Weil jetzt die Neuverfilmung von #imwestennichtsneues - die mit dem gleichnamigen Buch nicht allzuviel zu tun hat - große Resonanz findet, hier ein paar Hintergründe zu den Reaktionen auf Buch und Film 1918 bzw 1930.
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Erich Maria Remarques Buchvorlage erschien 1928. Der Autor war zu diesem Zeitpunkt ein weitgehend unbekannter Journalist, der literarisch nicht hervorgetreten war und bislang über Allerweltsthemen geschrieben hatte: Sport, Gesellschaft, Kulinarik, Hundezucht.
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E. M. Remarque
Obwohl schon zuvor kritische Romane über die brutale Realität des Krieges erschienen waren - etwa Georg von der Vrings "Der Soldat Suhren" (1927) - traf erst "Im Westen nichts Neues" einen Nerv - interessanterweise nicht nur in Deutschland.
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Remarques Werk wurde in 28 Sprachen übersetzt und fand auch in den alliierten Staaten ein Millionenpublikum. Skeptisch reagierte allerorts ob der drastischen Schilderungen vor allem das Militär. Insbesondere die Machtlosigkeit des Einzelnen angesichts der Materialschlacht
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wurde als "Gefahr für den Wehrwillen der Jugend" und als "Untergrabung der Soldatentugenden" betrachtet. Der österr Verteidigungsminister Carl Vaugoin gab Order, nähere Informationen zum Autor in Erfahrung zu bringen, da "die Vermutung nahe liegt, dass der unter dem Namen
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Remarx sich verbergende Verfasser Mitglied des marxistischen Militärverbandes" (der sozialdemokratischen Soldatengewerkschaft, Anm.) sei. Etliche Garnisonen verboten die Anschaffung des Buches für ihre Soldatenbibliotheken, die rechte Presse verriss das Buch nach Leibeskräften
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und der Philosoph Salomon Friedländer schrieb eine "satirische Demaskierung" unter dem Titel "Hat Erich Maria Remarque wirklich gelebt?", in der er Remarque als Taugenichts und verkrachte Existenz persiflierte. Hatte das Buch schon solche Aufregung provoziert 7/
war der hysterische Skandal, den das Erscheinen der in den USA produzierten Verfilmung 1930 auslöste, erwartbar gewesen. Die im Aufwind befindliche NSDAP ergriff dankbar die Gelegenheit, sich an die Spitze der "patriotischen Proteste" zu setzen.
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Bei der Premiere in Berlin kam es zu schweren Ausschreitungen durch SA und andere. In Österreich forderte ein breites Bündnis aus Nazis, Heimwehr u christlichsozialer Presse das Verbot des Filmes. Die Sozialdemokratie organisierte über ihre Kulturorganisation 9/
Berlin
die Premiere im parteieigenen (bis heute existierenden) Apollo-Kino, vor dem es zu Krawallen rechter Demonstranten kam. Diese dienten wiederum der Polizei als Vorwand, ihrerseits die Untersagung künftiger Vorführungen zu verlangen, "schon deshalb, weil wegen des 10/
Wien
notwendigen Wacheaufgebots bedeutende Mehrausgaben für den Staatssäckel" zu erwarten seien. Nach Verboten i d konservativ dominierten Bundesländern und einigen wenigen weiteren Aufführungen in Wien wurde der Film von d Bundesregierung schließlich für ganz Österreich verboten.
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Skurril war in Deutschland wie in Österreich, dass die Gegner von "Im Westen nichts Neues" nicht anzugeben vermochten, wo der Film Unwahrheiten verbreite oder, wie ihm dauernd öffentlich vorgeworfen wurde, die deutsche Soldatenehre beleidige.
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Die deutsche Filmoberprüfstelle begründete das Verbot des Filmes schließlich wegen "Gefährdung des dt Ansehens", damit, dass "es im Film unbestreitbar nur deutsche Soldaten seien die jammern und schreien, während die Franzosen schweigend im Stacheldraht sterben".
13/Schluss
*1928 sorry, Tippfehler
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"Des Todes billige Ware" hat Kurt Tucholsky einfache Soldaten genannt. Als ein besonders eindrückliches Beispiel unter vielen zeigt die Schlacht von Waterloo 1815: wir machen uns keine Vorstellung davon, wie billig diese Ware oft war.
