Ich arbeite mein erwachsenes Leben lang im Niedriglohnprekariat. Entgegen der liberalen Märchen, die wir uns hierzulande erzählen, habe ich mir das nie ausgesucht. Keine Lebensentscheidung von mir hatte Einfluss darauf. Ein 🧵 über Betrüger und Betrogene: /1
Es gibt keine seriösen Arbeitskraftnehmer im Niedriglohnprekariat. Das ist das erste, was wir uns klar machen müssen. Wenn Leute das doch glauben, dann meist, weil sie der Fehlannahme unterliegen, die Interessen des mächtigeren Arbeitskraftnehmers seien mehr wert, als ihre. /2
Arbeitskraftgeber schreiben ihren Unternehmen dazu oft Kompetenzen zu, die sie eigentlich nicht haben. Denn Abhängigkeit, besonders wenn sie ausweglos ist, muss der Mensch vor sich selbst rechtfertigen. Dabei sagt er sich aber nicht "Ich bin halt abhängig", sondern /3
schafft Narrative, die ihn selbst in seiner Wirkmacht bestätigen. Man habe den Vertrag ja freien Willens unterschrieben, man habe ja gewusst, was auf einen zukommt, etc.
Diese Narrative stimmen in der Regel nicht. Sie dienen dazu, nicht selbst an der eigenen kaputten /4
Selbstwirksamkeit zu zerbrechen.
Ein Beispiel: ich arbeite in einem Callcenter. Dort teilt man Arbeit nach erwartetem Workload ein. Die Folge: Mittagspausen werden vom System berechnet und es kann vorkommen, dass du wenige Minuten nach Schichtbeginn bereits deine /5
Mittagspause machen musst. Das ist in unserem arbeitgeberfreundlichen Recht zwar erlaubt (inzwischen!), ist aber höchst unüblich. Generell arbeiten diese Unternehmen immer im Rahmen dessen, was rechtlich möglich, aber sozial verpönt ist. /6
Richtig witzig wird es bei den Toilettenpausen. Diese werden mir nämlich als Nicht-Arbeitszeit angerechnet, so dass mein Stundenkonto langsam aber sicher Minuszeiten anzeigt. Das ist arbeitsrechtlich wenigstens schwierig. (Und wird auch noch in Streit ausarten). /7
Das zu Grunde liegende Problem: in Deutschland nehmen wir grundsätzlich an, dass die Interessen des Arbeitskraftnehmers größer seien, als die Interessen des Arbeitskraftgebers. Die Argumente dafür scheinen valide. Angeblich gingen Unternehmer*innen Risiken ein, trügen /8
mehr Verantwortung usw. Beides stimmt nur noch partiell. Verantwortung und Risiken wurden u.A. dank der #Agenda2010 lange auf die Arbeitskraftgeber abgeschoben. Niemand trägt ein größeres Risiko, als der zur ewigen Armut verdammte Niedriglöhner und auch der /9
Mittelschicht-Arbeiter kann seinen Job von heute auf morgen verlieren, weil er keine Entscheidungsgewalt über ihn hat. Schlussendlich sollte die Beziehung zwischen den Arbeitstkraftnehmer und -geber symbiotisch sein, sie ist aber parasitär, zu Gunsten der Unternehmen. /10
Strukturell betrachtet, versteht sich. Es gibt immer eine kleine Zahl positiver Ausnahmen. Aber die bestätigen bekanntermaßen die Regel.
Die Ideologie, der Glaube, dass Firmen wertvoller seien, als Menschen, ist tief in unseren Strukturen verankert und zieht sich sogar bis /11
in die Gewerkschaften. Forderungen werden bereits innerhalb dieser Logik gemacht, so dass man direkt mit der Minimalforderung in Verhandlungen geht, weil man tief im Inneren davon überzeugt ist, dass die Unternehmen am Ende doch wichtiger seien. Die Gegenseite, Konservative /12
Liberale, aber auch die wirtschaftsfreundlichen Teile der vermeintlichen Linken (Seeheimer Kreis, SPD) machen hingegen immer Maximalforderungen, weil sie von der herrschenden Ideologie gestützt werden. Der Glaube daran, dass Unternehmen im Kern bereits wertvoller als /13
Individuen seien, zieht sich durch alle Instanzen, sogar bis in die Köpfe der Arbeitskraftgeber. Dabei ist die Gleichung ganz einfach: die Interessen sind diametral entgegen gestellt. Arbeitskraftgeber möchten so viel Lohn wie möglich, so viel Freizeit wie möglich, so viel /14
so viel Urlaub wie möglich, etc. Arbeitskraftnehmer wollen das genaue Gegenteil. Da die grundsätzlichen Machtstrukturen ohnehin schon zu ihren Gunsten ausgelegt sind, werden Interessen in der Regel zu ihren Gunsten verhandelt. Gewerkschaftlich, Rechtsstaatlich, politisch. /15
Ein Gegengewicht zu dieser Macht sollten eigentlich Gewerkschaften darstellen. Die sind im Niedriglohnsektor aber praktisch nicht präsent. Und selbst in den besseren Lohnkategorien fallen deren Forderungen meist absurd niedrig aus. Löhne werden unter Inflation verhandelt, /16
Verbesserung von Arbeitsstrukturen verhandelt man fast gar nicht. Warum z.B. An- und Abreise zum Arbeitsplatz von Geld und Zeit des Arbeitskraftgebers zu tragen sind, ist bis heute nicht sauber zu erklären. Das hat u.A. mit dem erpresserischen Habitus zu tun, der auf Seiten /17
der Arbeitskraftnehmer üblich ist. Es wird mit Weggang, Einstellung von Niedriglöhnern oder Personalabbau gedroht.
