Je länger ich die Diskussion um die Teilabschaffung der #Verrechnungssteuer verfolge, desto mehr wundere ich mich.
Ich staune über die Oberflächlichkeit der Debatte und den offensichtlichen Unwillen der Befürworter, solide analytische Grundlagen zu liefern.
Ein🧵.
1/n
Profitieren von der Reform würden in erster Linie die Finanzdienstleister.
"Geschäfte im Umfang von 900 Milliarden Franken" könnten "in die Schweiz zurückgeholt" werden, so die Bankiervereinigung.
2/n
Bereits bei dieser Zahl staune ich - nicht wegen ihrer Grösse, sondern wegen ihrer Herleitung.
Hinter der Zahl steht nämlich einzig ein kurzer Blogbeitrag mit rudimentären Rechnungen und Quellenangaben.
War das keine sorgfältige Studie wert?
3/n
swissbanking.ch/de/medien/mein…
Nehmen wir an, die 900 Milliarden seien trotz allem eine zuverlässige Schätzung.
Entscheidend ist dann, wie viel Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen diesem Volumenzuwachs entspringen würden.
Das sagen auch die Befürworter.
Aber beziffern tun sie es nicht.
4/n
Noch seltsamer: Sie verweigern sich einer Bezifferung dieser relativ simplen Grössen sogar auf explizite Anfrage aus dem Parlament.
(Die Antwort kam zwar aus der Bundesverwaltung, aber offensichtlich erhielt diese kein Zahlenmaterial von der Branche.)
5/n
parlament.ch/de/ratsbetrieb…
Trotz der nicht existierenden Zahlen postulieren die Befürworter jedoch, dass die Steuereinnahmen unter dem Strich mittelfristig zunehmen würden: das klassische Laffer-Argument, und somit eine steile (wenn auch nicht unbedingt absurde) These.
6/n
Die Befürworter berufen sich dabei stets auf die Botschaft des Bundesrats.
Von einem Versuch der Branche, ihre Argumente eigenständig analytisch zu untermauern, ist nichts erkennbar.
7/n
Dabei entspringen die bundesrätlichen Zahlen allein einem BAK-Gutachten aus dem Jahr 2019, für welches die Datengrundlage offenbar so dünn war, dass den Autoren keine andere Wahl blieb, als die zentrale Schätzung auf "Expertengespräche" und "eigene Überlegungen" abzustützen.
8/n
Wieso hat z.B. niemand versucht, die Folgen der Abschaffung der Obligationen-Emissionsabgabe von 2012 zu evaulieren?
Das war eine ähnlich gelagerte Reform und somit ein möglicherweise interessantes Testlabor.
Scheint aber niemanden zu interessieren.
9/n
batz.ch/2022/07/wirtsc…
Ein Teil des Phänomens könnte Koordinationsproblemenen in der Branche zuzuschreiben sein (Firmen wollen Informationen nicht mit Konkurrenten teilen).
Vielleicht schwingt auch ein Element von Hybris mit.
10/n
Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass vielen beteiligten Akteuren ganz einfach der Sinn für sorgfältige, datenbasierte Analysen fehlt.
Gerade für die Wissensnation Schweiz und den eigentlich so datenlastigen Finanzsektor ist das ein ernüchternder Befund.
n/n
P.S.:
Hansueli Schöchli sagt es feiner: "Die Annahmen dahinter werden noch genauer zu betrachten sein."
nzz.ch/wirtschaft/ref… via @NZZ

