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Aug 26, 2022 18 tweets 4 min read Read on X
Wenn man sich die jüngsten Äußerungen aus Teilen der #Bundesregierung zur Finanzpolitik 2023 anhört, so könnte man den Eindruck bekommen, dass dort eine wichtige Erkenntnis noch nicht angekommen ist: Deutschland steht gerade vor einem gigantischen makroökonomischen Schock. 🧵1/n
Der Schock war nach der Ukraine-Invasion angelegt, aber er hat sich in voller Größe erst in den letzten Wochen materialisiert.
Haupttreiber sind die Energiepreise (vor allem Gas, siehe Grafik unten), dazu kommen nachgeordnet noch Nahrungsmittelpreise. 2/ Image
Einen Eindruck von der Größenordnung des Schocks bekommt man, wenn man einmal die Nettoimportrechnung Deutschlands für fossile Energieträger abschätzt.
Das habe ich unten einmal getan, und zwar auf Basis der 2019 eingeführten 3/
Importmengen und dann bewertet jeweils mit den Preisen der folgenden Jahre.
Für den Rest von 2022 und für 2023 bin ich davon ausgegangen, dass die Preise jeweils auf dem aktuellen Niveau verharren. 4/
Das erschreckende Ergebnis: Im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau erlebt die deutsche Wirtschaft 2023 einen Schock in Größenordnung von mehr als 200 Mrd. € oder >5 % des BIP.
Dies ist die Summe, die kurzfristig Unternehmen, die Privathaushalte und/oder der Staat tragen müssen.5/ Image
Dabei haben wir hier noch konservativ gerechnet: In die Rechnung ist nur ein Spotpreis für Gas von 225 €/MWh eingegangen, an den Future-Märkten wurden diese Woche zeitweise Preise von mehr als 300 € aufgerufen. 6/
Würde der Gaspreis im kommenden Jahr tatsächlich bei 300 €/MWh liegen, so wäre der Schock noch einmal ca. 65 Mrd. € höher. 7/
Einen Eindruck, wie stark das Ganze die Privathaushalte betrifft, bekommt man, wenn man einmal die absehbaren Preiserhöhungen von Erdgas auf die Haushalte umrechnet. 8/
Anfang 2022 hat die Kilowattstunde Erdgas für Endkunden etwa 6,5 Cent gekostet, bei einem Großhandelspreis von knapp 20 €/KWh.
2021 verbrauchten die Privathaushalte rund 310 TWh Strom.
Steigt der Großhandelspreis um 200 €/KWh, bedeutet das 9/
(einschließlich 7 % MWSt.) für die Privathaushalte eine Mehrbelastung von fast 70 Mrd. € pro Jahr.
Hinzu kommt noch die Gasumlage, sodass 80 Mrd. € keine unrealistische Schätzung für die Gesamtmehrbelastung der Privathaushalte durch teures Gas wären. 10/
Zur Einordnung: Das entspricht fast 4 % der verfügbaren Einkommen des Haushaltssektors.
Da nur die Hälfte der Haushalte mit Gas heizt, bedeutet das Zusatzkosten für Gashaushalte von fast 8 % ihrer verfügbaren Einkommen oder etwa ein Nettomonatsgehalt pro Haushalt. 11/
Natürlich ist denkbar, dass die Haushalte jetzt deutlich Gas sparen, aber auch nach 15 % Einsparung bliebe der Schock noch massivst. 12/
Bei all diesen Rechnungen haben wir jetzt noch gar nicht über höhere Strom- oder Nahrungsmittelkosten geredet, die noch oben auf die Belastungen drauf kommen. 13/
Diese Belastungen werden viele Haushalte nur dadurch auffangen können, dass sie ihren Konsum an anderer Stelle zurückfahren – Deutschland droht also sehr bald eine konsumgetriebene Rezession. 14/
Natürlich wissen wir nicht, wie schnell der Schock genau durchschlägt. Der tatsächliche Gasimportpreis etwa folgt dem Spotpreis nur mit Verzögerung und nicht immer vollständig, weil die Verträge zwar an die Börsenpreise gekoppelt sind, aber nicht unmittelbar und nicht 1:1. 15/ Image
Die Gasversorger dagegen haben zum Teil vorausschauend beschafft und nicht alle erhöhen kurzfristig die Endverbraucherpreise. Bislang sind die Endpreise von Gas laut @destatis etwa erst um 80 % gestiegen, der große Schub steht noch bevor. 16/ Image
Doch wie man es dreht und wendet: Wenn die Börsenpreise hoch bleiben, kommt der Schock früher oder später, und der Schock droht gewaltig zu werden. 17/
Was die Regierung bislang (zumindest öffentlich) diskutiert, ist diese Herausforderungen vorne und hinten nicht gewachsen.
Man kann nur hoffen, dass man hinter verschlossenen Türen in @BMF_Bund @BMWK und beim @Bundeskanzler schon weiter ist, als derzeit durchsickert. /END

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Jul 5, 2024
Hier jetzt etwas mehr Details zu #Haushalt & #Wachstumsinitiative.

Vorweg: Wie man das Ergebnis bewertet, kommt natürlich auf das mentale Referenzszenario an. Hätte ich mir (wenn es keine #Schuldenbremse gäbe) etwas anderes gewünscht? Ja.

