2019 war ich Teilnehmer eines Workshops, der sondieren sollte, was die beste Reaktion der USA auf einen Erstgebrauch von (einer) Nuklearwaffe(n) wäre. Im Fokus stand die Frage, wie das "nukleare Tabu" dabei möglichst bewahrt, also die Stigmatisierung ... 1/18
... von Nuklearwaffen und die Praxis ihres Nichtgebrauchs aufrechterhalten werden könnte. @NinaTannenwald hat in punkto nukleares Tabu bahnbrechende Forschung geleistet. Auf die Bedeutung des Tabus hat nicht zuletzt auch der Abschreckungstheoretiker Thomas Schelling ... 2/18
...2005 in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften hingewiesen. In den USA gilt seine Stärkung vielen als der nuklearen Stabilität dienlich und somit Teil des strategischen Interesses. 3/18
Wer mehr darüber lesen will, wie sich nukleare Abschreckung, das nukleare Tabu und die sog. Tradition des Nichtgebrauchs zueinander verhalten, wird hier in Kapitel 2 fündig 👉 amzn.to/3FF1uZR (Ende der schamlosen Eigenwerbung) 4/18
Zurück zum besagten Workshop: Hier standen verschiedene Szenarien zur Diskussion. Alle drehten sich um Nordkorea. Die Debatte war stellenweise turbulent. Konsens gab es keinen. Hier in Kapitel 4 kann man das alles nachlesen: apps.dtic.mil/sti/pdfs/AD110… 5/18
Jetzt ist diese Frage leider erneut aktuell – allerdings in Europa! #Ukraine#Russland#Atomangriff. Deswegen hier mal drei Erkenntnisse, die ich damals für mich mitgenommen habe:
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1. Es ist unabdingbar, sich über die Eventualität vorher systematisch Gedanken zu machen. Für das Überblicken und Bewerten der *extrem* weitreichenden Implikationen einer Reaktion, wie immer diese ausfällt (es gilt stets!) bleibt den EntscheiderInnen im Ernstfall keine Zeit. 7/18
2. Unabhängig von anderen Komponenten der Reaktion sollte der Erstgebrauch einer Nuklearwaffe – erstmals nach 1945 – als Zivilisationsbruch und politisches wie militärisches Totalversagen gebrandmarkt werden. 8/18
Das würde den Gültigkeitsanspruch des Tabus unterstreichen – die Norm des Nichtgebrauchs würde, eben *weil* der Verstoß vor ihrem Hintergrund als so abscheulich interpretiert wird, gestärkt aus der Sache hervorgehen. 9/18
(Randbemerkung: Was die Implikationen für die Praxis der nuklearen Abschreckung wären, müsste man gesondert eruieren. Fände ein Erstgebrauch seitens Russlands statt, hätte sie ja offenkundig versagt! Im Erstgebrauch kollabiert die Logik der nuklearen Abschreckungstheorie. 10/18
Die PraktikerInnen haben natürlich Antworten in der Schublade [Stichworte: NATO Nuklearplanung, nukleare Teilhabe, Gefechtsfeldwaffen, „nuclear war fighting“ etc.]. 11/18
Aber Papier ist geduldig und man sollte sich da nichts vormachen: Aus EntscheiderInnensicht (und auf die politische Ebene kommt es an) ist das in Wahrheit komplett unkartographiertes Gelände. Randbemerkung-Ende) 12/18
3. Es leuchtet (mir zumindest) ein, dass die Antwort, wenn sie das Tabu zu bewahren sucht, sich nicht auf eben jene Praktiken stützen darf, die das Tabu verbietet. 13/18
Klartext: Konventionelle militärische Vergeltungsmaßnahmen (natürlich ergänzt um Vergeltung auf allen anderen Ebenen, also wirtschaftlich, diplomatisch etc.) wären aus der Tabu-Perspektive *unbedingt* zu bevorzugen. 14/18
Sie hätten den auch nicht ganz unwichtigen Nebeneffekt, die Eskalationskontrolle zu erleichtern. 15/18
Denn wenn das Gegenüber die nukleare Vergeltung (und sei sie noch so begrenzt) nicht als Signal der Entschlossenheit und als Schlussstrich, sondern vielmehr als die Einladung zum Erklimmern der nuklearen Eskalationsleiter versteht, dann…😬 16/18
Ich hatte das im Interview mit der @NZZ neulich (nzz.ch/international/…) schon mal kurz angedeutet. 17/18
Eine breitere Öffentlichkeit hat die bröckelnde nukleare Rüstungskontrolle (in Europa: INF!) in den letzten Jahren nicht interessiert. Ebenso wenig die teils irrwitzigen neuen russischen Trägersysteme (Burewestnik, Poseidon, @Sicherheitspod-HörerInnen wissen Bescheid). Wir... 1/5
...haben die nukleare Bedrohung verdrängt, den Umgang damit verlernt. Jetzt rasselt Putin mit dem nuklearen Säbel - und es droht Überkorrektur in die andere Richtung. Es ist ok, sich Sorgen zu machen. Wir sollten - müssen - uns Sorgen machen. Aber undifferenzierte Angst...2/5
...vor der nuklearen Apokalypse ist aktuell unbegründet. Wir sollten und können besonnen, aber auch entschlossen handeln. Auf dem Boden deutet AKTUELL nichts auf eine akute Atomkriegsgefahr hin. Das kann sich mit dem Verlauf des Krieges ändern, also ist Wachsamkeit nötig.., 3/5
Guter Text von Mark @schieritz (h/t @jana_puglierin ), der die drei Kernargumente aus dem "Umfeld des Kanzlers" zusammenträgt. Keines davon überzeugt. 1. Schwere Waffen: Niemand hat behauptet, dass Panzer instandsetzen, liefern, gefolgt von Ausbildung & Logistik simpel sei. 1/7
Das dauert Wochen/Monate. Aber wir reden schon seit Wochen drüber, während andere es angegangen sind. Die werden damit fertig sein, während wir nicht mal angefangen haben. Ringtausch ginge schneller; wird ebenfalls seit Wochen diskutiert. Warum machen wir es nicht? 2/7
2. Perspektive: Gut möglich, dass man mit Putin noch wird verhandeln müssen. Aber das wird primär die Ukraine tun. Soll sie das nicht aus einer Position der Stärke heraus tun können? Mit einem möglichst geschwächten Putin? Muss nicht auch unsere eigene Entschlossenheit... 3/7
Kleine Umschulungshilfe: Politikwissenschaft ist (leider) nicht wie Virologie. So können wir z.B. keine Experimente machen: Wir können nicht die Zeit zurückdrehen, die NATO nicht erweitern und dann schauen, ob Russland den #UkraineKrieg nicht beginnt. Aber Gütekriterien... 1/7
...gibt es natürlich trotzdem. PolitikwissenschaftlerInnen analysieren Strukturen, Akteure, Prozesse, aus unterschiedlichen theoretischen Blickwinkeln, um dann empirisch fundiert Schlussfolgerungen und plausible Argumente abzuleiten/abzuwägen. Natürlich mit peer review. Und...2/7
...so entsteht auch in unserem Feld ein wissenschaftlicher Konsens. Aktuell sieht der so aus: Die meisten seriösen ForscherInnen...
- sehen die Verantwortung für den Krieg klar bei Putin, nicht bei der NATO;
- halten es für moralisch geboten und westlichen Interessen ... 3/7