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May 17 19 tweets 3 min read
Am 83. Tag des russischen Angriffskries lässt sich festhalten: Die Ukraine verliert nicht und Russland gewinnt nicht. Die Ukraine braucht weiter schwere Waffen, Benzin/Diesel und finanzielle Hilfen. Wie ist die Lage und worauf kommt es jetzt an? 🧵 1/18
Nach dem Scheitern der russischen Vorstöße auf Kyiv und Standhalten der Grenzstädte Tschernihiw, Sumy, Charkiw konzentrierte Russland die Angriffe auf den Schwerpunkt im Donbass und auf den Süden westlich des Dnipro von Cherson in Richtung Mykolajiw und Krywyj Rih. 2/18
Die Ukraine drängte die russischen Truppen um Charkiw bis außerhalb der Reichweiten der russischen Raketenartillerie zurück. Nordöstlich der Stadt erreichten ukrainische Kräfte punktuell die Grenze zu Russland - das gilt aber nicht für den gesamten Abschnitt bei Charkiw. 3/18
Im Schwerpunkt des Angriffs im Donbass nimmt Russland unter hohen Verlusten langsam weiter Territorium und erreichte den Stadtrand von Severodonezk (100.000 Einwohner) am Fluss Siverski Donets. Am anderen Ufer liegt die ebenfalls 100.000 große Stadt Lysychansk. 4/18
Die Oblast Luhansk ist derzeit damit fast vollständig unter russischer Kontrolle. Eine Eroberung des großen urbanen Gebiets Severodonezk und Lysychansk würde allerdings wahrscheinlich Wochen dauern - ähnlich wie in Mariupol. 5/18
Der beabsichtige Vorstoß vom wichtigen Punkt Isjum zwischen Charkiw und Donbass in Richtung Slowjansk ist den Russen nicht gelungen. Die Kämpfe im Gebiet Isjum gehen weiter, Russland erreichte aber keinen strategischen Durchbruch und hat jetzt erkennbar Probleme dort. 6/18
Im südlichen Raum westlich des Dnipro sowie in der Oblast Saporishje ergibt sich kein klares Bild. Die weiträumige Steppe ohne natürliche Verteidigungspunkte bietet beiden Seiten viel Raum zum Ausweichen, Schwerpunkte ändern sich auf beiden Seiten häufig. 7/18
Insgesamt war Russland damit in Kiew, Tschernihiw, Sumy und Charkiw nicht erfolgreich, kommt im Süden und im Donbass nur sehr langsam und unter hohen Verlusten voran. Es zeichnet sich ab, dass der russische Angriff insgesamt das Momentum verlieren wird. 8/18
Dennoch ist erhebliches ukrainisches Territorium besetzt: die Großstädte Berdiansk, Melitopol und Cherson, überwiegende Teile der Oblaste Cherson und Saporishje - wenn auch nicht die Stadt Saporishje selbst, die relativ geschützt in einer Biegung des Dnipro liegt. 9/18
Es geht also bei Weitem nicht nur um die Gebiete Donezk und Luhansk - auch wenn die russische Kommunikation das fortwährend wiederholt. 10/18
Die Kämpfe sind auf beiden Seiten sehr verlustreich. Die Ukraine hat durch Freiwillige noch viele Reserven. Russland versucht mit unfreiwilliger Verlängerung von Verträgen, verdecktem Einsatz von Wehrpflichtigen und Zwangsrekrutierung in besetzten Gebieten aufzufüllen. 11/18
Entscheidend bleiben für die Ukraine schwere Waffen, vor allem 155mm Artillerie mit passenden Treibladungen und sehr viel Munition sowie Panzer und gepanzerte Fahrzeuge. 12/18
Aus vielen Ländern bekommt die Ukraine mittlerweile umfangreiche Hilfe, so dass Aufnahmefähigkeit und notwendige Ausbildung auf ukrainischer Seite zunehmend im Voraus systematisch geplant und eingetaktet werden müssen. 13/18
155mm Artillerie mit viel Munition und Treibladungen bleibt kurzfristig im Fokus. M777-Haubitzen (USA, Kanada) werden von den Ukrainern bereits an der Front eingesetzt. Ausbildung an PzH 2000 (Niederlande, Deutschland), SUZANA (Slowakei) und CAESAR (Frankreich) läuft. 14/18
Die Versorgungslage mit Benzin, Diesel und Treibstoff wird in der Ukraine zunehmend kritisch. Die Streitkräfte haben Priorität - dadurch sind derzeit vor allem Wirtschaft, Landwirtschaft, Zivilbevölkerung durch den Mangel empfindlich eingeschränkt. 15/18
Durch die systematische Zerstörung der der Treibstofflager und der Eisenbahnstruktur durch russische Raketen wird die Versorgung mit Benzin und Diesel erheblich erschwert. Hinzu kommen jetzt mit fortschreitender Dauer immer mehr Langzeitfolgen des Krieges: 16/18
Die Stromversorgung ist schwierig, Stromversorger haben kaum mehr Einnahmen und die allgemeine Aufrechterhaltung der Ordnung und der wirtschaftlichen Tätigkeit in der Ukraine, Zahlung der Gehälter für den Staatsdienst usw. führen zu finanziellen Notlagen. 17/18
Long story short: Die Ukraine braucht weiter schwere Waffen, vor allem Artillerie+Munition, viel Benzin und Diesel für Militär, Wirtschaft, Landwirtschaft u. Bevölkerung sowie kräftige finanzielle Hilfen für die Stabilisierung des Staatshaushalts und kritischer Unternehmen. 18/18

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