Mittwoch fand eine Podiumsdiskussion anlässlich des "Nakba-Tages" und der "Rolle der Partei Die Linke" statt.
Beteiligt waren neben dem Palestine Institute for Public Diplomacy auch "Die Linke Neukölln", der "SDS Berlin", "Palästina spricht", "linksjugend solid NordBerlin". ⬇
Als Redner am Podium nahmen auch Nizar, Organisator einer der zuletzt in Berlin stattgefundenen antisemitischen Demos, sowie Ramsis Kilani, einer der Redner auf diesen Demos im Namen von "Palästina spricht", sowie Christine Buchholz von der Linken teil.
Zunächst ist es schon interessant, dass einer der Programmpunkte die Frage stellt, inwieweit "palästinensisches Leben in Deutschland möglich" sei, angesichts der offen artikulierten Gewalt- bis Mordfantasien samt Drohungen gegenüber Juden*Jüdinnen auf den neulichen Demos.
Im Aufruf hieß es dann, dass die "Realitäten" von Palästinenser*innen "keinen Platz in der [deutschen] Öffentlichkeit" hätten. Realitäten wie die angebliche "Apartheid und Ausbeutung von Ressourcen" seitens Israels. Soweit die klassische Dämonsierung und Delegitimierung Israels.
Eröffnet wird die Veranstaltung vom Sprecher des "Palestine Institute" mit einem Verweis darauf, dass man "faktenbasiert" einen Raum für palästinensische Stimmen eröffnen wolle.
Schon im ersten historischen Rückblick heißt es aber, dass "Zionisten bzw. jüdische Personen" die Palästinenser*innen als "indigene Bevölkerung" vertrieben hätten. Damit wird suggeriert, es hätte vor 1917 keine Juden*Jüdinnen dort gegeben, was historisch empirisch falsch ist.
Siehe bspw. BPB dazu: Bereits von 1882 bis 1914 flohen Juden*Jüdinnen bspw. aus Russland nach Palästina nachdem es in Südrussland antisemitische Pogrome gegen sie gab.
Ohne jeglichen Kontext heißt es danach, dass das israelische Militär wöchentlich Palästinenser*innen umbringen würde. Um danach noch einige weitere Erzählungen im Rahmen des Nakba-Narrativs verkürzt und falsch darzustellen.
So zum Beispiel wenn, wie so oft, von 750.000 Palästinenser*innen die Rede ist, die durch Israels Staatsgründung pauschal alle vertrieben worden seien ohne dabei auf den Angriffskrieg der umliegenden Staaten einzugehen, der eher die maßgebliche Fluchtursache gewesen ist.
Angekündigt wurde dann ein "Zeitzeuge der Nakba". Vor dem Hintergrund, wie oft Antizionist*innen gerne NS-Analogien nutzen um bspw. die "Nakba" mit der Shoa gleichzusetzen, scheint man mit solch einer Bezeichnung, die eher für Überlebende der Shoa gilt, anknüpfen zu wollen.
Anschließend spricht Ahmed Abed, Fraktionsvorsitzender Die Linke Neukölln, darüber, dass die getötete Journalistin "von israelischen Snipern" ermordet worden sei. Das, obwohl es bis dato noch keine Klarheit darüber gibt. Er endet mit einem Aufruf der Linken Neukölln beizutreten.
Jary Koch, Geschäftsführer SDS Berlin, bedankt sich danach für die "Palästina-Solidarität" von Amnesty International, HRW, aber auch BLM und FFF international. Womit sich auch zeigt, was das für Auswirkungen hat, wenn Antizionismus immer mehr Einzug in solche Bewegungen erhält.
Im Anschluss bedankt sich ein Redner von "Palästina spricht" (Name scheint nicht genannt worden zu sein) dafür, dass man zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands und Berlins gemeinsam mit "solid, SDS, die Linke" über die "Nakba" in Deutschland diskutiere.
Es bestünde eine neue Hoffnung für neue Generationen, wenn sich solid und SDS auf die "richtige Seite der Geschichte" stellen, was laut dem Redner bedeute, sich gegen die "israelische Apartheid und Siedlerkolonialismus" zu stellen.
Begleitet von Nizar als Dolmetscher, erzählte dann der "Zeigzeuge der Nakba" von seinen Erfahrungen in I/P, mittendrin ein eher positiver Bezug zur ersten Intifada als Zeichen der "Unabhängigkeit Israels".
