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Jun 2 17 tweets 3 min read
#OnkoABC - "D" wie Darmkrebs

Darmkrebs gehört zu den häufigen Krebserkrankungen (etwa 40.000 Neudiagnosen im Jahr in Deutschland) und beschäftigt uns in der Onkologie tagtäglich.

Um die Fortschritte in der Behandlung einmal darzustellen, hier ein Fallbeispiel: 1/n
Ein 74-jähriger Mann stellt sich mit starken Schmerzen im Unterbauch in der Notaufnahme eines Krankenhauses vor. Aufgrund der schweren Symptomatik wird rasch eine CT-Untersuchung durchgeführt.

Diese zeigt einen tumorösen Prozess am aufsteigenden Dickdarm. Daneben liegt ein 2/n
riesiger Abszess von 18 cm Größe.

In einer schwierigen Operation werden der Tumor, der Abszess und die zugehörigen Lymphknoten entfernt.

Fast zwei Monate lang liegt der Patient auf Intensivstation mit einem komplikationsträchtigen Verlauf. Zwischenzeitlich 3/n
ist sogar eine Dialyse notwendig. Trotzdem erholt er sich und wird anschließend in eine Rehabilitationseinrichtung verlegt.

Etwa fünf Monate nach der Operation stellt sich der Patient in unserer Praxis vor. Er ist noch geschwächt, lebt mittlerweile bei seiner 4/n
Tochter und fühlt sich aber täglich besser.

Eigentlich wäre bei seiner Tumorformel (pT3 pN1a(1/15) L1 V0, lokal R0, cM0) eine sogenannte adjuvante Chemotherapie sinnvoll gewesen, um das Rückfallrisiko zu senken. 5/n
Diese konnte aber wegen der Komplikationen nach der Operation nicht stattfinden.

Daher vereinbaren wir eine erneute CT-Untersuchung. Leider stellen sich im CT große Lymphknoten überall im Körper bis hinauf zum Hals dar.

Aufgrund des ungewöhnlichen Befalls wird einer der 6/n
Halslymphknoten zur Biopsie entfernt. In der Gewebeuntersuchung findet der Pathologe tatsächlich Adenokarzinomzellen eines Darmkrebses in dem entnommenen Lymphknoten.

Normalerweise wäre jetzt eine palliative Chemotherapie (in Kombination mit einem Antikörper) angezeigt 7/n
Weitere Untersuchungen, die mittlerweile beim Darmkrebs zum Standard gehören, erbringen wichtige Befunde: KRAS negativ, BRAF V600E Mutation, Her2neu negativ, MSI high.

MSI high steht für Mikrosatelliteninstabilität und ist ein Zeichen für Mutationen in DNA-Reparatur- 8/n
Systemen. Wenn sich Tumorzellen teilen, wird auch die DNA verdoppelt. Hierbei auftretende Fehler, werden normalerweise erkannt und repariert. Liegt hier aber ein Defekt in diesen Systemen vor, dann bleiben diese Fehler bestehen und lassen sich als 9/n
Mikrosatelliteninstabilität nachweisen.

Spannenderweise sprechen diese Tumore gut auf Immuntherapien mit Checkpoint-Inhibitoren an (durch die hohe Mutationslast werden viele sogenannte Neo-Antigene gebildet).

Kürzlich konnte eine große Studie (KEYNOTE-177) zeigen, dass 10/n
bei Patienten mit metastasiertem Darmkrebs und Mikrosatelliteninstabilität (ca. 15% der Darmkrebserkrankungen) eine Therapie mit dem PD1-Antikörper Pembrolizumab einer Behandlung mit klassischer Chemo-Antikörpertherapie überlegen ist 11/n

nejm.org/doi/full/10.10…
Somit begannen wir bei dem Patienten eine Behandlung mit Pembrolizumab.

