„Eigentlich eine Kleinigkeit, doch ich hatte Glück. Ein Sanitäter sagte mir, ich müsse evakuiert werden, weil ich ohne medizinische Behandlung Gefahr liefe, mein Augenlicht ganz zu verlieren.“
„Also wurde ich in das Sanitätskommando der Stadt Cherson gebracht, die unsere Truppen vorher besetzt hatten. Von da wurde ich dann schließlich nach Sewastopol evakuiert.“
„Unser Minibus erreichte das Hospital „Orion“ in Sewastopol um ein Uhr nachts. Dort mussten wir dann im Hof warten, weil anscheinend niemand auf die Idee gekommen war, uns in Empfang zu nehmen.“
„Eine halbe Stunde später kam dann eine Frau heraus, die eine Mischung aus Krankenhauskleidung und Armeeuniform trug. Sie führte uns zum Empfang, wo man uns anmeldete und wir Schlafanzüge und Kittel bekamen. Die Verwundeten wurden sofort zum OP gebracht.“
„Ich war in einem Zustand totaler Erschöpfung und wollte nur so schnell wie möglich behandelt werden und dann schlafen. Es fühlte sich an, als hätte mich ein Zug überfahren, alles tat tierisch weh, der Rücken, die Beine und dazu noch die Probleme mit den Augen.“
„Nachdem die Anmeldung endlich hinter uns lag, brachte man mich in ein Krankenzimmer, und ich wunderte mich, dass das Hospital so neu und modern eingerichtet war. Das Zimmer hatte zwei Betten, Dusche, WC und eine Klimaanlage.“
„Nach den Schützengräben war es hier besser, als in jedem Hotel. Im Krieg hatte ich die ganze Zeit von einer Dusche geträumt, aber obwohl meine Hände schwarz waren vor Dreck, der sich in die Haut gefressen hatte, fand ich jetzt nicht die Kraft zu duschen.“
„Ich legte mich auf das Bett und schlief ein. Ein Mensch, der noch nie in Lebensgefahr auf der nackten Erde im Frost geschlafen hat, kann das Gefühl der Glückseligkeit nicht verstehen, in einem Bett mit frischer Wäsche zu liegen.“
„Wie ich später erfuhr, blieben die Soldaten nicht lange in dieser Vorzeige-Klinik, sondern wurden umgehend auf verschiedene Städte verteilt und dort in Krankenhäuser und Sanatorien gesteckt.“
„Irgendwann um die Mittagszeit wurde ich geweckt und man brachte mich zum Augenarzt, der sich irgendwo im 6. Stock befand. Das Treppensteigen fiel mir sehr schwer.“
„Meine Adrenalinreserven waren aufgebraucht und bei jedem Schritt machten sich die Schmerzen in meinem Körper bemerkbar, so dass die weitaus ältere und übergewichtige Krankenpflegerin, die mich begleitete, vor mir oben ankam.“
„Nach der Untersuchung brachte man mich zurück in mein Zimmer, wo ich endlich eine Dusche nahm. Ich stand mindestens eine halbe Stunde unter dem heißen Wasser und wusch mir den ganzen Dreck ab, der sich in mich hineingefressen hatte.“
„Nach dem Mittagessen legte ich mich wieder hin und schlief wie ein Stein. Gegen Abend weckte mich eine Ärztin und sagte, ich solle mich anziehen, man würde mich in ein anderes Krankenhaus bringen. Ich weiß nicht warum, aber es fiel mir schwer, wach zu werden.“
„Schwerfällig begann ich, mich anzuziehen. Nach nicht einmal fünf Minuten stürmte die Ärztin wieder ins Zimmer und rief, ich solle ‚mal Tempo machen‘. Erst da fiel mir auf, dass sie den Dienstgrad eines Majors trug und ich spürte, wie Ärger in mir hochstieg.“
„So ein Quatsch ist nur in unserer Armee möglich. Die Militärärzte haben eigentlich ihre eigene Struktur und sind nur dafür verantwortlich, ihre Patienten in den Hospitälern zu behandeln.“
„Sie haben aber de-facto auch einen militärischen Dienstgrad, teilweise sogar einen ziemlichen hohen und können gemäß militärischer Rangordnung über dir stehen, weswegen sie sich einem einfachen Vertragssoldaten gegenüber oft extrem arrogant aufführen.“
