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Nov 7 24 tweets 5 min read
Ein langer Thread zu (extremen) Klimaszenarien. 🧵

Die interessante Frage beim Klimawandel ist, was die globale Erwärmung für Wetter und andere Bedingungen bedeutet. Das ist schwer vorherzusagen - und noch schwerer einzuschätzen sind die konkreten Folgen für die Menschen.
1/24
Dafür gibt es einen ganzen Haufen Gründe. Zum einen ist unklar, wie sich die CO2-Emissionen weiter entwickeln. Im Moment folgen sie dem "Worst-Case-Szenario" RCP8.5, aber dieser Pfad ist langfristig nicht plausibel. @hausfath hat das 2020 gut erklärt.
2/24
nature.com/articles/d4158…
Irgendwann in der Zukunft weichen die Emissionen nach unten ab, einfach weil nicht genug fossile Rohstoffe verfügbar sind, erneuerbare Energien werden günstiger etc.
Könnte entsprechend sein, dass das CO2 sich z.B. irgendwo im Bereich von 500 bis 700 ppm stabilisiert.
3/24
Das Erdsystem aber reagiert ja auch. Möglicherweise führt die Erwärmung dazu, dass CO2 aus natürlichen Quellen freigesetzt wird und das Klima sich irgendwann in einem eigenen Gleichgewicht stabilisiert, dass der mesozoischen "Heißzeit" entspricht.
4/24
spektrum.de/kolumne/was-is…
Zum anderen gibt es immer noch einige Unsicherheit darüber, welche Erwärmung aus einer erhöhten CO2-Konzentration tatsächlich resultiert. Das bezeichnet man als Klimasensitivität, die ist seit Jahren ein Streitpunkt.
5/24
spektrum.de/news/der-schli…
Richtig kompliziert wird es, wenn man versucht, aus diesen globalen Größen zu ermitteln, was das für uns lokal und regional bedeutet. Da gibt es drei Ansätze: Klimasimulationen, Vergleiche mit passenden Phasen der Erdgeschichte und die jetzt schon stattfindenden Klimafolgen.
6/24
Die aktuell beobachtbaren Klimafolgen geben die besten Hinweise darauf, womit wir zu unseren Lebzeiten noch rechnen müssen. Im Wesentlichen ist das "Extremwetter", also Wetterereignisse, die bisher extrem selten waren, aber durch die Klimaverschiebung häufiger werden.
7/24
Da ist der Blick vor allem auf große Naturkatastrophen gerichtet, aber das ist nur ein Teilaspekt. Sogar noch wichtiger sind Verschiebungen im "alltäglichen" Wetter, die zeigen, wie sich der Alltag wandelt. Zum Beispiel Veränderungen der Jahreszeiten.
8/24
spektrum.de/news/darum-war…
Es ist natürlich recht kompliziert, bestimmte Ereignisse dem Klimawandel zuzuordnen. Das Wetter war schon immer variabel, zum Beispiel auch durch natürliche Zyklen der Atmosphäre. Ein ganzer Forschungszweig befasst sich mit der Frage, was vom Klimawandel kommt und was nicht.
9/24
Ein gutes Beispiel für die Schwierigkeiten ist die Häufigkeit starker tropischer Wirbelstürme durch den Klimawandel. Da spielen viele verschiedene Einflussfaktoren mit rein, vom ENSO-Zyklus über Umweltverschmutzung bis hin zu statistischen Problemen.
10/24
scilogs.spektrum.de/fischblog/klim…
Die zweite Möglichkeit, sowas vorherzusagen, sind Klimasimulationen. Die sind außerordentlich leistungsfähig, stoßen aber bei Aussagen über das zukünftige Klima an grenzen. Nicht zuletzt, weil (siehe oben) gar nicht klar ist, über welche Erwärmung wir genau reden.
11/24
Dann macht es einen Unterschied, ob wir über globale oder lokale Effekte reden. Und gerade bei kleinräumigen Veränderungen sind schlecht verstandene Effekte wie Wolken wichtig. Außerdem können Modelle einfach wegen der nötigen Rechenzeit nicht beliebig detailliert sein.
12/24
Die dritte Quelle sind Klimadaten aus der Vergangenheit. Zum Beispiel war vor 3,2 Mio Jahren die CO2-Konzentration ähnlich wie heute, die Welt sah sehr ähnlich aus, das Klima war aber ganz anders. Das ist natürlich aufschlussreich für unsere Zukunft.
13/24
spektrum.de/news/palaeokli…
Das Problem mit dem Paläoklima ist, dass die Daten da oft sehr lückenhaft sind und auch leider nur sehr wenig über das konkrete Wetter aussagen, das uns erwartet. Auch hier gilt: man sieht große Trends, aber nicht die spannenden Details, die unseren Alltag prägen.
14/24
Sowohl Klimasimulationen als auch Paläoklima-Rekonstruktionen tendieren außerdem dazu, Gleichgewichte zu beschreiben. Klimamodelle werden mit dem stabilen Klima der Vergangenheit validiert, und Klimawandel früher waren so langsam, dass das Klima nahe am Gleichgewicht war.
15/24
Unsere CO2-Konzentrationen verändern sich aber so rasant, dass das Erdsystem nicht hinterher kommt. Teile der Welt verändern sich bereits schnell, andere, wie Ozeane und Eiskappen, reagieren langsam und hängen hunderte oder tausende Jahre hinterher.
16/24
Nun macht es einen großen Unterschied, ob ein System nahe am Gleichgewicht ist oder weit davon entfernt. Lebende Zellen sind weit vom chemischen Gleichgewicht entfernt, deswegen machen sie Sachen, die eigentlich unmöglich wären. Zellen im chemischen Gleichgewicht sind tot.
17/24
Auch das Klimasystem kann so unerwartete Effekte erzeugen. Zum Beispiel wäre eine wärmere Welt eigentlich feuchter. Aber im Moment folgt das Land dem Klimawandel schneller als der Ozean. Dadurch verdunstet an Land mehr Wasser und die Kontinente werden trockener.
18/24
Als letztes ist dann noch die Frage, was das alles konkret für Menschen bedeutet und wie menschliche Gesellschaften tatsächlich damit umgehen. Im Moment ist der öffentliche Fokus da auf absoluten Aussagen und extremen Szenarien wie dass Regionen unbewohnbar werden.
19/24
Aber Menschen sind sowohl hartnäckiger als auch verwundbarer als solche Szenarien annehmen. Es wird einerseits kreative Anpassungen an extreme Auswirkungen geben, andererseits können selbst milde Veränderungen durch Folgeeffekte ganze Gesellschaften umwälzen.
20/24
Da verstellt der Fokus auf Extremszenarien eben den Blick darauf, dass Klimafolgen eben nicht nur die reine physische Existenz betreffen. Vielleicht werden Regionen doch nicht unbewohnbar, sie verlieren nur ihre bisherigen kulturellen und wirtschaftlichen Grundlagen. Hurra?
21/24
Um zum Anfang des Threads zurückzukehren - es ist außerordentlich schwer, zuverlässige Vorhersagen zu machen, wie "schlimm" der Klimawandel wirklich wird. Ein Grund ist, dass schon außerordentlich schwer vorherzusagen ist, was rein physikalisch passieren wird.
22/24
Der andere, wichtigere Aspekt ist, wie Menschen mit der Situation umgehen. Bin nicht sicher, wie viel Grund wir da zum Optimismus haben. Klar können wir uns anpassen, aber derzeit sind wir näher am Atomkrieg als an einem konstruktiven Umgang mit dem Klimawandel.
23/24
Und dann ist noch die Frage, was man als "schlimm" betrachtet. Die Menschheit wird eher nicht aussterben, und auch dass Kontinente unbewohnbar werden, halte ich für übertrieben. Aber deutliche Verluste an Wohlstand und Sicherheit sollte man einkalkulieren, mindestens.
24/24

