CN: Depression
Am Montag sprachen wir über Tipps für kostenfreie politische Bildung für #IchBinArmutsbetroffen.

Aber eine Ressource übersehen wir gerne. Denn Armutsbetroffenen mangelt es oft nicht nur an Geld, sondern auch an Zeit.

Ein - ich liebe es einfach - 🧵 :D

/1
Gerade wurde mir bei #youtube das neue #Wirtschaftsbriefing von @MauriceHoefgen angezeigt. Es ist schon ein paar Tage alt, ich würde es gern nachholen.

2:16:17 steht auf der Zeitangabe.

Und nein, das ist kein Vorwurf an Maurice. Komplexe Sachverhalte benötigen Zeit. /2
#IchBinArmutsbetroffen und lohnabhängig beschäftigt. Jeden Tag gehen sechs bis zehn Stunden, je nach Schicht, vollends für die Arbeit drauf. Ich kann in dieser Zeit nichts Anderes machen, nichts nebenbei konsumieren, es geht nicht. In der freien Zeit muss auch der Haushalt /3
organisiert werden, soziale Kontakte wollen gepflegt und Hobbys betreut werden - ja, auch Hobbys, einen mentalen Ausgleich sollte jeder von uns haben, wenn er nicht innerlich verdorren möchte. Bei mir kommt noch erschwerend hinzu: meine Hobbys sind sinnstiftend für mich. /4
Vom Tag bleiben also selten nennenswerte Stunden übrig. Das Konsumieren von spannenden Inhalten muss also leider wohlportioniert erfolgen, was mich zwingend abhängt. Ich bin nicht bei jedem Thema gleichermaßen up to date, wie mein Freunde und kann manche Diskurse daher nur /5
oberflächlich mitverfolgen.

"Gut," wird Mittelschicht-Manfred nun sagen, "aber watt iss mit de janzen Arbeitslosen! Die ham doch Zeit für sowatt, oda nich?"

Nein, Manfred. Denn du unterschätzt, wie furchtbar zeitfressend Arbeitslosigkeit sein kann. /6
Das offensichtlichste Beispiel ist die "arbeitslose" aber nicht arbeitslose Alleinerziehende. Sie hat einen 24/7-Job.

Gut, ich gebe zu: nicht alle Arbeitslosen sind alleinerziehende Mütter oder Väter. Das Problem sitzt tiefer. /7
Unser gesamtes Bildungssystem ist auf Bildung für Profit ausgelegt. Wer sich bildet, so das Versprechen, erwirbt Zertifikate, um am Ende des Wegs bzgl. Geld und Status besser dazustehen, als zuvor.
Wir werden von klein auf so sozialisiert. Sogar unser Notensystem kann man so /8
verstehen. Nicht wer sich anstrengt wird belohnt, sondern wer abliefert. Kein Wunder, dass die, die selten oder nie abliefern kein übermäßiges Interesse an Bildungsthemen entwickeln. Warum sollten sie? Das Belohnungssystem hat sie immer nur bestraft. /9
Wir wissen, dass Arme häufiger schlechter gebildet sind. Nicht im Sinne von Intelligenz, sondern im Sinne von erworbenen Abschlüssen und im Sinne von Zugang zu Bildung. Wie sollte da ein Habitus entstehen, der jemanden dazu bringt, zwei Stunden Wirtschaftsbriefing zu schauen? /10
Insbesondere, wenn dazu noch der furchtbare Fatalismus kommt, der Menschen ohne jede Selbstwirksamkeit oft befällt.

Fatalismus ist nichts, was man sich aussucht. Man kann sich auch nicht entscheiden, diesen einfach zu beenden. Ihn zu händeln ist ein Vollzeitjob. /11
Jeder Tag, an dem man nicht gegen den inneren Fatalismus verloren hat, also an dem man aufgestanden und wenigstens etwas getan hat, ist ein gewonnener Tag.
Ich bin kein Psychologe. Ich scheue mich daher, den Begriff "Depression" leichtfertig zu nutzen. Arbeitslose - Menschen /12
ohne das Gefühl, wirksam zu sein! - sind häufiger depressiv. Aber schon die Vorstufe dazu, die seelische Schwere, die auf dir lastet, wenn du glaubst, keinerlei Sinn im Leben zu verspüren, das ist das, was ich Fatalismus nenne. Und auch ohne klinische Depression bist du /13
damit schon bedient.

I have been there, trust me.

Und dann fehlt dir selbst wenn du andere Voraussetzungen mitbringst, die Kraft für zwei Stunden Wirtschaftsbriefing, die Kraft für politische Podcasts, ja sogar die Kraft für die 15 Minuten Tagesschau. /14
Wer in einer prekären Lage steckt, hat also wirklich selten Zeit, sich privat zu informieren. Sei dieser Mangel nun aus tatsächlicher Arbeit entstanden, oder aus der Arbeit, nicht mental unterzugehen. /15
Ich möchte nochmal betonen, dass das hier keine Kritik an @MauriceHoefgen ist und deutlich machen: seinen Beiträgen zu folgen ist echter Mehrwert! /ende
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Sep 3
CN: Rassismus, Stigmatisierung
Kürzlich sprachen wir über die Armutsgefährdungsquote von Frauen. Sie liegt bei etwa 16 Prozent. Was, wenn ich euch sage, dass es da noch eine Gruppe gibt, die sogar noch häufiger in Armut fällt?

