Thread by @flo93wi

Hallo #twitterstorians und alle anderen, die mir vielleicht helfen können! Wer kann mir etwas zum Begriff der #Philologie und seiner Bedeutung im universitären Verständnis zwischen 1870 und 1970 sagen?
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Hintergrund ist meine Beschäftigung mit dem Begriff „Turnphilologe“ bzw. der Frage „Was ist bzw. macht ein #Turnphilologe?“ Dazu meine bisherigen Ergebnisse:
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„Turnphilologe" taucht als Begriff in den 1860ern auf und ist eng mit Karl Wassmannsdorff und seiner spezifischen Arbeitsweise verknüpft. Der Begriff ist im 19. Jahrhundert sehr wörtlich zu nehmen und meint tatsächlich die philologische Beschäftigung mit Turnen,
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wie sie Wassmannsdorff prägt - in den Worten Carl Eulers: "Haben in der Turngeschichte auch andere sich versucht, so ist Dr. Wassmannsdorffs unbestrittenes Gebiet die Turnsprache. Seine Bemühungen um dieselbe haben ihm den ehrenden Beinamen 'des Turnphilologen' eingebracht."
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Die so ausgestaltete Turnphilologie ist in zweierlei Hinsicht eine Art „Legitimationswissenschaft“. Erstens soll die philologisch-historische Beschäftigung mit Turnen bzw. Leibesübungen diesen eine Art wissenschaftliches Fundament geben.
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Zweitens ist Wassmannsdorff mit seinem Graben nach „deutschen“ Leibesübungen im Mittelalter (und seiner teils scharfen Abgrenzung zu bzw. Abwertung von Frankreich) auch im Zusammenhang mit der Nationsbildung zu sehen.
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Nach seinem Tod 1906 wandelt sich auch der Begriff des „Turnphilologen“. Edmund Neuendorff kritisiert schon in seinem Nachruf auf Wassmannsdorff diesen als verstaubten Stubengelehrten, dessen Körper und Geist sich schon lange „zu langsamem Sterben“ vorbereiteten.
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„Turnen ist praktische Kunst, und so sind seine Großen fast sämtlich groß in der Praxis: kühne Organisatoren, begeisterte Lehrer. W[assmannsdorff] war keins von beiden.“
In der Tat ist Wassmannsdorff beim Blick auf die körperkulturellen Wenden um 1900 keineswegs „modern“,
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was dazu beigetrug, dass er recht rasch vergessen wurde. Aber auch andere Punkte boten fast schon ideale Bedingungen für das Vergessen-Werden Wassmannsdorffs (z.B. die Überstrahlung der badischen Turngeschichte durch Alfred Maul, das Fehlen einer Schülerschaft etc.).
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Jedenfalls trug das „Entschwinden der Erinnerung“ (schöner Titel und schönes Buch, @t_winnerling) an Wassmannsdorff sicher auch dazu bei, dass der Begriff „Turnphilologie“ seine inhaltliche Dimension verlor. Die Bedeutung des Begriffs verschob sich vom Inhalt weg zur Form:
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Ein Turnphilologe war spätestens ab den 1920ern nicht mehr jemand, der sich dem Turnen und seinen Begriffen ausschließlich aus philologischer Warte näherte. Vielmehr bezeichnete der Turnphilologe nun nur noch allgemein die Form eines universitär ausgebildeten Turnlehrers -
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im Gegensatz zum Fach- bzw. Nurturnlehrer. Turnphiloge war z.B., wer neben Turnen das Fach Biologie wählte. Zeitgenossen Wassmannsdorffs hätten diesen Begriff hier sicher nicht benutzt.
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Im Begriff Turnphilologe bündelte sich in der Weimarer Zeit der Versuch, Sport als Wissenschaftsdisziplin zu etablieren – was zu scharfem Widerspruch etablierter Kreise führte: „Dieses künstliche Aufblasen des Faches, das eine Praxis, eine Geschicklichkeit bleibt und
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keine Wissenschaft ist und keine werden kann, muß endlich aufhören. In dem Ausdruck Turnphilologen enthüllt sich mit dem falschen Anspruch die mangelhafte wissenschaftliche Klarheit, die Verstiegenheit mitsamt dem Dilettantismus, die diesen Bestrebungen zugrunde liegen.“
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Trotz solcher Kritiken blieb der Begriff bis in die 1970er eben in der Bedeutung eines universitär gebildeten Turnlehrers. „Wir haben uns zum Turnphilologen entschieden“, hieß es etwa in der Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der Sporthochschule in Köln.
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Erst als Ende der 1960er und in den 1970ern Professuren errichtet wurden, vollzog sich die akademische Anerkennung des Sports (siehe auch die Umbenennungen von Instituten für Leibesübungen in Institute für Sportwissenschaft) – und der Begriff „Turnphilologe“ wurde obsolet.
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