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Nov 8
Die Folgen des Klimawandels für die Menschheit, ein Thread. 🧵

Der Klimawandel hat einen ganzen Haufen Auswirkungen, ökologisch, gesundheitlich, geographisch... Man kann die Effekte aus meiner Sicht aber in zwei Klassen gruppieren, was unseren Umgang damit angeht.
1/19
Zum einen gibt es da die quasi erdgeschichtlichen Auswirkungen. Die abschmelzenden Eiskappen, veränderte Küstenlinien, der Ozean wird sauer und so weiter. Also buchstäblich das Ende der Welt wie wir sie kennen. Das sind überwiegend mittel- bis langfristige Effekte.
2/19
Wir kennen aus der jüngeren Erdgeschichte Warmperioden mit CO2-konzentrationen, wie sie in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten Wahrscheinlich sind. Sie waren feuchter, mit höherem Meeresspiegel und sind gute Modelle für das zukünftige Klima.
3/19
pnas.org/doi/10.1073/pn…
Read 19 tweets
Nov 5
Morgen beginnt die Klimakonferenz #COP27. Ein Thread.
Eigentlich soll COP27 die nur fortsetzen, was auf der COP26 in Glasgow begonnen wurde. Aber daraus wird nix. V.a. wegen der #Energiekrise sind viele bei COP26 für 2022 zugesagte Klimaschutz-Verpflichtungen ausgeblieben.
1/11
Man tritt bei den Klimaschutzplänen der Staaten also, anders als erwartet, auf der Stelle. Und dann ist ja noch die Frage der Umsetzung, also welche Auswirkungen die Energiekrise auf schon gemachte Zusagen hat. Da sah es schon vorher in vielen Ländern nicht gut aus.
2/11
Das Problem ist auch, dass Unternehmen und Staaten sich ihren Klimakram schönrechnen. Wenn man mal die CO2-Reduktions-Erfolgsmeldungen mit dem CO2-Anstieg in der Atmosphäre abgleicht, drängt sich der Verdacht auf, dass es real gar keine nennenswerten CO2-Reduktionen gab.
3/11
Read 11 tweets
Oct 29
OK, ein Thread über die #Zombie-Tauben. 🎃🕊🧟‍♂️