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Apr 27
🇨🇭 is going through a self-satisfied spell about its handling of the #pandemic.
The comparative mildness of lockdown measures contributed to a robust economic performance.
And now we can even lay claim to the lowest #Covid19 death toll in the region.
Still, all wasn't well.
1/n
When compared to other smallish high-income European countries, our #Covid19 death toll compares much less favourably.
And the main reason is clear: the catastrophic second wave in late 2020, costing some 8,000 🇨🇭 lives and 20,000 hospitalisations.
2/n
Tragically, the second wave ran rampant just a few weeks before the launch of the vaccination campaign (HT @MarcBrup).
3/n
Read 10 tweets
Apr 3
Dear @StefanFelder6 and @guenther_fink,
You claim that the human misery caused by #Covid19 restrictions in 🇨🇭 exceeded the health benefits of those measures by a factor of ten.
That is an explosive finding.
I have a few questions.
1/
nzz.ch/schweiz/bevoel… via @NZZ
First, would you mind sharing the research paper?
The newspaper article doesn't provide a reference, and no paper seems to be online.
When credentialed researchers make strong claims, one expects the full analysis to be transparently documented.
Have I overlooked something?
2/
Key to your finding is a high stated willingness to pay for avoiding restrictions on social consumption, school closures, mask mandates, etc.
How was the survey conducted?
Who were the respondents?
What questions were they asked exactly?
What reply options were they given?
3/
Read 10 tweets
Oct 8, 2021
Wie gewohnt lesenswerter Beitrag von HU Schöchli zur bisherigen CH-Coronapolitik 👇.
Einen mE wichtigen Aspekt übersieht der Artikel jedoch: das Timing der Massnahmen.
Und in dieser Hinsicht hat die 🇨🇭-Politik vor Jahresfrist nicht brilliert.
1/n
nzz.ch/wirtschaft/sch… via @NZZ
Die CH hat die Massnahmen im Oktober 2020 zuerst noch gelockert und dann viel zögerlicher wieder verschärft als die vier grossen Nachbarländer.
Das kam uns teuer zu stehen.
2/n Image
Die 2. Welle kostete uns trotz unserer Weltklasse-Spitäler relativ zur Gesamtbevölkerung etwa ein Drittel mehr Tote als den Nachbarländern.
Im Vergleich zu Deutschland hatten wir zwischen Okt. und Dez. 2020 gar mehr als doppelt so viele Corona-Opfer.
3/n Image
Read 9 tweets
Apr 12, 2021
OK, jetzt ist bekannt, aus welcher Quelle Herr Vogt zitiert und damit eine riesige Diskussion losgetreten hat.
Leider wirft diese neue Erkenntnis kein gutes Licht auf die Seriosität der Arbeit unserer grössten Wirtschaftsverbände.
1/
.@fabian_fellmann vom @tagesanzeiger hat die Quelle ausfindig und online zugänglich gemacht.
Es handelt sich um einen "Corona-Lockerungsfahrplan" von @economiesuisse und @arbeitgeber_ch, datiert 12. Februar 2021.
2/
tagesanzeiger.ch/grosse-teile-d…
Die relevante Passage ist hier wiedergegeben. 👇
Mehr ist dazu im Dokument vom 12. Feb. nicht zu lesen.
Bei der vieldiskutierten Zahl handelt es sich also um eine "über den Daumen gepeilte" Annäherung, offenbar ohne jeglichen Versuch einer einigermassen seriösen Modellierung.
3/
Read 5 tweets
Feb 14, 2021
Almost a year after the first Covid-19 case was detected in 🇨🇭, we still don't have informative data on places of infection.
What went wrong, and what could be done better?
1/n

tagesanzeiger.ch/contact-tracin…
High hopes were placed in data from the contact tracing system.
These hopes were disappointed.
That's not the fault of the contact tracers.
2/n
The main job of contact tracing is to identify people at risk of being infected through contact with the person who has tested positive, and to alert them as quickly as possible.
Questions about places of infection are typically not considered a top priority.
3/n
Read 10 tweets
Dec 9, 2020
Neues "Wissenschaftliches Update" der @SwissScience_TF
👉sciencetaskforce.ch/microsoft-word…
Diese Woche mit ökonomischem Teil, wiedergegeben im folgenden Thread.
(1/23)
Die politischen Entscheidungsträger müssen, über alle Pandemiephasen betrachtet, Abwägungen treffen zwischen drei Zielen: Gesundheit der Menschen, Gesundheit der Privatwirtschaft und Gesundheit der Staatsfinanzen. Es ist wichtig festzuhalten, (2/23)
dass in Perioden mit hohen und exponentiell steigenden Fallzahlen eine solche Abwägung hinfällig werden kann, denn Massnahmen zur Verringerung der Ansteckungen sind auch aus Sicht der Privatwirtschaft mittelfristig vorteilhaft. (3/23)
Read 23 tweets

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