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Jun 15 25 tweets 7 min read
Übergewinnsteuer Teil 3, Ausgestaltung und rechtliche Aspekte: Ich bin Ökonom, kein Jurist, habe aber vor längerer Zeit eine Ausbildung im Steuerrecht gemacht und bis 2018 für 8 Jahre als Referent für Steuerpolitik im Bundestag gearbeitet. 1/x
Meine Erfahrung dort: Es macht wenig Sinn mit Menschen, die prinzipiell (z.B. weil sie Interessen vertreten) gegen eine Steuer sind über deren Ausgestaltung zu diskutieren. Zumindest solange nicht, wie Diese glauben, die Steuer noch komplett abwenden zu können. 2/x
Daher werde ich mit dem Folgenden Niemanden überzeugen, der bisher nicht davon überzeugt werden konnte, dass eine Übergewinnsteuer prinzipiell sinnvoll ist. 3/x
Es gibt kaum eine grundlegende Steuerrechtsänderung gegen die keine (verfassungs)rechtlichen Bedenken angebracht werden. Es wird daher auch kein Gesetz verabschiedet bei dem es SICHER ist, dass das Bundesverfassungsgericht bei einer Klage keinerlei Einwände hat. 4/x
Juristen können das Urteil der Verfassungsrichter nicht vorhersagen. Auch die Mehrheit der Juristen hat sich schon häufig geirrt. Was Juristen aber können ist mögliche Bedenken zu artikulieren, die dann der Bundestag im Gesetzgebungsverfahren aufgreifen kann. 5/x
So kann die Wahrscheinlichkeit eines positiven Urteils deutlich erhöht werden. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Würde man bei allen Gesetzen, gegen die juristische Einwände formuliert werden, von der Gesetzgebung absehen, würden wir einen Reform-Stillstand erleben. 6/x
Die Möglichkeit des Irrtums müssen wir also immer in Kauf nehmen, wenn wir Veränderung wollen. Die Ausarbeitung des Wiss. Dienst zeigt, dass eine Übergewinnsteuer grundsätzlich zulässig ist: bundestag.de/resource/blob/… Das muss ich hier nicht wiederholen. 7/x
Über die Ausgestaltung lässt sich streiten, und sollte auch gestritten werden. Zunächst haben wir einen Zielkonflikt der in der Steuerpolitik ein alter Hut ist. Den zwischen Einfachheit und Handhabbarkeit auf der einen und Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite. 8/x
Ich neige meistens eher in Richtung Einfachheit, um die Befolgungskosten geringer zu halten. Aber auch, weil es uns nicht hilft, wenn komplexe Gesetze auf dem Papier gerecht sind, aber von der Steuerverwaltung nicht richtig und gleichmäßig angewendet werden können. 9/x
Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder entschieden, dass Vereinfachungen, Typisierungen und Pauschalierungen im Steuerrecht zulässig sind. Natürlich dürfen sie nicht willkürlich sein und müssen nachvollziehbar begründet werden. 10/x
Gerade bei einer nur temporären Steuer auf Übergewinne spricht viel dafür, diese so einfach wie möglich zu konzipieren. Das geht aber tatsächlich nur um den Preis, dass sie nicht in jedem Fall und immer gerecht ist. 11/x
Verfassungsrechtlich sehe ich bei einer Begrenzung auf bestimmte Branche(n) ein Problem beim Gleichheitsgrundsatz. Mit einer guten Begründung wäre es aber denkbar, dass eine Fokussierung auf bestimmte Branchen (Energiewirtschaft) zulässig ist. 12/x
Das hätte den Vorteil, dass die Steuer klarer auf den Bereich konzentriert werden könnte, in dem derzeit windfall profits anfallen. Aber mich würde die Meinung von Verfassungsrechtlern dazu interessieren. @verfassungsblog 13/x
Der Wissenschaftliche Dienst zeigt, dass man an der Kapitalrendite ebenso anknüpfen kann wie an den Normalgewinnen der Vorjahre. Letzteres ist einfacher. Die Kapitalrendite wäre besser geeignet, wenn es darum ginge eine dauerhaft progressive Unternehmensteuer zu konzipieren. 14/x
