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Aug 7 33 tweets 6 min read
Ihr wolltet es, ihr kriegt es:

Der ultimative🧵zum Thema #Pflegenotstand aus der Sicht der #Pflege. Probleme, die ich in meinen Stationen im Pflegeheim, auf der Sozialstation, in der Reha sowie in der Psychiatrie beobachten konnte. Und wie man sie lösen kann. 👇
Punkt 1) DRG - Fallbezogene Diagnosen

Das DRG-System wurde 2003 eingeführt, um die Abrechnung im Gesundheitswesen zu vereinfachen, indem div. Diagnosen zu Fällen zusammenfügt und dafür einen pauschalen Betrag X für die Behandlung ausgezahlt wird. Problematisch wird das Ganze,
wenn eine Therapie nicht nach Schema F funktioniert. Beispielsweise in der Psychiatrie. Dort muss Therapie X bei Diagnose Y nicht anschlagen und dadurch entstehen die „Drehtürpatienten“: Das Budget für den Patienten ist aufgebraucht ehe er austherapiert ist und wird so entlassen
mit der Gewissheit, diese Person bald wieder aufnehmen zu müssen und von Neuem zu behandeln. Das selbe passiert im somatischen Haus, z.B. bei Komplikationen, allerdings seltener. Allerdings fördert dieses System kurze Verweildauern im Krankenhaus, die sog.„blutigen Entlassungen“.
Natürlich ist dies nicht primär nur ein Problem für den Pflegenotstand, sondern sorgt im gesamten medizinischen Bereich für enge Budgets.
Lösung: weg mit den DRG‘s, hin zu einer individuellen Behandlungsfinanzierung. Am Ende ist’s eine Mischkalkulation. KK bezahlt.
Punkt 2) Pflegeausbildung

In der Überschrift findet sich bereits der Fehler: ein Beruf, der auf Augenhöhe mit der Medizin arbeiten soll, muss studiert werden. Unsere Nachbarn machen es vor: In Schweden und GB ist Pflege nur noch mit einem Studium zugänglich. Das sorgt dafür,
dass Pflege- und Medizinstudenten zusammen unterrichtet werden und das interdisziplinäre Arbeiten gefördert wird. Natürlich steigt damit auch das Ansehen für den Beruf sowie die Bezahlung. Aktuell ist das große Problem, dass die Fachlichkeit zw. Pflegenden extrem variiert, oft
nicht zum Positiven. Vor allem die Altenpflege ist medizinisch durch den Schwerpunkt benachteiligt, ohne tatsächlich irgendetwas besser zu können. Dies sollte sich mit der Generalistik ändern, allerdings bleibt es nach wie vor ein Ausbildungsberuf.
Lösung: Studium und Ausbildung parallel anbieten (Vorbild Niederlande), dabei wird die 3-Jährige Ausbildung zur „Helferausbildung“ und Pflegefachpersonen examinieren per Studium. 1 Jährige Ausbildungen und „Crashkurse“ werden nicht mehr angeboten.
Punkt 3) Gesetzliche Vorgaben

Um z.B. eine Station oder ein Pflegeheim führen zu dürfen, müssen Regelungen zum Personalschlüssel eingehalten werden. Das Problem: diese Schlüssel stellen lediglich das absolute Minimum dar, welches vorhanden sein muss. Da Personal teuer ist,
spart es sich an der Stelle am Leichtesten. Also hangeln sich Geschäftsführer am Minimum entlang und haben damit ihren Job getan, was natürlich auf Kosten der Qualität, der Fehlerhäufigkeit und der Gesundheit der Belegschaft geht. Daraus ergibt sich ein Teufelskreis.
Schon jetzt ist die Pflege der Arbeitssektor mit der höchsten Krankheitsrate, vor allem bei psychischen Erkrankungen wie Burnout und Depression.
Nun möchte man mit §113c SGB XI in Zusammenarbeit mit der Uni Bremen dafür sorgen, dass mehr Personal
in der Pflege eingesetzt wird, dank eines neuen Personalschlüssels. Das Problem: Das Personal wird, wenn es nach §113c geht, mit Hilfskräften aufgestockt. Frei nach dem Motto: Mehr Hände schaffen mehr Arbeit. Wenn die Pflege an Hilfskräften hängen bleibt, hat die Fachkraft
mehr Zeit für die medizinischen Tätigkeiten. Was allerdings gerne vergessen geht: Pflege besteht nicht nur aus Waschen. Veränderungen am Patienten durch Krankenbeobachtung sehen die Fachkräfte immer sicherer als Hilfskräfte. Prophylaxen werden von Hilfskräften seltener angewandt,
weil dies in einem Jahr Lehre nicht vollends drin ist, uvm.. Fakt ist: Die Arbeit einer Fachkraft kann nicht durch viele Hilfskräfte ausgeglichen werden. Außerdem bringt uns das zum nächsten Problem (Punkt 4).
Lösung: Personalschlüssel sind schön und gut, aber sorgen für ein
Alibi der Betreiber. §113c ist ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings muss das Ganze überdacht werden, will man Pflege als Profession auch weiter bringen (Vor allem wegen Punkt 2). Somit sollte es einen Puffer geben und Häuser mit gutem Personalschlüssel finanziell
belohnt werden, vom Land z.B.. Es ist im Sinne der Gesellschaft, dass unsere Gesundheitseinrichtungen gut Laufen.