Später folgt eine lange Erzählung über persönliche und vor allem begeisterte Erfahrungen mit Mohammed Amin al-Husseini. Der Großmufti von Jerusalem, auch bekannt als SS-Mufti, welcher den Holocaust in den nahen Osten erweiterte.
Vielmehr sagte er, dass die Informationen über al-Husseini zumeist aus israelischen oder westlichen Quellen stammte, weshalb es schwierig sei sich neutral zu informieren. Auch weiterhin kein Wort über die Beziehung zu Hitler sowie NS.
Die einzige Erwähnung von Gewalt, die von Palästinenser*innen ausgeübt wurde, findet sich dann, wenn er sagt, dass Palästinenser*innen "manchmal"(!) zur Gewalt griffen, aber nur weil es keine anderen Möglichkeiten gab.
Zur Hamas heißt es, dass selbst wenn sich Israel über Hamas beklage, Israel im Grunde dafür verantwortlich sei, dass die diese immer weiter wachsen würde. Er beendet mit ausgedrückter Unterstützung für BDS und Ablehnung von Gewalt, im antizionistischen Weltbild kein Widerspruch.
Nach einer Pause folgte der zweite Teil der Veranstaltung.
Man machte kurz Werbung für stopsettlements .org, eine NGO-Bündnis, welches sich "gegen Profite aus Annexion und Besatzung" richtet, in allererster Linie die Siedlungen in I/P. Scheint ein Versuch zu sein regionale und vor allem deutsche BDS-Beschlüsse zu umgehen.
Es wurden Kilani und Buchholz vorgestellt. Buchholz ist übrigens Mitinitiatorin von "Aufstehen gegen Rassismus" ist, war/ist Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Bundestages, und religionspolitische Sprecherin der Linken. Kilanis #marx21-Zugehörigkeit wird nicht erwähnt.
Als erstes spricht Kilani über das Verbot der antisemitischen Demos und meint, ebenso wie es Nizar beim 99zueins-Podcast schon erzählte, dass das Verbot "vor der Tat" festgestanden hätte und spricht von "antijüdischen" Sprüchen von "Einzelpersonen".
Wie Nizar, so relativiert auch Kilani hiermit die antisemitischen Vorfälle und die antisemitische Struktur der Demos. "Antisemitismus" als solcher wird nicht benannt und der antisemitische Charakter wird auf einzelne Menschen individualisiert.
Teil 2 folgt gleich wg Länge ⬇
Die Pressevertreter*innen, unter anderem vom @JFDA_eV, die verbaler bis körperlicher Gewalt ausgesetzt waren, wurden nicht als Presse anerkannt. Interessant nur, dass er gleich in den folgenden Sätzen erwähnt, dass sich Ordner*innen vor Journalist*innen gestellt hätten.
Es folgt das übliche Lippenbekenntnis, es wäre als Orga klar gewesen sich "selbstverständlich" gegen Antisemitismus und antipalästinensischen Rassismus sowie andere Formen von Rassismus zu stellen.
Den nicht als solche anerkannten Pressevertreter*innen wurde dann vorgeworfen, sie hätten nur auf die gewaltvollen Szenen am Ende gewartet.
Es wirkt wie eine Projektion des eigenen Handelns auf das Feindbild, wenn man bedenkt, dass diese Podiumsdiskussion laut eigenen Aussagen vor langem geplant war, und die Orga samt "Palästina spricht" und anderen selbst solche Situationen wollten um sich zum Opfer zu stilisieren.
CN Antisemitismus
Erneut eine Verharmlosung der antisemitischen Vorfälle. Antisemitische Beleidigungen wie "Scheiß Jude" würde man nicht dulden weil man "konsequent antirassistisch und antifaschisisch" sei. Erneut, wie auch schon bei Nizar.
Umso deutlicher wird das obige Lippenbekenntnis im Kampf gegen Antisemitismus wenn Kilani an das obige direkt mit einem "aber" anschließt und darauf verweist, dass Israel selbst an solchem Antisemitismus schuld sei.
Es ist fast schon bizarr, dass Kilani selbst so stark eine Differenzierung fordert, aber dann neben Israel auch noch das @JFDA_eV in die Kollektivschuld nimmt und damit eine noch größere Täter-Opfer-Umkehr als so schon vollzieht.