In aller Regel werden Immuntherapien recht gut vertragen. In 20% der Fälle treten aber sogenannte immunvermittelte Nebenwirkungen auf, die sämtliche Organe betreffen können. 12/n
Hier zeigten sich schon nach zwei Zyklen Immuntherapie ausgeprägte Veränderungen an den Händen, die wie ein schweres atopisches Ekzem aussahen (Das Beispielbild stammt nicht vom Patienten).

Nach drei Gaben waren die Veränderungen so ausgeprägt, dass eine Therapiefortsetzung 13/n
unmöglich war. Die Immuntherapie musste abgebrochen werden.

Um das Immunsystem "zu unterdrücken" wurde eine Steroidbehandlung mit Kortisontabletten begonnen. Es dauerte mehrere Wochen, bis die Veränderungen rückläufig waren und schließlich komplett verschwanden. 14/n
Obwohl die Immuntherapie nur dreimal verabreicht wurde, war das Ansprechen erstaunlich. Sämtliche Lymphknotenmetastasen bildeten sich fast vollständig zurück. Der erhöhte Tumormarkerwert CEA normalisierte sich innerhalb von wenigen Wochen. 15/n
Auch über ein Jahr nach Therapieabbruch ist die Krebserkrankung immer noch unter guter Kontrolle.

Beim letzten Termin kürzlich war im CT kein neues Tumorwachstum feststellbar. Und die Hände des Patienten sahen wieder ganz normal aus.

Dieser - etwas längere - Thread soll 16/n
einmal zeigen, welche Fortschritte es in der Behandlung von Darmkrebserkrankungen in den letzten Jahren gegeben hat (zumindest für Untergruppen) und wie wichtig für viele Tumorarten eine genaue Charakterisierung von molekulargenetischen Veränderungen geworden ist.

Ende. 17/n

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May 27
#OnkoABC - "B" wie Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Wenn es eine Krebserkrankung gibt, bei der ich mir einen medizinischen Durchbruch wünschen würde, dann wäre es das Pankreaskarzinom.

Bauchspeicheldrüsenkrebs ist häufig (etwa 19.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland) und die
Prognose ist schlecht. Insgesamt überleben nur 9% der Patienten mit Pankreaskarzinom 5 Jahre. Meist erfolgt die Diagnose wegen unspezifischer Symptome (Rückenschmerzen, Gelbfärbung der Haut, Gewichtsverlust) erst in sehr fortgeschrittenen Stadien.

Wenn Allgemeinzustand und
Tumorstadium eine chirurgische Entfernung des Pankreaskarzinoms erlauben, ist eine sogenannte adjuvante Chemotherapie unumgänglich. Dann sind auch die Überlebenschancen (etwas) besser.
nejm.org/doi/10.1056/NE…
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May 26
#OnkoABC - "B" wie BRCA-Mutation.

Etwa 5% aller Krebserkrankungen sind erblich bedingt. Schaut man sich Familienstammbäume genau an, fällt eine Häufung von Krebserkrankungen in betroffenen Familien auf.

Eine ganze Reihe dieser erblichen, angeborenen Veränderungen lassen
sich heutzutage nachweisen, eine Domäne der Humangenetik.

Die bekannteste genetische Veränderungen ist die BRCA-Mutation. Hier haben Anlagenträgerinnen ein etwa 70%iges Risiko während ihres Lebens an Brustkrebs zu erkranken. Deutlich erhöht ist auch das Risiko für Eierstock-
krebs (und für Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs).

Das Lynch-Syndrom (HNPCC) verursacht etwa 3% aller Darmkrebserkrankung. Ursächlich sind Mutationen in sogenannten DNA-Reparaturgenen.

Viele erbliche Tumorsyndrome haben gemeinsam, dass es Früherkennungsprogramme gibt,
Read 4 tweets
May 25
#OnkoABC - "B" wie Beckenkammpunktion.

