Dass es zur Gründung dieser zweiten deutschen Demokratie kommen würde, war in den ersten Nachkriegsjahren alles andere als ausgemacht. Anfangs ging man wie selbstverständlich von einer gesamtdeutschen Lösung aus, ohne zu wissen, wie diese aussehen würde.
Als neu etablierte und gefestigte Weltmacht sahen die USA das Problem jedoch immer weniger in einer deutschen als in einer zukünftigen sowjetischen Bedrohung. Sie drängten darauf, die westdeutschen Zonen als Sicherheitspuffer gegen sowjetische Expansionsbestrebungen zu nutzen.
Das ging nur mit einem starken und westlich integrierten Deutschland, auf dessen Gründung man sich der Sache nach daher auf der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz im Jahr 1948 einigte.
Die Sowjetunion reagierte auf diesen Plan und die diesen vorbereitende Währungsreform mit der Berlin-Blockade, die vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 andauerte – der Zeit also, in der das Grundgesetz im Parlamentarischen Rat in Bonn ausgearbeitet und beraten wurde.
Den formalen Auftrag zur Verfassungsgebung erhielten die Westdeutschen am 1. Juli 1948 in den drei Frankfurter Dokumenten. Im ersten Dokument hieß es:
„Die Verfassungsgebende Versammlung wird eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft,
die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält.“
Die Ministerpräsidenten der Länder waren von dem alliierten Vorschlag, einen westdeutschen Staat zu gründen, anfangs nicht überzeugt. Sie hatten Sorge, damit die deutsche Teilung zu zementieren. Ein Weststaat würde gewiss zu einem Oststaat führen (so kam es dann auch).
Sie setzten zumindest durch, dass die Verfassung nicht Verfassung, sondern Grundgesetz heißen sollte – eine Bezeichnung, die an deutsche Rechtstraditionen anknüpfen konnte, da die grundlegenden Gesetze des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation so bezeichnet worden waren.
Das Grundgesetz sollte zudem weder von einer vom Volk gewählten verfassungsgebenden Versammlung erarbeitet noch durch eine Volksabstimmung ratifiziert werden, vielmehr durch Ländervertreter verfasst und durch Zustimmung der Landtage in Kraft treten.
Die Versammlung der Ländervertreter, der Parlamentarische Rat (bestehend aus 61 Männern und 4 Frauen), tagte vom 1. September 1948 bis zum Mai 1949 in Bonn mit dem Ziel, eine vorläufige Verfassung für die westlichen Besatzungszonen zu erarbeiten.
Von der Vorläufigkeit war am Ende allerdings nicht viel zu erkennen, was auch daran lag, dass der Herrenchiemseer Entwurf, auf dem der Parlamentarische Rat aufbaute, bereits ein umfassendes und keineswegs vorläufiges Verfassungsstatut darstellte.
Von Vorläufigkeit wird man daher allein im Hinblick auf den angestrebten territorialen Anwendungsbereich sprechen können.
Seit Ablauf des 23. Mai 1949 bildet das Grundgesetz die verfassungsrechtliche Grundlage der Bundesrepublik Deutschland. Es gilt seit dem am 3. Oktober 1990 nach Art. 23 GG a.F. vollzogenen Beitritt auch für die fünf „neuen“ Bundesländer auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein vollwertiger demokratischer Verfassungsstaat. Der Umstand, dass es nicht durch eine Volksabstimmung angenommen wurde, steht der Legitimation des Grundgesetzes nicht entgegen.
Verfassungen erhalten ihre Legitimation weniger durch ihr Erlassverfahren als durch Akzeptanz und Zeitablauf. Ihre tägliche Anerkennung durch die Herrschaftsunterworfenen und die Achtung der Verfassung im pol. Prozess bilden die entscheidenden Faktoren für die Legitimation.
Eine solche Legitimation wird man für das Grundgesetz daher spätestens mit der ersten sozialliberalen Koalitionsregierung ab dem Jahr 1969 nicht mehr bezweifeln können.
Wenn die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes heute von so manchem sogenannten Reichsbürger herangezogen wird, um seine Legitimation anzuzweifeln, offenbart das vor allem eines: eine beachtliche Ahnungslosigkeit im Hinblick auf verfassungsgebende Prozesse.
Auch das Verfahren der Wiedervereinigung war verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der ehemalige Art. 23 GG sah die Option eines Beitritts der DDR ausdrücklich vor.
Ob es besser gewesen wäre, den in Art. 146 GG vorgesehenen Weg einer gesamtdeutschen Verfassungsneugebung zu gehen, ist eine politische und keine rechtliche Frage. Es hätte als Ausdruck einer „Neuordnung auf Augenhöhe“ spätere Ressentiments eventuell abschwächen können.
Das Grundgesetz macht mit seinen insgesamt 146 Artikeln schon zu Beginn klar, dass es sich nachgerade als Antithese zum nationalsozialistischen Terrorregime (keineswegs aber pauschal zur Weimarer Verfassung) versteht:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Diese „antitotalitäre Grundnorm“ leitet das Grundgesetz ein und steht am Anfang eines umfassenden Grundrechtskatalogs, der inhaltlich und sprachlich an die Weimarer Verfassung und an die Paulskirchenverfassung anknüpft.
An der normativen Verbindlichkeit dieser Grundrechte für alle Staatsgewalten lässt das Grundgesetz keinen Zweifel mehr aufkommen. Art. 1 Abs. 3 GG stellt diese Bindung ausdrücklich fest.
Heute trägt das GG so zu einer stabilen demokr. Ordnung bei. Diese Stabilität ist im weltweiten Vergleich keine Selbstverständlichkeit. Vielleicht wäre es an der Zeit, diesen Beitrag mit einem besonderen #Verfassungsfeiertag zu ehren? (mehr erlaubt mir twitter nicht zu schreiben)
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Wichtig zu unterscheiden: Hier hat nicht der Staat oder gar die Demokratie versagt, denn das impliziert strukturelle Defizite. Hier wurden schlicht immer wieder schlechte Entscheidungen getroffen, weil das gewählte Personal überfordert war. 1/6
Das Treffen guter Entscheidungen kann und will eine Demokratie aber nicht garantieren. Sie erlaubt aber die Sanktion schlechter Entscheidungen. Durch Abwahl und andere Mechanismen. Erinnert sei insoweit an Art 65 GG: Die Bundeskanzlerin trägt die politische Verantwortung. 2/6
Wir scheinen uns in den letzten Jahren aber an einen Politikstil gewöhnt zu haben, der die üblichen Sanktionen gerade gegenüber der Kanzlerin nicht mehr ernsthaft in Betracht zieht und halten das für normal - so, als könnte man gegen eine schlechte Regierung nichts tun. 3/6
Ein paar Gedanken zum Verhältnis EU-Recht/nationales Recht und BVerfG - Urteil (Thread):
Bei dieser Frage stehen sich eigentlich seit jeher zwei Ansichten gegenüber. Problem: beide Ansichten sind aus der jeweiligen Perspektive absolut nachvollziehbar. /1
Der EuGH muss aus der Perspektive des EU-Rechts den absoluten Vorrang beanspruchen. Anders ist eine vollwertige Rechtsgemeinschaft nicht denkbar. Insofern ist sowohl die Presseerklärung des EuGH als auch diejenige von vdL absolut nachvollziehbar und der Sache nach richtig. /2
Selbstverständlich muss die EU für diesen Anspruch jetzt laut werben und kämpfen, nachdem er so prominent in Frage gestellt wurde. /3