Es folgt Buchholz, die gefragt wird, wieso sich die PdL so schwer mit "Palästina-Solidarität" täte. Sie eröffnet damit, dass sie es auch für wichtig erachtet sich gegen die derzeitigen "Repressionen gegen palästinensische Stimmen" einzusetzen.
Für Buchholz scheint eine Lehre des deutschen Faschismus die Legitimation und Bestärkung antizionistischer Positionen zu sein.
Es folgt Sindyan Qasem. Er erläutert unter anderem, dass die "Palästinafrage" so zentral in Deutschland sei, weil der deutsche Staat schließlich Mittäter sei. Deutschlands Unterstützung der größten Gefahr Israels in Form des iranischen Staates wird natürlich nicht erwähnt.
Oder Deutschlands Beteiligung an den zahlreichen UN-Resolutionen gegen Israel, usw.
Auch die Causa #NemiElHassan sowie die antisemitische Boykott-Kampagne BDS werden komplett entkontextualisiert und einzig "Palästina-Solidarität" attestiert.
Es folgt ein Verständnis linker sozialistischer Politik: Die Frage zu stellen, wer "objektiv" daran Interesse habe. Für Qasem sei das "die herrschende Klasse, der Kapitalismus". Im Grunde synonym mit "die da oben" oder gar "die Eliten". Abstrakte Herrschaft eher Fehlanzeige.
Das soll nicht heißen, dass Kapitalismus nicht von Rassismus profitiert. Aber diese Formulierung lässt nicht eindeutig erklingen, dass hier das System verantwortlich gemacht wird. Zumal er vorher mehrmals deutlich erwähnt, dass Deutschland als imperialistischer Staat profitiere.
Kilani knüpft dann an und will zwar nicht das "Lügenpresse"-Narrativ von Querdenken bedienen, macht aber dann genau das (was nebenbei bemerkt nochmal verdeutlicht, wieso so viele "Linke" bei Querdenken mit dabei sind und den Antisemitismus teilen).
Davon aber ab ist es auch interessant, wie, angesichts der durchaus sehr tendenziösen Berichterstattung über I/P in deutschen Medien, die sich klar "neutral" gegen Israel richtet, er es hier darstellt, als wäre es das genau Gegenteil davon.
Buchholz betont dann nochmal, dass es Hausaufgaben für die Partei gibt. Gemeint ist, die Partei auf komplette Linie der BDS-Kampagne zu bringen.
Sowie ein Aufruf dazu sich als Linke an die Seite von Palästinenser*innen und von "antizionistischen Juden*Jüdinnen" zu stellen.
Trotz des Weglassens der Zugehörigkeit Kilanis zu marx21 nutzt Kilani dennoch das Podium um den "Palästina-Block" beim "marx is' muss" Kongress 2022 zu bewerben und beschreibt diesen Block als großen Teilerfolg.
Gefolgt von einem Aufruf mit allen Veranstalter*innen der Podiumsdiskussion trotz Verbots der antisemitischen Demos eine Kundgebung "für Meinungs- und Pressefreiheit" zu organisieren und gegen die "Nakba" zu demonstrieren.
In der Diskussionsrunde äußert jemand im Publikum die Hausaufgaben der PdL (also die Partei auf BDS Linie bringen) würden nicht einmal reichen, wenn man nicht Israel als "Ethnostaat" erachte und die Forderung nicht "from the river to the sea" laute, also die Auslöschung Israels.
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Auch im Nachhinein zeigen die Veranstalter*innen entsprechend fast keine Thematisierung von universellem Einsatz gegen patriarchale Gewalt auf der Demo sondern fokussieren Israel und scheinen diese Gewalt einzig dort zu verorten. Anlass für einige Gedanken zu Entrismus🧵
Die angebliche Absurdität besteht nicht primär darin, dass auf einer 25. November Demo Frauen Polizeigewalt erfuhren sondern - wenn überhaupt - darin, dass eine primär Hamas-solidarische Demo an solch einem Tag stattfand.
Im zweiten Jahr also fand eine große Demo in Berlin am 25. November, dem Internationalen Tag gegen patriarchale Gewalt, statt, die sich allen feministischen Ansätzen entgegengesetzt eher mit Tätern bzw. Vergewaltigern solidarisierte als mit Betroffenen patriarchaler Gewalt.
