Der #LeckimAKW-Thread. Ich schreibe ihn aktuell über die anstehende Reparatur in #Isar2, aber er gilt im Grunde für viele andere Fälle, wo Routine-Ereignisse in KKW zum Anlass einer Angstkommunikation werden. Ich widme diesen 🧵 @sascha_m_k, dem Druckhalter der @Umwelthilfe. 1/n KKW-Modell, Ausschnitt Auswahlschaltung Sicherheitseinspeise
Vorab: in d Kerntechnik ist eine „Leckage“ kein „Leck“. Solche Ereignisse werden je nach Querschnitt d Schadstelle unterschieden, vom 2F-Bruch einer DN800-Hauptkühlmittelleitung (großes Leck) bis zu kleinen Tropfleckagen. Wichtig: es gibt auch betrieblich vorgesehene Leckagen.2/n
Was ist also aktuell los in Isar2? Befund: Innere Leckage an einem Vorsteuerventil eines Druckhalter-Sicherheitsventils. Leckagerate steigt, würde im Winter, Ende Dez oder Januar, Grenzwert erreichen. Daher wird eine Reparatur geplant. Aber ist das jetzt sicherheitsrelevant? 3/n
Der Druckhalter dient der Druckregelung und dem Ausgleich von Volumenschwankungen im Primärkreislauf. Das ist ein ca 12m hoher Behälter, der über eine Volumenausgleichsleitung oder „surge line“ an einen der 4 Loops - Kühlschleifen - des Primärkreises angeschlossen ist. 4/n
In diesem Druckhalter steht das ca 330 Grad C heiße Kühlmittel ca 8 m hoch & darüber ein Dampfpolster. Unten in der Wasserphase sind Heizstäbe, oben in der Dampfphase Sprühventile, die Sprühwasser aus dem etwas kälteren Primärkreis bzw aus dem Volumenregelsystem ziehen. 5/n
Mit diesen Komponenten kann man den Primärdruck regeln: fällt der Druck unter einen festgelegten Wert, sorgt die Druckhalter-Heizung für mehr Dampf & das eingesperrte Dampfpolster prägt Druck auf, steigt er zu sehr, wird mit der Sprühung Dampf kondensiert & Druck reduziert. 6/n
Das Druckhaltesystem dient auch der Druckabsicherung d Primärkreislaufs im Störfall. Dafür hat d Druckhalter 1 Elektromagnet-Abblaseventil & 2 eigenmedium-gesteuerte Sicherheitsventile, die ohne E-Antrieb oder Pneumatik arbeiten, nur unter Ausnutzung physikalischer Gesetze. 7/n
Und so nähern wir uns der Sache in Isar-2 & klettern dafür auf die Ventilgalerie im Druckhalter-Armaturenraum. Nur imaginär, denn der gehört zum Sperrbereich & ist im Leistungsbetrieb heiß (ca 60 Grad), laut (von den Hauptkühlmittelpumpen darunter) & auch strahlend. 8/n
Letzteres kommt von den Sprühventilen, die ziemlich funzen & daher in Bleikisten mit Schiebetüren eingehaust sind. Wir zwängen uns schnell an ihnen vorbei & klettern zu unseren eigenmediumgesteuerten Sicherheitsventilen. Auf der Zeichnung gelb, realiter: ähnlich wie rechts. 9/n Prinzipzeichnung von Sempell-Druckhalter-SicherheitsventilenEin Sempell-Sicherheitsventil VS99 mit 4 Steuerventilen
So ein Druckhalter-Sicherheitsventil hat 2 Steuerstränge mit je 2 federbelasten Vorsteuerventilen mit magnetischer Zusatzlast. Das sind die 4 länglichen Nupsis auf dem Bild. Eins scharfgeschaltet, eins abgesperrt, jede Revision wird abgewechselt.
10/n
Die Vorsteuer- (o. Impuls-)ventile sind über eine Druckentnahmeleitung mit dem Dampfraum d Druckhalters verbunden & über eine Steuerleitung mit dem Hauptventil. Hier 👇🏼mein Schaltplan aus Rivne-3, wo ähnliche Lösung verbaut wurde, nur mit 1 Vorsteuerventil pro Steuerstrang.
11/n
Ein Steuerventil “sieht” über seine Druckentnahmeleitung den Systemdruck. Es öffnet, wenn der Druck über einen bei der Federbelastung eingestellten Grenzwert steigt. Beim 1. Sicherheitsventil sind das 169 bar (normal: 156 bar), beim 2. 175 bar.
12/n
In seinem Inneren wird ein Rückschlagmechanismus betätigt, und der wiederum öffnet die Steuerleitung und entlastet so den Kolbenraum des Hauptventils. Dessen Kolben hat jetzt keinen Gegendruck mehr & wird v Systemdruck nach oben gedrückt, was die Abblaseleitung freigibt.
13/n
So wird Dampf aus dem Druckhalter (re) in den Abblasebehälter (li) geleitet & dort kondensiert. Der Sinn des Ganzen: das schnelle, präzise Betätigen der Hauptarmatur (gelb) mittels minimalem Volumenstrom, die ohne Steuerstränge viel schwergängiger reagieren würde.