Punkt 4) Gehalt

Das leidige Thema, man kann es kurz halten: Für eine Person, die dauerhaft unter psychischem und physischen Druck steht, dabei Verantwortung für
Menschenleben hat und keine Fehler machen darf, da damit diese in Gefahr geraten, sind 3300€ brutto im Schnitt zu wenig. Bei den Hilfskräften ist es noch lausiger: Im Schnitt sind es 2300€ brutto. Alles für eine Vollzeitstelle, mit Wochenends- und Feiertagsarbeit. Das ist
ein Witz und zeigt auf, wo unsere Probleme liegen: FDP echauffiert sich, dass Pflege so viel verdienen könnte wie eine mittlere Führungskraft in der Industrie. Und selbst das ist, und da sollte die Mehrheit dafür sein, das MINDESTE. So ist es kein Wunder, warum junge Menschen
lieber studieren gehen, als den Ausbildungsberuf Pflege zu ergreifen. Für den Aufwand und die Belastung ist es nicht lohnenswert. Und immer mehr Kollegen realisieren dies und verlassen den Beruf.
Lösung: Gehälter auf ein angemessenes Niveau anheben. Keine Boni mehr, es muss was
anhaltendes her. Evtl. auch mit Punkt 2 verknüpft.

Punkt 5) Unternehmensstrukturen / Gesundheitswesen

Auffällig in GER ist, dass viele Gesundheitseinrichtungen in privater Hand sind. Das schreit natürlich nach Profit, denn: ein Unternehmen möchte wachsen, Gewinne erzielen und
vor allem die Person, die ganz oben sitzt, möchte das Meiste raus haben, denn sie hat auch das größte Risiko und haftet für alles. Ihr merkt, worauf das hinaus läuft: ein privates Unternehmen kümmert sich NIEMALS in erster Linie um den Kunden, sondern um das Produkt und deren
Erlöse. Wieder ein Blick nach Skandinavien: dort gibt es nur noch sehr wenige Gesundheitseinrichtungen in privater Hand, das erlaubt Subventionen durch den Staat / das Land. Gesundheit ist dort ein Interesse der Gesellschaft. Und es funktioniert. Das selbe mit Krankenkassen:
Habt ihr euch nie die Frage gestellt „Wenn es verpflichtend ist, Krankenversichert zu sein, warum es dann 50+ Krankenkassen gibt?“? Das ist eben wieder einer dieser Profit-Probleme: Jede KK hat Bereichsleiter, Gebietsleiter usw. die bezahlt werden müssen.
Lösung: Der Staat
übernimmt die Gesundheitsversorgung. Weg von Profiten, hin zum gesellschaftlichen Interesse. Der Patient und dessen Versorgung steht im Vordergrund. Natürlich kostet das Geld, aber die Ideen für Geldbeschaffung sind nicht neu(Erbschaftssteuer, Erhöhte Steuern für Reiche und auf
Übergewinne, Cannabis legalisieren und besteuern, etc.). Damit lässt sich das Defizit im Haushalt für das Gesundheitssystem auffangen und bei Bedarf vom Staat regulieren. Allerdings gibt es da sicherlich noch mehr Möglichkeiten, ich bin dafür nicht politisch aktiv genug.
Punkt 6) Digitalisierung

