Ok, jetzt mal im Ernst: Bringen radikale Aktionen von #DieLetzteGeneration was? Ich lese immer wieder, dass das „Mehrheiten verspielen“ würde und Leute die „eigentlich für Klimaschutz sind“ verloren gehen. Ein kleiner Exkurs in Proteststrategie und warum das nicht stimmt. #Thread
Zuerst: Ich verstehe den Gedanken emotional ziemlich gut. Die Vorstellung dahinter ist auch erstmal nicht unlogisch: Es gibt eine politische Forderung bzw. einen Forderungskatalog und es gibt jetzt diese radikalen komischen Aktionen. 2/
Die Aktionen stoßen bei den meisten Menschen auf wenig Gegenliebe - besser gesagt auf Ablehnung. In Folge dieser Ablehnung erfährt dann schließlich auch die Forderung Ablehnung. Wir verknüpfen Menschen mit dem was um uns herum passiert weitaus besser als abstrakte Theorien. 3/
Weil die Menschen hinter der radikalen Aktion unsere Antipathie erfahren, überträgt sich also diese Antipathie auf die Forderung -> wir lehnen sie eher ab. Das mag bei vielen politischen Konflikten so oder so ähnlich funktionieren aber gerade bei der Klimakrise ist es anders. 4/
Damit sich Sympathie oder Antipathie gegenüber denen die eine Forderung stellen überhaupt positiv oder negativ auf die Akzeptanz dieser Forderung überträgt, müsste sie A) noch unzureichend verbreitet sein oder B) sich in ihrer Begründung wesentlich auf Sympathie berufen. 5/
Beides ist bei der Klimakrise nur in geringem Maße der Fall. Natürlich gibt es in unserer Gesellschaft unterschiedlich starke akute Bedrohungen durch die Klimakrise. Wohlhabende und reiche Menschen müssen akut weniger befürchten als wirtschaftlich schwächer gestellte Menschen. 6/
Aber die Begründungen für politische Maßnahmen gegen den Klimawandel in dem Sinne wie es die Pariser Klimaziele fordern, sind insoweit für alle erstmal abstrakt, als dass sie weit über die persönlichen Konsequenzen hinaus gehen. 7/
Es geht um nicht weniger als den Erhalt des menschlichen Lebens auf dem Planeten und den Wohlstand der zukünftigen Generationen. Erst auf dieser Ebene begründen sich die Klimaschutzmaßnahmen in ihrer globalen Dimension in Form des 1,5°C und 2°C Ziels. 8/
Klimaschutz ist also kein Partikular-Interesse einer Gruppe gegenüber dem Rest - auch wenn es akut natürlich unterschiedlich laut artikulierte Interessen daran gibt. Klimaschutz begründet sich also auch nicht in erster Linie auf Sympathie gegenüber einer bestimmten Gruppe. 9/
Und wie sieht es mit der Bekanntheit aus? Die Notwendigkeit der Einhaltung unserer planetaren Grenzen ist medial und politisch durchdekliniert. Klimaschutz im Sinne des Pariser Klimaabkommens ist wohl die bekannteste und universellste politische Forderung der Welt. 10/
Natürlich gibt es vereinzelt Menschen, die den Klimawandel leugnen oder sagen: „nach mir die Sintflut“. Aber im Kern liegt das Problem nicht an der fehlenden Verbreitung dieser Erkenntnis. Die meisten sind sich darin einig, dass die Forderung Klimaschutz als Ziel legitim ist, 11/
und dass wir die planetaren Grenzen einhalten sowie den Wohlstand der zukünftigen Generationen erhalten müssten. Die Vorstellung, wir müssten für Klimaschutz als Ziel um Zustimmung werben, ist also im Kern sehr vereinfacht wenn nicht schlichtweg falsch. 12/
Wenn es aber nicht daran liegt, woran liegt es dann? Wenn wir von „Mehrheiten“ sprechen dann geht es eigentlich um Akzeptanz. Und die Forderungen für die uns beim Klimaschutz diese „Mehrheiten“ fehlen, bedeuten alle: Gesellschaftliche und strukturelle Transformation. 13/
Wenn also das Ziel weitgehend akzeptiert ist, sind es genau jene Transformationen die mit der Erfüllung dieses Ziels im Weg stehen. Ihnen fehlt die Akzeptanz - nicht dem Ziel selbst (wieso, weshalb, warum ist ein anderes Thema das hier zu weit führt). 14/
Daraus folgt: Sympathie oder Antipathie gegenüber denen, die sich das Thema Klimaschutz zu eigen machen, haben höchstwahrscheinlich *keine* signifikante Auswirkung auf die politischen Mehrheiten für die politischen Maßnahmen. Keine positive aber eben auch keine negative. 15/
Die Verfechter radikaler Protestformen argumentieren anders. Kurz zusammenfasst: Sie sagen, sie schaffen die Akzeptanz für die Transformationen in dem sie eine Diskursverschiebung gegen die eigenen Aktionen erzeugen. Die negative Aufmerksamkeit und die Ablehnung 16/
gegen die Aktionen verschieben den Fokus und sorgen dafür, dass die Transformation nicht mehr die Hauptprojektionsfläche der Antipathie ist - sondern sie selbst. Ob das klappt? Weiß ich nicht. Aber es ist keine unbekannte und schon gar keine völlig absurde Strategie. 17/
Just my 2 cents. Man muss diese Aktionen nicht gut finden. Das wissen die, die mit der Suppe Glasscheiben von Gemälden bespritzen auch. In jedem Fall geht „Dieter wäre vorher für Klimaschutzmaßnahmen gewesen aber wegen denen nicht mehr“ stark an der Wirklichkeit vorbei. 18/
Strategische Kritik ist wichtig, weil natürlich nicht jede Aktion per se gut oder nützlich ist nur weil sie von Aktionismus lebt. Aber wem es dabei tatsächlich um den Klimaschutz und die politische Bewegung dahinter geht, übt solidarische Kritik.
Wer sich für die wissenschaftliche Sicht dazu interessiert: theconversation.com/just-stop-oil-…

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