Der Staat seinerseits sieht sich auch nicht in der Rolle, diese Fehlstellung zu korrigieren. Das ist auch logisch, denn der Erhalt niedriger Löhne und damit /18
einhergehender schlechter Arbeitsbedingungen ist Teil seiner Agenda. Wir sind Exportnation. Um das zu gewährleisten müssen wir "konkurrenzfähig" sein, heißt, unser Zeug muss billiger als das der anderen. Bezahlen tun das die Arbeitskraftgeber, über ihre Löhne. Dafür /19
hat man die Agenda 2010 ins Leben gerufen. Durch Sätze unter dem Existenzminimum, Verpflichtung zu unwürdiger Arbeit und Gesetzen, die die Interessen von Arbeitskraftgebern schwächen, um Menschen für niedrige Löhne unter schlechten Bedingungen zur Arbeit zu erpressen. /20
Begleitet wird und wurde das durch eine Medienkampagne zur Verunglimpfung von Armen, um ein maximal negatives Stigma aufzubauen, in das man nicht geraten will. Und natürlich vom ollen neoliberalen Kindermärchen "Jeder ist seines Glückes Schmied", um die "Eigenverantwortung" /21
für das vermeintliche Versagen derer vorzuschieben, die bereits chancenlos in diesem System starten oder werden.
Wir brauchen daher eine Richtigstellung der Lohnarbeitsstrukturen, eine Korrektur, die das Machtungleichgewicht zwischen Arbeiter und Firma ausgleicht. Dafür /22
müssen wir uns entweder vom "Erfolg" Exportnation abwenden, oder den Arbeitskraftnehmern weniger vom abgeschöpften Mehrwert zugestehen. Heißt: die Umverteilung von unten nach oben muss beendet werden. /23
Weiteres über die Ausbeuterbranche Callcenter könnt ihr hier sehen:
So, bevor ich zu meiner Schwester düse, möchte ich ein Thema ansprechen, das mir wichtig ist.
Journalismus kostet Geld, das führt zu Paywalls. Das ist gerade für uns von #IchBinArmutsbetroffen noch eine zusätzliche Dimension der Ausgrenzung. Für Viele bleiben so nur die
Öffentlich-Rechtlichen, die allerdings auch nicht immer ganz frei von Framing berichten (aber immer noch besser, als der ganze Springer-Unsinn), bzw. unsere Themen auch nur sehr partiell behandeln. Dennoch ist das hier keine Vulgärkritik an den Öffentlich-Rechtlichen! Es gibt
allerdings noch andere Quellen, über die wir uns kostenlos informieren können, bzw. die Crowdfinanziert sind und denen ihr, wenn ihr denn mal könnt, eine Kleinigkeit geben könnt, aber nicht müsst.
Das sind Podcasts und Youtube-Kanäle. Natürlich sage ich ganz transparent:
Das Wochenende ist meine liebste Zeit. Ich nutze es immer, um Dinge abzuarbeiten, die sich in der Woche davor angesammelt haben.
Es ist meine bevorzugte Zeit, mich bei Ämtern und Freunden zu melden. Die reagieren dann meistens nämlich nicht.😜
Kling paradox? Hier die Erklärung:
Ich habe nicht immer die Energie mich um soziale Interaktionen zu kümmern. Häufig ist es so, dass es mich extrem unter Stress setzt, wenn sofort geantwortet wird.
Ich mache immer nur eine Sache gleichzeitig.
Und grade bei Interaktionen mit anderen Menschen muss ich mich stark konzentrieren. Bei Interaktionen mit Ämtern noch mehr. Mit Ämtern spiele ich Schach. Und ich will gewinnen. Deswegen die Frage: Wie viele Infos gebe ich jetzt raus? Was halte ich vorerst zurück?
Ich mache eine Ausbildung, arbeite Vollzeit und #IchBinArmutsbetroffen sowie #ArmTrotzArbeit. Ich bin schwerbehindert und mache meine Ausbildung in einem Berufsbildungswerk.➡️
Hierfür erhalte ich weder Lohn noch Entgelt, sondern „Ausbildungsgeld“ nach dem SGB 3 von der Agentur für Arbeit. Das sind 120€ monatlich. Ich wohne zwar in dem Wohnheim des Berufsbildungswerks (hierdurch fallen viele Kosten weg), ➡️
dennoch empfinde ich diese 120€ als viel zu wenig.
Denn: Ich muss etliche Dinge selbst bezahlen (in den Klammern der Hartz 4 Regelsatz zu dem jeweiligen Punkt):
#IchBinArmutsbetroffen hat viele Gesichter. Was Menschen auf sich nehmen um zu überleben ist schier unvorstellbar. Und folgende Geschichte hat mich oft schlucken lassen.
Hut ab Maja, meinen Respekt hast du.
(Ab morgen gehts auf @pinf2000 weiter)
Maja begann eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Während ihrer Ausbildung verlor sie ihre Wohnung, wurde obdachlos und brach dadurch ihre Ausbildung ab. #IchBinArmutsbetroffen