Einwände, dass Unternehmen ihren Gewinn bilanziell gestalten können verstehe ich nicht @LageNation Das können sie nur im Rahmen dessen was das Steuerbilanzrecht zulässt, und nicht willkürlich schneller abschreiben oder Rückstellungen bilden. 15/x
Das verbleibende Gestaltungsproblem haben wir bei der Besteuerung von Unternehmen immer und auch ganz ohne Übergewinnsteuer. Die Steuerverwaltung ist durchaus in der Lage damit umzugehen, wie die relevanten Einnahmen aus der Besteuerung von Unternehmen beweisen. 16/x
Relevanter ist der Einwand, dass die Gewinne bei den Konzernteilen im Ausland anfallen. Das Problem haben wir aber bei Konzernen auch immer. Über die Festsetzung der Verrechnungspreise und damit die Aufteilung des Gewinns wird oft gestritten. 17/x
Einfacher wäre es mit einer Formelallokation wie sie in der GKKB angelegt war. Dieses Reformvorhaben ist aber derzeit wenig erfolgversprechend. Auch das Verfahren der Berechnung von Resiualgewinnen bei der globalen Mindestbesteuerung ist m.W. noch nicht in Anwendung. 18/x
Daher sollten wir uns bei einer nur temporären Übergewinnsteuer auf die bestehenden Methoden stützen, um sie schnell implementieren zu können. Italien zeigt hier einen pragmatischen Weg auf. Unternehmen, deren Wertschöpfung deutlich gestiegen ist werden erfasst. 19/x
Mir ist nicht ganz klar, ob Italien diesen Wertschöpfungsanstieg oder nur den Gewinnanstieg dieser Unternehmen gegenüber den Vorjahren besteuert.Da andere Teile der Wertschöpfung (Löhne) keine starke Steigerung zu den Vorjahren aufweisen, ist das Ergebnis vermutlich ähnlich. 20/x
Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil gerade aus Deutschland Italien immer wieder eine unsolide Finanzpolitik vorgeworfen wurde. Anders als Deutschland bemüht man sich aber zumindest die Kosten der Krise nicht nur über Verschuldung zu finanzieren. 21/x
Ich habe auch Fragen zur EU-rechtlichen Zulässigkeit bekommen. Die EU hat aber gar nicht die Kompetenz im Bereich der direkten Steuern. Es sind daher lediglich einige Richtlinien im Konzernbereich (Mutter-Tochter-Richtlinie etc.) zu beachten. 22/x
Die EU-Kommission hat in einer Leitlinie auch bereits eine befristete Besteuerung von Übergewinnen erlaubt. Meines Erachtens hat das aber nur klarstellenden Charakter. Die Mitgliedsstaaten hätten auch so handeln können. Wer es anders sieht müsste konkret sagen weshalb. 23/x
Keynes wird das Zitat “It is better to be roughly right than precisely wrong.“ zugeschrieben. Dieser Vorschlag ist auch so zu verstehen: Es ist besser eine unvollkommene und anwendbare Übergewinnsteuer zu haben, als in der aktuellen Lage Übergewinne gar nicht zu besteuern. 24/25
Man kann das anders sehen, und ich freue mich auf konstruktive Vorschläge für andere Ausgestaltungen. #uebergewinnsteuer #windfalltax #EconTwitter @SBachTax @FuestClemens @AchimTruger @KatjaRietzler @SDullien @steuergerecht @finanzwende @LageNation @MartinGreive @jsuedekum 25/25

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Jun 14
Fortsetzung Übergewinnsteuer: Sieht man es makroökonomisch kommen weitere Argumente für die Steuer hinzu. Unter Anderem möchte der Bundesfinanzminister schon im kommenden Jahr wieder die Schuldenbremse einhalten. 1/x
Ich finde das falsch, aber er gewinnt auch keine Glaubwürdigkeit, indem er in diesem Jahr immer mehr Kredite aufnimmt, und gleichzeitig behauptet nächstes Jahr würde die Schuldenbremse auf jeden Fall gelten. 2/x