Ein 🧵 über migrantische Armut in 🇩🇪.

/1
Laut der Bundeszentrale für politische Bildung besteht bei Migranten eine Armutsgefährdungsquote von 27 Prozent. Etwa ein Viertel der Migrant*innen ist somit stetig von Armut bedroht.

Ursachen liegen in strukturellem Rassismus, Stigmatisierung und selbsterfüllenden /2
Prophezeiungen.

Das Thema mit dem strukturellem Rassismus wird hier bei Twitter sehr häufig behandelt und das können andere Leute besser auf den Punkt bringen, als ich. Nur so viel: lautet dein Name Özgan erhöht das die Wahrscheinlichkeit signifikant, bei Bewerbungen oder /3
Read 15 tweets
Sep 1
Die letzten Tage sprachen wir über Working Poor. Heute möchte ich mit euch über ein anderes Thema sprechen: #Frauen und #Armut:

Ein - wie sollte es anders sein ;)? - 🧵 /1

#IchBinArmutsbetroffen
Männer sind etwas häufiger von #Erwerbsarmut betroffen. Frauen hingegen sind generell häufiger von Armut betroffen. Ihr Risiko liegt bei 16,6 Prozent, bei Männern liegt es "nur" bei 15,5 Prozent. /2
Machen wir uns an dieser Stelle kurz klar: in der reichen Bundesrepublik Deutschland kann jeder Sechste Bundesbürger arm sein.

Nur mal so als Einschub. /3
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Aug 31
Gestern sprachen wir über strukturelle Ursachen für das Phänomen #workingpoor aus #IchBinArmutsbetroffen.

Heute wird es persönlicher. Was hat diese Struktur mit mir gemacht? Ein 🧵 (was auch sonst 😜)

/1
Wer den Thread gestern verpasst hat: hier ist der Link!



/2
Als mein Vater vor ca. 20 Jahren die Familie verließ, musste ja jemand Geld verdienen. Das Los als Ältester fiel auf mich. Meine Mutter war mit der Situation nach zwei Jahrzehnten Hausfrau überfordert. Meine Schwester war jünger als ich, hat auch früh zu arbeiten begonnen. /3
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Aug 30
Ich arbeite mein erwachsenes Leben lang im Niedriglohnprekariat. Entgegen der liberalen Märchen, die wir uns hierzulande erzählen, habe ich mir das nie ausgesucht. Keine Lebensentscheidung von mir hatte Einfluss darauf. Ein 🧵 über Betrüger und Betrogene: /1
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Aug 29
So, bevor ich zu meiner Schwester düse, möchte ich ein Thema ansprechen, das mir wichtig ist.

Journalismus kostet Geld, das führt zu Paywalls. Das ist gerade für uns von #IchBinArmutsbetroffen noch eine zusätzliche Dimension der Ausgrenzung. Für Viele bleiben so nur die
Öffentlich-Rechtlichen, die allerdings auch nicht immer ganz frei von Framing berichten (aber immer noch besser, als der ganze Springer-Unsinn), bzw. unsere Themen auch nur sehr partiell behandeln. Dennoch ist das hier keine Vulgärkritik an den Öffentlich-Rechtlichen! Es gibt
allerdings noch andere Quellen, über die wir uns kostenlos informieren können, bzw. die Crowdfinanziert sind und denen ihr, wenn ihr denn mal könnt, eine Kleinigkeit geben könnt, aber nicht müsst.
Das sind Podcasts und Youtube-Kanäle. Natürlich sage ich ganz transparent:
Read 12 tweets
Aug 28
Das Wochenende ist meine liebste Zeit. Ich nutze es immer, um Dinge abzuarbeiten, die sich in der Woche davor angesammelt haben.

Es ist meine bevorzugte Zeit, mich bei Ämtern und Freunden zu melden. Die reagieren dann meistens nämlich nicht.😜
Kling paradox? Hier die Erklärung:

Ich habe nicht immer die Energie mich um soziale Interaktionen zu kümmern. Häufig ist es so, dass es mich extrem unter Stress setzt, wenn sofort geantwortet wird.

Ich mache immer nur eine Sache gleichzeitig.
Und grade bei Interaktionen mit anderen Menschen muss ich mich stark konzentrieren. Bei Interaktionen mit Ämtern noch mehr. Mit Ämtern spiele ich Schach. Und ich will gewinnen. Deswegen die Frage: Wie viele Infos gebe ich jetzt raus? Was halte ich vorerst zurück?
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