14/n
Die Vorsteuerventile wiederum haben Bohrungen für (Leck-Paniker aufgepasst!) eine erlaubte, betriebliche Leckage, die ua dazu dient, dass ein kleiner Dampf-Volumenstrom stets aus dem Druckhalter abgeführt wird, damit dort vorhandenes Wasserstoffgas entweichen kann.
15/n
Diese erlaubten Leckagemengen haben Grenzwerte. Jetzt hat man in Isar-2 gesehen, dass dieser Grenzwert bei einem der Ventile wohl Ende des Jahres oder Anfang 2023 erreicht wird. Daher muss man das Ventil neu einstellen.
16/n
Für diese Reparatur muss man die Anlage abfahren & kaltfahren, da diese Armaturen ja auf vollem Systemdruck & Temperatur sind und sich im während des Leistungsbetriebs unzugänglichen Sperrbereich befinden.
17/n
Ende des Jahres ist aber der Reaktor schon sehr nah an Streckbetriebsbedingungen; das Wiederanfahren würde viel länger dauern. Der Grund ist, dass die Anlage für den Stillstand „aufboriert“ werden muss.
18/n
Bor im Kühlmittel fängt Neutronen ein & hält den Reaktor sicher unterkritisch, dh eine Kettenreaktion kann nicht spontan einsetzen. Wenn man den Reaktor, der schon nah am Ende des natürlichen Zyklus ist, wieder anfahren will, muss aber das Bor wieder raus: „Entborieren“.
19/n
Falls der Leckagegrenzwert erst im Januar erreicht würde und man dann eventuell wegen der Krisenlage im Streckbetrieb wäre, wenn die Reparatur anfällt, müsste auf bis zu einem Hundertstel der Stillstandskonzentration entboriert werden.
20/n
Denn die Brennelemente sind durch den hohen Abbrand schon sehr „lahm“ & durch zu viel Bor würde der Reaktor abgewürgt. Das Entborieren auf einen solch niedrigen Wert dauert wegen des Kühlmittelaustausch- und Bor-Rausfilterprozesses durch Verdampfen sehr lange & ist teuer.
21/n
Daher legt man d Reparatur nach vorne, wenn der Reaktor noch ein wenig frischer ist. Die ganze Aktion ist aber ein Indiz dafür, dass Verhandlungen der PreußenElektra mit @bmwk #Habeck laufen. Denn wenn am 31.12. definitiv Schluss wäre, müsste man die Reparatur nicht machen.
22/n
Σ: Es handelt sich um einen betrieblichen Vorgang an einem zentralen System des KKW, aber die lange Reparaturfrist ist Hinweis, dass die Leckagemengen-Erhöhung keine akute Sicherheitsrelevanz hat: in einem solchem Fall schriebe das Regelwerk eine sofortige Reparatur vor.
23/n
Keinesfalls aber rechtfertigt der Vorgang die von den @Die_Gruenen, der @Umwelthilfe und anderen über Isar-2 angestimmten Panikorchester-Melodien von Leck im AKW, Super-GAU vor der Tür, marode Reaktoren etc. Der oben genannte politische Aspekt dürfte das Spannendere sein.
24/24

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Sep 20
Die FAQ des @BMUV zur Atomkraft bmuv.de/faqs/akw-laufz… sind Propagandatexte, für die eine Behörde sich schämen sollte. Beispiel CO2-Bilanz der Kernenergie:
1) Suggestivfrage, die auf einen Strohmann führt („Ist Atomkraft klimaneutral?“), obwohl niemand das behauptet hat.➡️
2) Es werden keine CO2-Werte aus seriösen Studien und schon gar keine Vergleichswerte zu EE angegeben. Warum? Aus ihnen würden nämlich mit 5-12 g CO2/kWh sehr niedrige - und die meisten EE, zB PV, unterbietende Werte hervorgehen. ➡️
Hier kommt die neueste Quelle zur Lebenszyklus-Analyse, die das @BMUV eigentlich verlinken müsste, aber verschweigt. Sie fasst die neuesten Studienergebnisse zusammen, inklusive der Metastudie des IPCC: Hydro & Nuclear mit den geringsten Werten. unece.org/sites/default/…➡️
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Sep 19
@NolteUlli @Perowinger94 Weil die Kernenergie wissenschaftlich betrachtet eine Niedrigrisikotechnologie ist und zusammen mit Luftfahrt & Hochleistungsmedizin zu den High Reliability Organisations zählt, die gemessen an ihrem nützlichen Output dank ihrer Sicherheitsregeln sehr wenig Unfälle produzieren.➡️
@NolteUlli @Perowinger94 Was aber in der Debatte dauernd verwechselt wird, ist “Risiko” (Schadenshöhe mal Eintrittswahrscheinlichkeit & bei deutschen KKW winzig, 2-4E-8/ra Freisetzung), „maximale Schadenshöhe“ (real hoch) und „Risikowahrnehmung“ (real hoch, aber sozialpsychologischer Effekt: ➡️
