Wer behauptet, es sei in den Geisteswissenschaften ein „Prinzip“, Texte „karitativ“ zu lesen, also so, dass man ihnen einen „guten Sinn“ unterstellt, damit man etwas „lernen“ kann, versucht, eigene Beweislasten seinen Kritikern aufzubürden. #servicetweet@philpublica@romyjaster
Schon die Formulierung „karitativ“ ist in diesem Zusammenhang irritierend: Dem Kritiker eines Textes wird die moralische Pflicht zur „Wohltätigkeit“ und „Nächstenliebe“ aufgebürdet, während man Texte unter der Hand zu Lehrmaterialien macht, aus denen man etwas lernt.
Ärgerlicher ist dabei, dass eine vulgäre Texthermeneutik, die Texten einen Hintersinn unterstellt und sie nur als Ausdruck von Gemeintem verstehen kann, sich zum moralischen Kriterium für Diskurse erhebt. Dem ist zu entgegnen: Nur, weil Ihr in Euren Seminaren keinen
anderen Zugang zu Texten gefunden habt, folgen daraus nicht schon irgendwelche Normen. Macht Euch, wie es in unserem Fach seit jeher Brauch ist, mit dem bekannt, was Ihr noch nicht kennt, anstatt das Bekannte gleich mit dem Erkannten gleichzusetzen.
Also nein, es ist KEIN „Prinzip“, sondern maximal ein – problematischer – Methodenvorschlag, der in keiner Weise dem methodischen Pluralismus „der“ Geisteswissenschaften entspricht. #servicetweet@PhilPublica@romyjaster
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(1) Der Text ist Ausdruck einer Aussageabsicht seines Autors, die durch Auslegung ermittelt werden soll.
(2) Der Text ist selbst Gegenstand der Auslegung, ohne Umweg über Autor und Absicht. /1
Folgt man Option (1), konstruiert man eine Hinterwelt des Textes, die zugleich durch den Text als solche allererst aufgewiesen werden muss. Da die Annahme einer solchen Hinterwelt – einmal gemacht – persistent ist, gerade bei schwierigen Texten, die oft ausgelegt werden, /2
entstehen a) ein Konflikt möglicher Auslegungen dieser Hinterwelt und b) ein Regress der Kommentierung. Denn jede Auslegung beansprucht natürlich, die richtige Textauslegung zu liefern, also den richtigen Textsinn zu treffen und dieser Textsinn ermöglicht es dann wieder /3
Das Problem mit Philosophie ist immer das gleiche:
Philosophie kostet Zeit, Aufmerksamkeit und Geduld. Es gibt sehr, sehr viele philosophische Texte, mit eigenen Kontexten (geschichtliche Situation, Rezeption anderer Philosophen usw.) und eigenen Denkproblemen. /1
Philosophie ist unübersichtlich, setzt erhebliches historisches Wissen voraus und fordert jede Menge Einsatz bei der Lektüre.
Es ist also ganz normal, dass man nach Abkürzungen sucht. Nichtakademiker suchen sie in populären Überblicksdarstellungen, die sich verständlich /2
ausdrücken. Sie vertrauen darauf, dass die Autoren schon wissen, was sie da schreiben. Akademische Philosophen suchen die Abkürzung in Standarddarstellungen der Philosophiegeschichte oder in Urteilen ihrer eigenen Schule über die Tradition. Die Darstellungen von Philosophie /3
Ein paar erläuternde Worte zu gestern: Es gibt im philosophischen Diskurs eine bestimmte ‚Sprachlosigkeit‘ zwischen Analytikern und Nichtanalytikern. Diese ‚Sprachlosigkeit‘ ist ein Erbe theoriepolitischer, nicht unbedingt philosophischer Auseinandersetzungen. /1
Es gibt zu der Kluft, die sich hier auftut, viele Stimmen, auf beiden Seiten. Und natürlich beeilen die Analytiker sich, zu versichern, dass diese Kluft nurmehr historisch sei und sie gut mit Nichtanalytikern zusammen arbeiteten. Diesen Luxus können sie sich leisten, weil /2
die Analytische Philosophie in den letzten Jahrzehnten an allen großen Instituten und Seminaren Lehrstühle beansprucht hat, die vorher nicht analytisch waren, eigene Zeitschriftenreihen aufgebaut hat, nachdem sie vorhandene über neue Herausgeberschaften thematisch ausgedünnt /3
@aleph_eins Klar. Formalisierung von zunächst nichtformal aufgebauten Argumenten führt regelmäßig dazu, dass man Kontexte ignoriert. Wenn am Ende ein Widerspruch herauskommt, soll das die fragliche These widerlegen, obwohl die beiden Bestandteile unterschiedliche Hinsichten voraussetzen. /1
@aleph_eins Man achtet nicht mehr auf Zirkel und setzt alles gleich, was gleich aussieht, selbst wenn es in der formalen Darstellung gar nicht gleich dargestellt wird – es reicht, dass man irgendwo mit „P 2“ darauf verweisen und so Folgerichtigkeit simulieren kann. /2
@aleph_eins Die allermeisten Ontologien, die zum Einsatz kommen, sind vulgär-aristotelische Substanz-Eigenschafts-Ontologien. Das wird besonders dort problematisch, wo man ‚psychologisch‘ auf Argumentationen blickt – aus diskursivem Denken wird dann ein einfaches kausales Schema. /3
Analytische Philosophie ödet mich an. In wirklich jeder Version.
Formale Darstellungen, die Präzision vermitteln sollen, aber logisch völlig unbedarft sind. Primitive Ontologien. Ahnungslosigkeit bezüglich der Tradition. Inszenierte Skepsis, während man hemdsärmelig mit /1
Voraussetzungen umgeht. Das ewige Wiederaufwärmen uralter Probleme. Das gänzlich unreflektierte Anhimmeln der eigenen ‚Klassiker‘. Die völlig überzogene Lobhudelei in Buchbesprechungen.
Und dann diese Symposien. Analytiker:innen machen immer ‚Party‘ und Fotos davon. /2
Sie wollen cool sein, tragen das Haar lang, tragen Lederjacke und spielen Rockgitarre. Und das durchseucht mit einem mal dümmlich-erstaunten, mal arrogant-selbstgewissen Tonfall, der Attitüde des nahbaren, aber stets überlegenen Denkens. Weil man ‚wissenschaftlich‘ arbeitet. /3
Warum „Philosophie“ und „Streitgespräch“ nicht zusammenpassen – ein 🧵
Ich werde immer mal wieder angefragt, im Rahmen von Textserien oder Sendungen, die das ‚Streiten‘ im Titel führen, eine Position zu vertreten. Viele dieser Sendungen und Serien sind während der /1
Populismus-Debatte ab 2017 entstanden, mit dem Ziel, die gesellschaftliche Debatte zu repräsentieren. Das ist für alle möglichen Positionen auch durchaus sinnvoll. Im Fall der Philosophie ist es aber wenig sinnvoll, sogar widersprüchlich. /2
Solche Serien / Sendungen inszenieren Debatte nämlich in der denkbar einfachsten Art einer Erörterung: Ja oder nein? Soll man es tun oder soll man es lassen? Der daraus folgende Debattenmodus orientiert sich an der angelsächsischen ‚debate‘, der rhetorischen Debatte auf einem /3