„Ach, verzeihen Sie bitte. Ich habe mich Ihnen ja noch gar nicht vorgestellt…
Unteroffizier der Garde Filatjew. 6. Fallschirmjägertrupp, 2. Regiment, 56. Brigade, 7. Luftlandedivision.“
„Ja genau, eben diejenige 56. Brigade, die auf Befehl unseres großen Verteidigungsministers Sergei Kuschugetowitsch Schoigu im Vorfeld dieses Krieges aufgelöst werden sollte.“
„Aber vielleicht wollte Schoigu ja auch einfach nur für Chancengleichheit sorgen und hat deswegen entschieden, eine Brigade aufzulösen, die voll bemannt war, hervorragend aufeinander abgestimmt und gut ausgerüstet.“
„Die Brigade bestand aus 3.000 Soldaten und umfasste 3 Bataillone: Fallschirmjäger, Pioniere und Panzer. Sie hatte ihre eigene Artillerie und Flugabwehr. Im Laufe von 20 Jahren hatte man sie im Süden von Russland aufgebaut und es gab kaum irgendwelche Vakanzen.“
„Diese Brigade wollte man nun auflösen und zerstörte damit die Schicksale vieler Familien, indem man die Menschen auseinanderriss und über ganz Russland verteilte.“
„Etatmäßig war nur noch ein einziges Fallschirmjägerbataillon übriggeblieben, das man dann nach Feodossija auf die Krim verlegte und dort mit dem 171. Sturmbataillon zusammenführte. Und aus diesen beiden Bataillonen machte man dann ein ‚Regiment‘.“
„Das Regiment bestand aus einem Fallschirmjägerbataillon, einem Sturmbataillon und den Pionieren, deren Zahl nur noch einem Zug entsprach. Das war nicht nur kein Regiment, denn auch das Sturmbataillon war zahlenmäßig unterbesetzt.“
„Unsere großen Militär-Reformer hatten nämlich außerdem entschieden, ein experimentelles Nachtsturmbataillon zu formieren und schickten dieses Bataillon daher mit gewöhnlichen Militär-Transportern los, anstatt ihnen Panzerfahrzeuge zu geben.“
„Ich habe vergessen zu erwähnen, dass ein Bataillon aus 3 Rotten besteht. Meine Rotte zog mit 45 Mann los, die beiden anderen mit jeweils 60. Unser Bataillon hatte also eine Truppenstärke von 165 Mann.
Einfach nur genial! Aber was rege ich mich eigentlich auf?“
„In den Berichten der Armee sieht das alles natürlich viel besser aus, denn ein Bataillon hat auf dem Papier 500 Mann. Und in denselben Berichten stand auch, dass die russischen Streitkräfte, die an der Grenze zusammengezogen wurden, 200.000 Soldaten umfassten.“
„Berücksichtigt man Korruption und gefälschte Dokumentationen (was in der Armee heute sehr beliebt ist, damit der Kommandostab die echten Probleme verbergen kann), dann haben am ersten Tag des Krieges lediglich 100.000 Mann die ukrainische Grenze überschritten.“
„Für ‚die Besten ihrer Generation‘ war die Armee dank einer endlosen Reihe unsinniger Experimente und einem Mangel an gesundem Menschenverstand schon lange kein attraktives Ziel mehr.“
„Nachwuchsmangel an den Militärhochschulen und ein Wehrdienst auf Vertragsbasis (2003 eingeführt) haben letzten Endes dazu geführt, dass die Armee zu einem Sammelbecken der untersten sozialen Schichten geworden war (zu denen ich mich leider auch zählen muss).“
„Die Wehrdienstpflicht wurde absolut lächerlich gemacht und in eine Mischung aus Kindergarten und Straflager-Kolonie verwandelt. Gelernt haben die Wehrdienstleistenden dort irgendwann überhaupt nichts mehr.“
„Wenn sie dann ihre Zeit abgesessen hatten, kamen sie nach Hause und erzählten all ihren Freunden davon, so dass jeder, der nur eben konnte, seinen Militärdienst umgangen hat, weil das nichts anderes war, als eine sinnlose Verschwendung von Lebenszeit.“
„Damals in Afghanistan und Tschetschenien haben die Wehrdienstleistenden noch gut gekämpft, gut in dem Sinn, dass sie ihre Aufgaben erfüllt haben und die Verluste dabei weitaus niedriger waren, als die Verluste der „professionellen Armee“ heute in der Ukraine.“
„Ach ja, ich habe vergessen zu erwähnen, dass ich bereits seit 1993 mit der 56. Brigade zu tun habe und ihren Verfall über 30 Jahre lang beobachten konnte.“
„Ich erinnere mich noch an das Jahr 1999, den Beginn des Tschetschenienkrieges. Ich war gerade einmal zehn Jahre alt und begleitete meinen Vater dorthin in den Krieg.“
„Es war gegen drei Uhr nachts, als der Regimentskommandeur das 1. Sturmbataillon neben dem Stab antreten ließ und sie davon in Kenntnisse setzte, dass es dringend erforderlich sei, einen Eilmarsch anzutreten.“
„Es unumgänglich, den kriminellen Banden der selbsternannten Republik Itschkerien im Kampf entgegenzutreten. (Erinnert uns das nicht an irgendetwas? Hat nicht auch die Ukraine ganz genau so auf die Ausrufungen der Republiken Donezk und Lugansk reagiert?)“
„Der Kommandeur setzte die Soldaten davon in Kenntnis, dass der Einsatz gefährlich werde und dass alle, die aus welchen Gründen auch immer nicht mitkommen wollten oder konnten, die Truppe sofort zu verlassen hatten.“
„Aber niemand verließ die Formation, nicht ein Mann, obwohl das Bataillon abgesehen von den Offizieren ausschließlich aus Wehrdienstleistenden im Alter von 18 bis 20 Jahren bestand (insgesamt etwa 500 Mann).“
„Klar, sie war nicht perfekt. Sie brauchte Reformen und eine neue Ordnung. Aber die Armee jener Jahre war dem, was man sich heute 20 Jahre später ‚zusammenreformiert‘ hat, haushoch überlegen.“
„Ich bin mir der Verantwortung bewusst, öffentlich Informationen über meinen Dienst in der russischen Armee weiterzugeben. Es aber zu verschweigen, würde für mich bedeuten, die Verluste nur immer weiter in die Höhe zu treiben.“