Der Beckenknochen ist der bevorzugte Ort für eine Knochenmarkpunktion. Eine Untersuchung, die für viele Patienten mit großen Ängsten behaftet ist.

Bei einem erfahrenen Untersucher, mit guter örtlicher Betäubung und viel Ruhe ist eine
Punktion trotzdem für die meisten Patienten überraschend erträglich in 10 Minuten über die Bühne zu bringen.

Im Anschluss an die Untersuchung heißt es noch einmal für ca. 30 Minuten auf einem Sandsack zu liegen, um die Punktionsstelle zu komprimieren. Dann geht es nach Hause. Image
Meistens erfolgen eine Knochenmarkaspiration, bei der ca. 10 ml Knochenmarkblut entnommen werden und eine Stanzbiopsie. Hier wird ein schmaler, ca. 1,5 cm langer Knochenmarkzylinder gewonnen.

Das Knochenmark kann dann histologisch unter dem Mikroskop, durchflusszytometrisch,
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May 25
#OnkoABC - "B" wie Brustkrebs:

Brustkrebs ist der häufigste bösartige Tumor bei Frauen. Ungefähr 9% erkranken während ihres Lebens daran. Das mittlere Alter bei Erstdiagnose liegt bei etwa 65 Jahren. Über alle Stadien hinweg ist die Heilungsrate >80%.
In frühen Stadien entdeckt, sind die Heilungschancen sogar noch besser, was vielen Menschen nicht bewusst ist. Krebs ist nicht immer ein Todesurteil. Durch Mammographie-Screening wird das Risiko gesenkt, an Brustkrebs zu versterben.

Ziel der Behandlung in frühen Stadien (ohne
Metastasen) ist die Heilung. Je nach Ausbreitung und Aggressivität der Erkrankung werden hierzu Operation, Bestrahlung, Chemo- und Antikörpertherapie sowie endokrine Therapien miteinander kombiniert.

Auch in der metastasierten Situation hat sich in den letzten Jahren viel getan.
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May 24
#OnkoABC - "A" wie autologe Stammzelltransplantation.

Die Stammzelltransplantation, (SZT) mit fremden Stammzellen, genannt allogene SZT ist ein Standardverfahren, vor allem bei akuten Leukämien.

Weniger bekannt, aber trotzdem mit festem Stellenwert, ist eine SZT mit eigenen
Stammzellen.

Die Hauptindikationen sind die Hochdosistherapie beim Multiplen Myelom, sowie die Rezidivbehandlung bei Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphomen.

Nach medikamentöser Stimulation werden Blutstammzellen ins periphere Blut abgegeben. Diese können mit einem Verfahren, das an
eine Dialyse erinnert, gesammelt und eingefroren werden. Die Präparate halten so Jahre.

Nun kann eine sehr intensive Chemotherapie gegen die Krebserkrankung verabreicht werden. Normalerweise würde sich das eigene Knochenmark von einer solchen Therapie nicht mehr erholen.
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May 23
#OnkoABC "A" - Analkarzinom:

Etwa 5% der bösartigen Tumore des Gastrointestinaltrakts sind Analkarzinome und damit relativ selten.

In den meisten Fällen ist eine Infektion mit dem Humanen Papillomvirus ursächlich, meist HPV 16. Ein weiterer Risikofaktor ist eine HIV-
Infektion. Eine Vorbeugung existiert mittlerweile durch die HPV-Impfung bei Mädchen und Jungen.

Erfreulicherweise werden die meisten Analkarzinome in früheren Stadien entdeckt. Dann ist eine Heilung mittels einer Kombination aus Bestrahlung und Chemotherapie
(Radiochemotherapie) möglich, ohne durch eine Operation die Funktion des Schließmuskels zu verlieren.

Warnsymptome sind Blutauflagerungen auf dem Stuhl, Schmerzen beim Stuhlgang, Juckreiz und Schmerzen sowie Hautveränderungen oder -verhärtungen.
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