Aber: 1/
Das Leben ist ja kein Wunschkonzert. Es gibt die Schuldenbremse und auch keine absehbare politische Mehrheit, diese schnell zu ändern. Und im Vergleich zu den Szenarien, die denkbar gewesen wären, ist das Kompromissergebnis aus meiner Sicht ziemlich gut. 2/
Es ist zunächst positiv, dass der Haushaltsstreit der Ampel-Koalition jetzt (hoffentlich) beendet ist. Die anhaltende Unsicherheit alleine war bereits ein Wachstumshindernis. Positiv ist außerdem, dass wohl massive Einschnitte im Bundeshaushalt vermieden werden konnten. 3/
Read 21 tweets
Apr 12, 2024
Angesichts der aktuellen Debatte, wie man Fachkräfte zur Mehrarbeit bringen kann und welche Rolle die Frauenerwerbstätigkeit dabei spielt, ist ein Blick auf die Daten hilfreich. Wie so oft mit Empirie: Es gibt Überraschungen! Ein 🧵 1/ Image
Grundsätzlich: Seit den frühen 1990ern und auch gegenüber 2006 ist Gesamterwerbstätigkeit vor allem bei Frauen gestiegen. 2/ Image
Besonders deutlich ist der Effekt bei älteren Frauen, der Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt hat sich bei vielen nach hinten verschoben. Und ab Mitte 40 steigt die Erwerbstätigkeit sogar noch einmal und liegt bei den älteren Jahrgängen höher als bei den Jüngeren. 3/ Image
Read 20 tweets
Apr 10, 2024
Die Idee von @c_lindner , #Überstunden steuerfrei zu stellen, ist nicht neu. Im Herbst war sie bereits von der CDU ins Gespräch gebracht worden. Die Idee bleibt aus meiner Sicht aber eine schlechte Idee, aus einer ganzen Reihe von Gründen: 1/
Erstens gibt es keinerlei empirische Evidenz, dass Beschäftigte in relevantem Maß derzeit Überstunden jenseits der Vollbeschäftigung ablehnen würden, weil heute die Steuerbelastung zu hoch wäre. Von daher ist der Effekt auf das Arbeitsangebot unklar. 2/
Zweitens schafft eine Besserstellung von Überstunden den Anreiz bei den Unternehmen, lieber auf überlange Arbeitszeiten zu setzen, statt Nachwuchs zu rekrutieren oder auszubilden oder bei Teilzeitbeschäftigten die Voraussetzungen für Mehrarbeit zu schaffen. 3/
Read 13 tweets
Feb 10, 2024
Weil das bei einigen ÖkonomInnen in der Debatte wild durcheinander zu gehen scheint:
Die EU-Lieferkettenrichtlinie sollte nie europäische oder deutsche Arbeitsstandards weltweit durchsetzen.
Es geht vielmehr um grundlegende Menschenrechte und @ILO -Kernarbeitsnormen. 1/ Image
Dabei geht es um Dinge wie das Verbot von Sklaven- und Zwangsarbeit ebenso wie Kinderarbeit, die Garantie grundsätzlicher Organisationsfreiheit sowie des Diskriminierungsverbots aufgrund von Ethnie, Geschlecht oder Religion. 2/
Wer es im Detail nachlesen will: Hier die Liste der Normen, die durch die EU-Richtlinie geschützt werden sollte:
(Übrigens überwiegend von den meisten Ländern weltweit unterzeichnet.) 3/eur-lex.europa.eu/resource.html?…
Read 8 tweets
Dec 13, 2023
Neuer @IMKFlash Policy Brief von Lukas Endres zur CO2-Bepreisung und #Klimageld.
Ergebnis: Ein – wie absehbar ab 2027 stark steigender – CO2-Preis würde auch in der Mitte der Verteilung zu vielen VerliererInnen führen. Ein 🧵 1/
imk-boeckler.de/de/faust-detai…
Was haben wir gemacht? Wir haben mit Haushaltsdaten aus der Einkommens-und Verbrauchsstichprobe errechnet, wie stark ein CO2-Preis von 275 €/t im Jahr 2030 Haushalte jeweils belasten würde und eine Entlastung durch eine volle Rückerstattung mit einem Klimageld gegengerechnet. 2/
Das Ergebnis: Es bleiben fast 5 Mio. Hauhalte (etwa 11 %), die netto (also nach Zahlung des Klimageldes) stark belastet bleiben, im Saldo mehr als 2 % ihres Nettoeinkommens verlieren. Dabei sind dies nicht reiche Haushalte, sondern verstärkt jene in der Mitte der Verteilung. 3/ Image
Read 18 tweets
Dec 12, 2023
Aktuellen Debatten vermitteln den Eindruck, in Deutschland seien die Sozialausgaben explodiert und der Staat über alle Maße aufgebläht worden.

Ein genauer Blick auf die OECD-/EU-Statistiken offenbart: Dieser Eindruck ist von Fakten nicht gedeckt.

Ein 🧵1/
Fangen wir einmal mit dem Wachstum der realen öffentlichen Sozialausgaben der vergangenen 20 Jahre an.
Hier liegt Deutschland bei den OECD-Ländern ziemlich weit hinten - d.h. die Sozialausgaben sind WENIG gewachsen. 2/ Image
Nun könnte man denken, 🇩🇪 habe halt schon vor 20 Jahren einen im internationalen Vergleich aufgeblähten Sozialstaat gehabt, wie sieht es also mit Sozialausgaben relativ zur Wirtschaftsleistung aus? Auch hier ist Deutschland im Vergleich der reichen OECD-Länder unauffällig. 3/ Image
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