Aktuell mein Lieblingsthema. Wir alle wissen, dass GER aktuell sehr weit zurückliegt, vor allem in Sachen Internet und technologischem Fortschritt. Das sorgt allerdings auch in der Pflege für Probleme: Anbieter von Software für Gesundheitseinrichtungen
entwickeln diese nicht mit dieser, sondern für diese. Das sorgt dafür, dass die Programme, die wir heute nutzen teuer, umständlich, fehlerhaft und noch nicht mal richtig zuverlässig sind. Wer sich mit dem Thema „Telematik-Infrastruktur“ beschäftigt hat, sieht das nächste Problem:
Die Idee, ansässige Ärzte, Apotheken, Gesundheitseinrichtungen wie Kliniken und Pflegeheime sowie Therapeuten zu vernetzen gibt es bereits, allerdings geht die Umsetzung (wie alles digitale in D) nur sehr schleppend und nicht zufriedenstellend von der Bühne. Damit vernichtet
man die Chancen für digitalen Fortschritt schon im Ansatz, bevor überhaupt alle in den „Genuss“ der Technik gekommen sind.
Lösung:Es muss politisch eine Lösung gefunden werden. Etwas von Gesundheitseinrichtungen zu fordern ohne die Grundlagen dafür zu legen ist nicht zielführend,
auch wenn die Idee dahinter gut und lobenswert ist.

Das sind jetzt vorerst die wichtigsten Themen, angesichts der Uhrzeit kann mir durchaus etwas durch die Lappen gegangen sein. Der Thread hat nicht den Anspruch vollständig zu sein, es ist mehr eine Kollektion der Inhalte,
die ich nicht nur einmal, sondern mehrfach beobachten konnte. Sicherlich gibt es in vielen Einrichtungen auch noch individuelle Probleme (Hygiene, Essen, Umgang mit Patienten/Angehörigen/Mitarbeiter, etc.) aber das würde den Rahmen sprengen.
Hoffentlich konnte der Thread euch einen Einblick in die Probleme der Pflege und zum Teil der Medizin im Allgemeinen bringen.

Ich möchte es zum Schluss nochmals betonen:
Krankheit und Alter ist ein Interesse der Gesellschaft, daher geht es uns alle an!

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Aug 5
Wenn die @tagesschau über ernste #Pflege-Themen berichten würde. Ein Thread 👇

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Jun 17
Erinnert ihr euch noch an #nichtselbstverständlich? Als Joko und Klaas „nur“ 7 Std Dienst einer Pflegeperson aufgenommen haben und es im TV gezeigt haben und alle waren entsetzt?

Heute nehme ich euch auf Twitter mit, 14,5 Std. Ich bin am überlegen, welcher Hashtag da passt…
Wie wäre es mit #5nach12? Genau das ist die Zeit, in der wir uns im #Pflegenotstand aktuell bewegen.

5:45 Uhr: Nach den Spätdienst gestern hab ich schlecht geschlafen. Jeder, der den Spät-Früh-Wechsel mal gemacht hat kennt dieses Gefühl vom „Überfahren sein“ am Morgen.
Abends wirst du nicht richtig müde weil noch aufgedreht, morgens gehst du dann schon platt zum Dienst. Die Voraussetzungen also perfekt für einen Tag wie heute. Natürlich sind wir dann auch nicht in Bestbesetzung im Frühdienst, sonst müssten diese 14,5 Std nicht sein.
Read 48 tweets
Sep 7, 2021
Thema: Ursula und der #Pflegenotstand.

Ursula, 80, Zustand nach Schenkelhalsbruch. Sie liegt im örtlichen Krankenhaus.

6:30 Uhr: Pünktlich nach der Übergabe weckt die Schwester Ursula, schaltet das Licht ein, beginnt mit der #Pflege. Ursula kann sich (1)
kaum bewegen, ist auf die Hilfe der Schwester angewiesen. Diese hilft ihr bei der Mobilisation in den Rollstuhl, fährt sie ans Waschbecken und hilft ihr beim Auskleiden. Anschließend soll sich Ursula "oben rum" schon einmal fertig machen, schließlich hat sie es in der Hüfte (2)
und nicht in den Armen. Die Schwester geht in dieser Zeit zum Nachbarn, kommt aber danach wieder, um Ursula beim Unterkörper zu helfen.

7:00Uhr: Ursula hat sich mehr schlecht als recht gewaschen, die Zähne geputzt. Nun sitzt sie allerdings im Bad und kann sich keine Kleidung (3)
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