@NolteUlli @Perowinger94 die Kohlekraft schafft im Normalbetrieb jedes Jahr die Opferbilanz von Tschernobyl in 40 Jahren, trotzdem hält man sie für harmloser als die Atomkraft, weil man von der Atomkraft spektakuläre Unfallbilder gesehen hat. Dasselbe übrigens bei Auto/Flugzeug: ➡️
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Sep 7
Der #Anfahrthread. Hier erkläre ich, warum die von #Habeck @BMWK vorgeschlagene Betriebsweise der KKW den Ergebnissen des #Stresstest widerspricht, welche technischen Probleme die vorgeschlagene „Reserve“ birgt und warum die @PreussenEl dieses Angebot zu Recht ablehnt. 1/n KKW Grohnde während der Revision. Foto: Rolf Sander, Fotofr
Der Stresstest bmwk.de/Redaktion/DE/D… hat ergeben, dass 3 (nicht 2!) KKW im Streckbetrieb einen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten können. Gemeint war ein Streckbetrieb, wie er immer gefahren wurde – nahtloser Weiterbetrieb am Ende des natürlichen Reaktorzyklus. 2/n
@BMWK #Habeck hingegen: Nullbetrieb. Am 31.12. werden alle Anlagen vom Netz genommen. 2 sollen in Reserve, 1 (Emsland) ganz weg. Das hat nichts m dem von d Netzbetreibern durchgerechneten Szenario zu tun, aber viel mit den Grünen, die an Silvester Abschaltfest feiern wollen. 3/n
Read 25 tweets
Sep 7
@Ricarda_Lang, 4v4 Ihrer Argumente gegen unsere AKW im @DLF sind falsch.
• Der Vorschlag von @BMWK #Habeck ist das Gegenteil der Empfehlungen des Stresstests.
• 🇫🇷AKW sind keine 🇩🇪AKW.
• Kernenergie ist eine Niedrigrisikotechnologie.
• Der Atomausstieg ist reversibel.➡️
Hier das Interview mit @Ricarda_Lang. deutschlandfunk.de/akw-in-reserve… Es ist symptomatisch für das konzeptlose Herangehen der Grünen an die Krise: statt geänderte Randbedingungen anzuerkennen, wird das Konzeptvakuum mit Glaubenssätzen aus dem Katechismus („Hochrisiko“) aufgefüllt.➡️
Die geänderten Randbedingungen:
• Klimaziele sind mit dem herrschenden Fossil-EE-Mix nicht erreichbar
• Wenn französische AKW ausfallen, bewirkt Abschalten deutscher AKW eine Verschlimmerung, keine Verbesserung
• der Atomausttiegs-„Konsens“ existiert nicht mehr, s. Umfragen.
Read 5 tweets
Sep 6
@BMWK Ihre „Einsatzreserve“ ist eine Verhöhnung der Empfehlungen des Stresstests.
1) Der Stresstest sieht Netzstabilität als gegeben an, wenn 3 Anlagen im *Streckbetrieb* dh am Netz sind & laufend Strom produzieren. Habeck hat daraus null Anlagen am Netz gemacht, 1 unverfügbar. 1/n
@BMWK 2) In „Reserve“ benötigen die Anlagen je nach Zustand, kalt oder heiß unterkritisch, mindestens 6-30 Stunden zum Anfahren, während sie am Netz sofort verfügbar wären. So ist Engpassmanagement gemäß Stresstest unmöglich, die Anlagen kosten Geld, statt welches zu verdienen. 2/n
@BMWK 3) Während Streckbetrieb eine bewährte & oft durchgeführte betriebliche Fahrweise ist, ist es der Reservebetrieb nicht. Gut möglich, dass d „schnellste“ der Reservebereitstellungen - Dauerzustand heiß-unterkritisch - von d Aufsicht für solche Zeiträume gar nicht erlaubt wird.3/n
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Sep 5
@BMWK #Habeck|s #Notreserve enthält 2 Feigheiten und eine Fahrlässigkeit.
• Feigheit 1: wegen der @Die_Gruenen-Befindlichkeiten sollen die KKW nicht weiterlaufen.
• Feigheit 2: man ist aber auch nicht Manns genug, die Folgen eines totalen Ausstiegs nach Plan tragen zu wollen.➡️
• Die Fahrlässigkeit: wieder - wie schon in der gesamten Laufzeitverlängerungs-Debatte - wurde keine kerntechnische Fachperson hinzugezogen, keine Reaktorsicherheits-Kommission. Diese Betriebsweise der KKW wurde nämlich, im Gegensatz zum häufig gefahrenen Streckbetrieb, ➡️
noch nicht ausprobiert. Es sieht fast so aus, als wolle #Habeck durch diese erneute Volte die Betreiber zum Hinschmeißen bringen, um ihnen dann einen eventuell drohenden Engpass in die Schuhe zu schieben, sie hätten ja nicht gewollt. Also im Grunde eine dritte Feigheit. ➡️
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