„Diese ‚Militär‘-Ärzte unterhalten sich mit dir oft in einem Ton, den sich nicht einmal deine direkten Kommandeure bei den Luftlandetruppen erlauben würden. Jeder erwachsene Mann hätte sich erniedrigt gefühlt, wenn man so mit ihm umgegangen wäre.“
„Als ich aber in den Augen dieser Ärztin erkannte, dass die sich mir gegenüber tatsächlich irgendwie überlegen fühlt, nur weil sie den Rang eines Majors trägt, machte mich ihr Ton richtig wütend.“
„Ich meine, während du an Kampfhandlungen teilnimmst und dein Leben riskierst, frisst sich Madame hier ihre Speckpölsterchen an, meint aber, dich anschreien zu dürfen und zur „Ordnung“ zu rufen, weil sie ein Major ist und du nur ein einfacher Vertragssoldat.“
„Zumal du ja auch im Moment keinen besonders guten Eindruck machst in deinem unansehnlichen Krankenhaus-Pyjama, abgemagert und verwahrlost, wie du da versuchst hilflos aus dem Bett aufzustehen wie ein alter Mann, weil dein ganzer Körper wehtut.“
„Ich glaube, dass man die Wut in meinen Augen sehen konnte, aber alles, was ich herausbrachte, war ein ‚Sie müssen mich nicht anschreien!‘ und dann machte ich damit weiter, mir die Stiefel zu schnüren, im gleichen Tempo wie zuvor.“
„Die Frau-Major fühlte sich aber provoziert. Man sah ihr an, dass sie es gewohnt war zu kommandieren und ihre ‚Patienten‘ zur Ordnung zu rufen. Also schrie sie mich weiter an: ‚Wie redest du überhaupt mit mir? Ich rufe die Militär-Polizei!‘.“
„Ich stand auf und setzte mich an das andere Ende des Zimmers, gab ihr aber im gleichen Ton eine Antwort und hob dabei meine Stimme: ‚Gehen Sie weg! Rufen sie von mir aus die Militär-Polizei, aber schreien Sie mich nicht an.‘“
„Sie war äußerst aufgebracht, dass sie ihre tägliche Dosis Selbstbefriedigung, einen anderen Menschen zu dominieren, von mir nicht bekam, und verließ das Zimmer. Sie drohte weiter mit der Militär-Polizei, obwohl das natürlich überhaupt keine Grundlage hatte.“
„Kurze danach hatte ich die Stiefel geschnürt und verließ das Zimmer mit einem großen Müllsack, in dem sich mein Tarnanzug und meine Schuhe befanden, einen Rucksack besaß ich nicht. Als ich rauskam, war dort kein Auto. Die ganze Hektik war nur Schikane gewesen.“
„Es regnete und ich stand einfach so zehn Minuten im Hof, weil ich immer noch genervt war von dieser hysterischen Frau-Major und entschieden hatte, dass es besser wäre, draußen zu warten, als reinzugehen und ihr dort noch einmal über den Weg zu laufen.“
„Übrigens war sie genau diejenige, die uns in der Nacht zuvor eine halbe Stunde hatte warten lassen, bis sie widerwillig herauskam, um uns in Empfang zu nehmen, während wir nach unserer Evakuation die ganze Zeit draußen in der Kälte auf dem Hof stehen mussten.“
„Scheiß auf mich und meine Augenentzündung, aber die anderen waren fast alle verletzt. Die einen hatten Schusswunden, andere Schrapnells abbekommen, bei einem war der Verband schon blutdurchnässt und ein anderer wankte herum, weil die Schmerzmittel nachließen.“
„Wenn du im Kriegsgebiet bist, musst du das aushalten, okay, aber wenn wir doch ‚zuhause‘ sind, wenn doch die ganzen Sozialeinrichtungen, die der Staat nur zu diesem Zweck unterhält, ihre Arbeit tun sollen, wie können die sich dann so stümperhaft aufführen?“
„Bedroht es denn etwa nicht die Sicherheit des Landes, wenn ein Soldat infolgedessen stirbt oder zum Krüppel wird? Ist das dann etwa keine kriminelle Pflichtvergessenheit von Seiten der Ärzte?“
„Ach, verzeihen Sie bitte. Ich habe mich Ihnen ja noch gar nicht vorgestellt…
Unteroffizier der Garde Filatjew. 6. Fallschirmjägertrupp, 2. Regiment, 56. Brigade, 7. Luftlandedivision.“
„Ich bin mir der Verantwortung bewusst, öffentlich Informationen über meinen Dienst in der russischen Armee weiterzugeben. Es aber zu verschweigen, würde für mich bedeuten, die Verluste nur immer weiter in die Höhe zu treiben.“