Aus Großbritannien kursieren grad Meldungen über kranke Tauben mit grotesk verdrehten Hälsen und anderen Symptomen. Ursache ist wohl ein hochansteckendes Tauben-Paramyxovirus (PPMV).
1/6
news.de/panorama/85655…
Paramyxoviren sind eine große Gruppe von Viren, die Krankheiten auch beim Menschen verursachen. Dazu gehören u.a. Masern und Nipah. Einige dieser Viren können das Nervensystem befallen, zum Beispiel eben PPMV. Dadurch entstehen neurologische Symptome wie der verdrehte Hals.
2/6
PPMV ist jetzt nix Neues. Vermutlich handelt es sich hier um eine der Linien von PPMV-1, einfach weil das immer wieder mal solche Ausbrücke bei Tauben verursacht.
Im Agrarbereich kennt man das Ding bei Geflügel als Newcastle Disease und impft dagegen.
3/6

userwikis.fu-berlin.de/display/vetipe…
Read 6 tweets
Sep 6
OK, das ist jetzt der Punkt, an dem ich die Reißleine zieh. Die neu genommenen Werte ignorier ich einfach.

Das war echt der Höhepunkt heute.🙄 Letzte Woche haben sie ja bei mir die nach-Corona-Komplettdiagnostik gemacht. Also komplett komplett, von Lunge bis Kreislauf...
Heute sollte die Nachbesprechung der Befunde sein. Aber nee, als erstes schicken sie mich zum Blutabnehmen für die reguläre Kontrolle. Dann komm ich nach geraumer Zeit mal zu nem Arzt. Aber nicht der, der eigentlich die Nachbesprechung machen soll.
Nene, das war der ganz normale Dienstarzt, und der weiß gar nicht worum es geht. Begrüßt mich mit der Bemerkung, dass er meine Unterlagen gar nicht hat. Nachdem ich ihm also gesagt hab, wo er gucken muss, findet er zumindest Abstrich und Blutbild.
Read 14 tweets
Jul 13
OK, ein paar Worte zum Umgang mit #Corona und Veranstaltungen aller Art.

Aus meiner Sicht ist es nicht mehr sinnvoll, grundsätzlich alle Veranstaltungen und Treffen zu vermeiden. Ich mache das auch nicht mehr.
Es gibt dabei aber n paar Punkte, die nach wie vor wichtig sind.
1/11
Punkt 1: grundsätzlich will man den Kram im Zweifel nicht haben. Spaß macht es ohnehin nicht, und es haut u.a. im Herz-Kreislauf-System rein. Auch jenseits von LongCovid ist noch nicht klar, was da alles dranhängen kann.
2/11
Punkt 2: andererseits reden wir da über eher moderate Risiken. Die ganzen Szenarien z.B. mit extrem hohen LongCovid-Raten auch nach Reinfektionen oder Immunschwäche durch Corona basieren auf, sagenwirmal, eigenwilligen Interpretationen der Daten. Und ja, Impfungen schützen
3/11
Read 12 tweets
Jul 13
Viren sind seit Milliarden Jahren Teil des Lebens auf der Erde, und Organismen haben einen Haufen Methoden, damit umzugehen.
Ich hab gerade ein schönes neues Paper über antivirale Mechanismen in Zellen gefunden.
1/7
nature.com/articles/s4156…
Dabei baut die Zelle gezielt Bausteine der DNA ab, damit sich die Viren nicht vermehren können. Bakterien machen das, und menschliche Zellen machen das auch. Tatsächlich haben wir diverse antivirale Mechanismen, so dass wir keineswegs wehrlos sind.
2/7
Zum Beispiel haben Zellen spezielle Sensoren für virales Erbgut und stellen Proteine her, die zum Beispiel DNA-RNA-Hybride von Retroviren oder virale DNA während ihrer Verdoppelung zerstören. Andere Proteine verhindern, dass virales Erbgut überhaupt freigesetzt wird.
3/7
Read 7 tweets

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