. Die weiter bestehenden neo-kolonialen Reflexe der Ukraine gegenüber
sind in der öffentlichen Verdammung des ukrainischen Botschafters in Berlin @MelnykAndrij durch führende Sozialdemokraten wie @sigmargabriel gut zu beobachten. Die unaufgearbeitete Vergangenheit der SPD und ihre Weigerung, ihren Anteil an der politischen Verantwortung für den
@MelnykAndrij @sigmargabriel Krieg in der Ukraine anzuerkennen sind nicht nur eine Belastung für die deutsch-ukrainischen Beziehungen, sondern sie erweisen sich zusehends als strukturelle Belastung für die von @Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte #Zeitenwende und schwächen Deutschlands Rolle international

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Apr 20
Ralf Stegner, a prominent SPD politician of the left wing declares in a talkshow that sending heavy weapons to UKR is essentially pointless, because they have no chance of winning the conflict militarily. While not serving in government his defeatism seems symptomatic of the SPD.
Stegner is a backbencher and a bit of a hasbeen. But basing a political calculus on UKR loosing this war, and thinking about needing to find a modus vivendi with Russia afterwards, the SPD’s refusal to send heavy weapons becomes somewhat sadly plausible. It is also despicable.
Also: Image
Read 7 tweets
Apr 20
Germany possesses 382 Marder IFVs and 108 PzH 2000 SPGs, but cannot part with a single unit, for it would cripple its entire defence posture and undermine NATO deterrence. The Netherlands, having a grand total of 24 PzH 2000, however, can send some of these systems to Ukraine.
Without German agreement those German-made systems couldn't be sent to Ukraine in the first place, and Germany will provide ammunition and training of Ukrainian crews to operate the PzH 2000. So, we agree for them to be delivered, we train the crews, and supply ammunition, but
we can't send ours, although we have 4 times the numbers of the Dutch in the Bundeswehr. If this is not about assuaging the SPD peace wing, then I really have no fucking idea what logic chain has let to this outcome. It makes absolutely zero strategic or military sense, imo.
Read 6 tweets
Apr 19
Just to give you an idea about the utterly confusing nature of the press statement by Olaf Scholz, some of the leading experts on German foreign security and defence policy are unclear on what he meant and are asking each other on Twitter if he signalled that UKR could buy tanks.
Scholz mentioned air defence systems and artillery, and indicated Ukraine could purchase readily available weapon systems from German defence manufacturers. But he made no explicit mention of either Leopard 1 MBTs or Marder IFVs, but talked about Soviet equipment from Eastern
European countries that was sent to Ukraine (e.g. T-72 from the Czech Republic). Scholz indicated that Ukraine could pick from a list of German defense industry armament products and that purchases would be covered by the German government, but the statement was woefully short on
Read 4 tweets
Apr 19
Der einzige Akteur, der den Krieg in der Ukraine eskaliert ist Russland. Mit Artillerie, mit Luftangriffen, mit Vakuum- und Streubomben, mit ballistischen Raketen. Nichts was Deutschland an Waffen liefern kann ist dem im entferntesten gleichzusetzen. welt.de/politik/auslan…
Aber schwere deutsche Waffen (Panzer, Artillerie, etc.) erlauben es der Ukraine es sich zur Wehr zu sehr setzen und wo möglich auch lokal begrenzt Gegenoffensiven einzuleiten. Sollte Deutschland diese Waffen liefern wird es weder direkt Kriegspartei noch eskaliert es den Konflikt
Es würde jedeglich einem angegriffen Staat helfen sein Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta wahrzunehmen und das massive militärische Ungleichgewicht zwischen russischem Aggressor und ukrainischem Verteidiger etwas auszugleichen. Und um auch das noch einmal zu
Read 6 tweets
Apr 16
Ich bin mehr und mehr überzeugt, dass die #Zeitenwende Rede von Olaf Scholz am 27.2. primär dazu diente aus dem Schatten der Ära Merkel zu treten und Scholz als Bundeskanzler mit eigenem außenpolitischen Profil zu positionieren, erst in 2. Linie ging es um praktische Hilfe für
die Ukraine. Die Rede zielte primär darauf ab, die Grundpfeiler der Merkel Doktrin einzureißen, also die strukturelle Unterfinanzierung der Bundeswehr und die strategische Partnerschaft mit Russland und die daraus resultierende Energieabhängigkeit. Damit meldete Scholz einen
klaren Führungsanspruch an und zwang auch die eigene Partei dem neuen Kurs zu folgen, wenn auch in Teilen widerwillig. Waffenlieferungen an die Ukraine wurden auch angekündigt, aber sie blieben im Rahmen dessen, was andere westliche Länder, allen voran die USA und UK bereits vor
Read 18 tweets
Apr 13
Nach der Rede von Scholz zur #Zeitenwende habe ich kurz gedacht, dass echt mal ein Ruck durch die Politik dieses Landes geht, dass wir unseren wohlfeilen Sonntagsreden auch mal Taten folgen lassen, vorangehen statt zu bremsen, Mut zeigen, statt Bedenken zu äußern. Tja.
Neben der Enttäuschung macht sich allerdings auch Wut breit, vor allem über die SPD. Wie viele Ukrainer müssen eigentlich noch verrecken, bis Scholz, Mützenich, Stegner und Co. endlich ihren inneren Schweinehund überwinden und von den Dogmen der Vergangenheit Abschied nehmen?
Angeblich werden Linien überschritten und Eskalationsspiralen gedreht, wenn wir schwere Waffen liefern. Hinter der intellektuellen Armut dieser Argumente versteckt sich schlicht eine Feigheit, sich auf die Herausforderungen dieser neuen Zeit einzulassen. Zu bequem war das davor.
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