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May 3 21 tweets 4 min read
1/21 Der Arbeitskreis „Stalin hat uns das Herz gebrochen“ der Naturfreundejugend Berlin hat 2017 ein gleichnamiges Buch über „Antisemitismus in der DDR und die Verfolgung jüdischer Kommunist*innen“ herausgegeben und ich hab es kürzlich ausgelesen.
#Antisemitismus #DDR
2/21 Das Buch stellt ein Nachfolgeprojekt des Arbeitskreis „Stalin hat uns das Herz gebrochen“ der Naturfreundejugend Berlin und soll die Vielschichtigkeit des Themas vermitteln. Was ihm meiner Meinung nach auch gelingt.
3/21 Die Autor*innen teilen den DDR-Antisemitismus in Phasen ein. So gab es in der DDR 1949-53 eine ideologische Judenfeindschaft, die sich u.a. in Säuberungen gegen (jüdische) West-Emigrant*innen seit 1949 ausdrückte.
4/21 Damit entledigten sich die „Moskoviter“, die in die UdSSR geflüchteten Parteikommunist*innen, auch ihrer aus dem West-Exil heimgekehrter Konkurrenz, die sie als „Westagenten“, „Kosmopoliten“, und als Unterstützer des Zionismus diffamierten.
5/21 Shoah-Überlebende flohen aus der DDR: „Im Januar 1953 berief der West-Berliner Rabbiner Nathan Levinson eine Pressekonferenz ein, in der er die jüdische Bevölkerung aufforderte, die DDR zu verlassen: »Ihr sollt verschwinden. Ich hab das schon mal erlebt.«“ (S. 45)
6/21 Nach Flucht wurden die vor dem Antisemitismus geflohenen Juden*Jüdinnen aus der Ost-VVN ausgeschlossen und als „zionistische Agenten“ gebrandmarkt.
Hier hab ich mich gefragt, ob diese Menschen rehabilitiert wurden?
#VVNBdA
7/21 Ein geplanter ostdeutscher Schauprozess, u.a. gegen den, aus Mexiko zurückgekehrten, Paul Merker, wurde aber 1951 von Stalin abgebrochen. Merker wurde trotzdem 1955 in einem Geheimprozess zu acht Jahren Haft verurteilt, aber 1956 wieder entlassen.
8/21 Das Buch enthält drei einfühlsame Biografien von Betroffenen des DDR-Antisemitismus
Zum Beispiel die Geschichte von Rudolf Hermstadt (1903-1966), ein ehemaliges Mitglied des SED-Zentralkomitee.
9/21 Am Anfang wird Antisemitismus als „Herrschaftsverhältnis“ definiert, in der zweiten Buchhälfte wird sehr viel ausführlicher auf das Thema 'Was ist (linker) Antisemitismus?' und wie er entstanden ist, eingegangen.
10/21 Der zweite Teil des Buchs enthält u.a. auch die Spezial-Diskussion, wieviel Marx und Lenin im linken Antisemitismus steckt.
Die Autor*innen spüren dazu dem Verständnis von Nation bei Marx, Lenin und auch Luxemburg nach.
11/21 Als eigentlichen Urheber des linken Antisemitismus machen die Autor*innen Stalin und dessen konstruiertes Weltbild vom Marxismus-Leninismus aus.
Hinzu kommt sein Strategiewechsel vom „Sozialismus in einem Land“ statt Weltrevolution.
12/21 Dabei kommt es häufig zu einem funktionalem Antisemitismus, dem strategischen Einsatz von Antisemitismus und Nationalismus zur Herrschaftssicherung.
Es stellt sich die Frage ob der realsozialistische Antisemitismus eine Strategie oder eine Ideologie war.
13/21 Kontinuitäten werden auch thematisiert: „Die Kontinuität, die sich in Personen, Ideologien, und Institutionen der DDR aus dem Nationalsozialismus trotz intensiverer Entnazifizierung als in der BRD wiederfand, wurde in der DDR schlichtweg ignoriert.“ (Seite 93)
14/21 Generell kam es ín der DDR zu einer Dethematisierung der Shoah und die DDR gruppierte sich als antifaschistischer Staat bei den moralischen Sieger ein. Das galt aber höchstens für Teile der SED-Führung und nicht für die Bevölkerungsmehrheit.
15/21 In poststalinistische Ära gab es auch weiterhin antisemitische Tendenzen. In der SED, genauso wie in der Bevölkerung (Alltagsantisemitismus).
Begünstigt wird das durch die Vorstellung Antisemitismus verschwinde mit dem Kapitalismus.
16/21 Daneben fand eine Nationalisierung statt. Aus der Arbeiterklasse wurde das „werktätige Volk“ wurde nur das „Volk“. Juden*Jüdinnen waren dagegen im Realsozialismus schon immer das „Nicht-Volk“. Dieser Status machte sie auch als NS-Opfergruppe unsichtbar.
17/21 Hinzu kommt eine spezifische realsozialistische Variante des modernen Antisemitismus unter dem Deckmantel des Antizionismus. Dabei werden Juden*Jüdinnen als „Kosmopoliten“ und „Zionisten“ markiert.
18/21 Diese wurden als innerer Feind des „werktätigen Volkes“ konstruiert, um allen Juden*Jüdinnen und nicht nur die „jüdische Bourgeoisie“ anzugreifen.
Die Sprache über den „Kosmopolitismus“ als Feind ist völkisch geprägt.
19/21 Zugleich wurde im DDR-Antisemitismus eine Affinität des Zionismus zum Weltkapitalismus und Weltimperialismus konstruiert. Israel war in dieser Vorstellung ein Vorposten von beiden.
20/21 Das Buch ist besonders im zweiten Teil eine theoretisch recht anspruchsvolle Kost mit vielen Fußnoten. Wobei mir bei der Lektüre oft unklar war, warum manche Ausführungen in die Fußnoten verbannt wurden, obwohl sie auch im Haupttext gut stehen hätten können.
21/21 Die Autor*innen sind ehrlich und thematisieren die übrig gebliebenen Fragen und Widersprüche.
Ein Kauf lohnt sich für Fortgeschrittene beim Thema linker Antisemitismus.

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