Emilia Roigs Vortrag an der FU Berlin bot das, was erwartet und auch erhofft wurde:
Versprechen, über Antisemitismus und Antizionismus aufzuklären, dabei aber zu beweisen, dass ersteres nicht verstanden wird, nur um im Endeffekt zweiteres zu legitimieren. Ein Thread🧵
Antisemitismus sieht Roig als Form von Rassismus. Soweit, so problematisch, aber auch wenig überraschend. Was Antisemitismus aber mit Kolonialismus und Imperialismus zu tun hat, bleibt im Grunde bis Ende offen.
Zwar erklärt Roig, dass Juden_Jüdinnen im antisemitischen Weltbild zugleich als "übermächtig" und "minderwertig" gelten, was sich vom bspw. antischwarzem Rassismus unterscheidet, erwähnt aber nicht den entscheidenden eliminatorischen Aspekt vom Antisemitismus.
Die Kuratorin Tania Bruguera (welche im Video im Repost konfrontiert wird) verlas übrigens am Anfang der Lesung eine Namensliste von Menschen, die "disinvited" oder "canceled" worden sind. Darunter einige Bekannte mit israelkritischen bis israelfeindlichen Positionen. 1/
Vor einer Woche teilte sie auf Instagram eine Petition für den Erhalt der "Kunstfreiheit" bei der documenta. Als sie selbst bei der documenta15 teilnahm, kritisierte sie die Debatten und plädierte für Verständnis für die Sicht von Palästinenser*innen. 2/
Am 15. Oktober nahm sie an einer propalästinensischen Demonstration in New York teil, und unterzeichnete zusammen mit zahlreichen anderen einen offenen Brief für ein "Ceasefire" und gegen das "institutionelle Schweigen" bzgl. der Lage in Gaza. 3/
Was ich bisher tatsächlich mit am schlimmsten finde, ist, wie vollkommen durchgehend, wenn schon die zivilen Opfer auf israelischer Seite zur Kenntnis genommen werden, Antizionist*innen ein Wort jedoch kaum nutzen: Juden_Jüdinnen. 🧵
Gerade die deutsche Linke, die seit den Nachfolgegenerationen meint alles besser zu wissen, die Erinnerungskultur und Vergangenheitsbewältigung der BRD vehement beklagt, kriegt genau dieses Wort bei solch einem Anlass nicht über die Lippen oder Tasten.
Jetzt, nachdem wir einen Tag erlebten, an welchem so viele Juden_Jüdinnen umgebracht worden sind wie seit dem Holocaust nicht mehr. Wo doch eine der ganz obersten Kritiken der deutschen Erinnerungskultur jene ist, dass für die Deutschen nur tote Juden_Jüdinnen zählen.
"Als die deutsche Bevölkerung die Wahrheit über Auschwitz erfuhr, erfuhr die englische Öffentlichkeit die Wahrheit über Dresden."
Was aus der Feder neonazistischer Gruppen stammen könnte, schrieb Ulrike Meinhof 1965, Mitgründerin der RAF.
Kurzer Thread 🧵
Im gleichen Text, in welchem diese Gleichsetzung von Dresden und Auschwitz konstruiert wurde (mitsamt der angeblichen Unkenntnis der Deutschen), welcher sich vollkommen dem Bombardement widmete, ging es direkt im nächsten Satz relativierend weiter.
Deutsche Linke feiern wieder den Tag, wollen aber weiter nichts von der Spezifik des Nationalsozialismus in Abgrenzung zu anderen Faschismen wissen. Ihnen scheint sogar der Sieg der UdSSR wichtiger als die Zerschlagung des NS und die Befreiung der Lager. Hauptsache gegen USA.
Hauptsache die angeblich befreite Gesellschaft des guten Staats™ war erfolgreich, da braucht man sich auch nicht damit zu beschäftigen, über was überhaupt gesiegt und was zerschlagen wurde. Schuldabwehr sucht man dann natürlich aber wieder bei den Anderen statt bei sich selbst.
Unter anderem deshalb geht es auch nie weiter als "Hinter dem Faschismus steht das Kapital" und man dabei weder Faschismus noch Kapital verstanden hat. Aber knackiger Spruch allemal.