Vielmehr würde es Sinn ergeben schon jetzt einen kleinen Teil der Ausgaben für Unterstützungsmaßnahmen der Haushalte (die womöglich auch noch einmal ausgeweitet werden müssen) auch über Steuern und nicht vollständig über Kredite zu finanzieren. 3/x
Read 17 tweets
Jun 13
Ich muss mich mal zur Übergewinnsteuer äußern. Selbstverständlich kann man dazu unterschiedlicher Meinung sein, aber die Debatte ist aus meiner Sicht (die eines Ökonom und Befürworters) schon durch viele zweifelhafte oder sogar falsche Argumente geprägt. 1/x
Viele machen den Denkfehler, Gewinne als etwas in der Marktwirtschaft Wünschenswertes bezeichnen. Das ist aber nur das Gewinnstreben, nicht sein Erfolg. Im Idealfall sollte der Wettbewerb dafür sorgen, dass langfristig nur geringe Gewinne entstehen. 2/x
Ein Wohlfahrtsmaximum wird bekanntlich erreicht, wenn ein vollkommener Wettbewerb dafür sorgt, dass der Preis den Grenzkosten entspricht. Das bedeutet nicht, dass überhaupt keine Gewinne entstehen. Alle Unternehmen die günstiger produzieren machen dann immer noch Gewinne. 3/x
Read 23 tweets
Jun 1
Heute sinken die Spritpreise. Vielleicht nicht so deutlich, weil die Mineralölwirtschaft ein Teil der geschätzt 3,4 Mrd. als Gewinn verbucht. Das sind zwar nur etwa 12% der Entlastungspakete, aber in meinen Augen so kontraproduktiv, dass man sich damit befassen muss. 1/x
Verteilungswirkung: Im Gegensatz zu anderen Energieträgern geben ärmere Haushalte nicht einen größeren Anteil ihres Einkommens für Benzin und Diesel aus als Reichere. Damit werden also alle etwa prozentual gleichmäßig entlastet, was ja auch das Ziel der FDP war. 2/x
Das DIW hat in seinem Wochenbericht 17/2022 festgestellt, dass auch nach den Entlastungen durch die Regierung ärmere Haushalte prozentual stärker getroffen werden: Bei den ärmsten 10% ein Rückgang des Nettoeinkommens um 3%, beim obersten Dezil 1,3%. 3/x
Read 30 tweets
Apr 19
Anders als andere Ökonom_innen habe ich mich mit einer Meinung zu einem Gas- und Ölboykott schwergetan. Die Frage ist auch alles andere als einfach und mit vielen Unsicherheiten behaftet. Ich befürworte aber jetzt ein Boykott. Die Gründe
Wir wissen heute nicht wie groß die wirtschaftlichen Folgen für Deutschland sind. Finde es aber auch weniger entscheidend, ob es zwei oder sechs Prozent sind. Wichtiger scheint mir, ob wir die wirtschaftspolitischen Instrumente haben um darauf zu reagieren. Das ist der Fall.
Vor allem Gas ist nicht vollständig substituierbar. Wir können es einsparen und wir können auch auf andere Lieferländer ausweichen (siehe Studie des DIW), aber es bleibt noch eine Lücke. Bestimmte Produktionsprozesse in einigen Branchen werden deutlich reduziert werden müssen.
Read 16 tweets
Apr 19
Anders als andere Ökonom_innen habe ich mich mit einer Meinung zu einem Gas- und Ölboykott schwer getan. Die Frage ist auch alles andere als einfach und mit vielen Unsicherheiten behaftet. Ich befürworte aber jetzt ein Boykott. Die Gründe: 1/n
Wir wissen heute nicht wie groß die wirtschaftlichen Folgen für Deutschland sind. Finde es aber auch weniger entscheidend, ob es zwei oder sechs Prozent sind. Wichtiger scheint mir, ob wir die wirtschaftspolitischen Instrumente haben um darauf zu reagieren. Das ist der Fall: 2/n
Vor allem Gas ist nicht vollständig substituierbar. Wir können es einsparen und wir können auch auf andere Lieferländer ausweichen (siehe Studie des DIW), aber es bleibt noch eine Lücke. Bestimmte Produktionsprozesse in einigen Branchen werden deutlich reduziert werden müssen 3/n
Read 15 tweets

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