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Die Schlacht von Waterloo, 15 Km von Brüssel entfernt, endete am 18. Juni 1815 mit der endgültigen Niederlage Napoleons. Sie kostete etwa 20.000 Menschen das Leben, über 30.000 wurden verwundet, was oft nur einen späteren, qualvollen Tod infolge von Infektionen bedeutete.
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Die Ausplünderung der Gefallenen begann unmittelbar nach den Kämpfen durch überlebende Soldaten, denen sich lokale Bevölkerung anschloss. Begehrt waren neben Wertgegenständen v.a Kleidung und Schuhe. Während rundum noch die Verwundeten schrien, zog man die Toten aus.
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Neben den Kellnern sind die wahren Wiener Autoritäten ja die Fleischhauer. Stehe bei "meinem" an. Hipster vor mir kauft zwei Kilo Schopf ohne Knochen. Ware wird vom stattlichen, gewiss über 70jährigen Meister mit verächtlichem Blick auf den Verkaufstisch geknallt.
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Meister mustert jungen Mann, der umständlich im Börsel kramt, herausfordernd: "Pulled Pork, gö?" Kunde, abwesend: "jojo". Fleischhauer wendet sich mit wegwerfender Geste mir zu. Ich: "3 Kilo Schopf bitte. Wenn'S mir die Knochen rausschneiden kö..." "San se a aner von denen?"
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Weist aufgebracht mit dem Kinn auf jungen Mann.
Ich: "Äh. Hm. Was?"
"So a Pulled Porker."
"Ah. Na. Klassisch".
Meister röhrt durch den ganzen Raum: "Na Gott sei Dank! A Normaler! Heit woarn scho fünf von denen da!" [deutet anklagend auf Vorkunden, der tut, als bekäme er
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Wenn man sich als Historiker mit schlimmen Dingen befasst, kann man sich oft denken: "Immerhin ist das vorbei". Manchmal geht das aber nicht so einfach.
Beispiel: das Armenwesen. Ein (langer) Thread.
Bis 1938 war das Armenwesen großteils Gemeindeangelegenheit. Abseits rot regierter Kommunen nach 1918 mussten Menschen peinlich genau ihre Bedürftigkeit nachweisen. Hilfe war Gnade, kein Recht der Armen. Es wurde erhebliche Energie darauf verwandt, ihnen das bewusst zu machen.
Für die Prüfung der Bedürftigkeit waren Armenräte zuständig: ehrenamtliche Gremien von Honoratioren, häufig unter fakt. Leitung des örtlichen Geistlichen. Sie beurteilten, ob Not durch Erwerbsunfähigkeit vorlag, u. v. a. auch, warum Betroffene nicht von Angehörigen
Weil am Holocaust-Gedenktag gerne mit Adorno-Zitaten um sich geworfen wird, gestatte ich mir einige Anmerkungen.
Anspruch auf besondere Originalität ist damit nicht verbunden, eher d Bemühen, der Reduktion hochpolitischer Thesen auf d Niveau v Kalendersprüchen entgegenzuwirken.
1. Faschismus ist f Adorno keine vergangene Angelegenheit: "Man spricht vom drohenden Rückfall in die Barbarei. Aber er droht nicht, sondern Auschwitz war er; Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, [..] fortdauern. Das ist das ganze Grauen."
2. Ein Antifaschismus, der allein auf Bildung vertraut, ist Adorno erkennbar suspekt: "Ich möchte [...] nachdrücklich betonen, daß die Wiederkehr oder Nichtwiederkehr des Faschismus im Entscheidenden keine psychologische, sondern eine gesellschaftliche Frage ist."
So kann man vom Habsburger Leopold I. (1640-1705) erzählen - und tut es in Österreich meist auch. Dabei gäbe es von dem Mann noch einiges mehr zu berichten.
Da wäre zunächst Leopolds Faible für höfischen Prunk. Unter seiner Regentschaft verdreifachte sich das Hofpersonal. Die Kosten des aufwändigen Hofstaates verfünffachten sich. Während Kaiser und Adel im Überfluss schwelgten, lebten die meisten UntertanInnen in bitterer Not.
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Ob Leopolds Landeskinder der Gedanke tröstete, dass ihr Regent Singspiele schrieb, während er Unsummen für Festlichkeiten und Repräsentationsbauten verpulverte? Ob es sie stolz machte, dass er allein die Hochzeit mit der eigenen Cousine (u zugleich Nichte) monatelang feierte?
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Der letzte Regent des Habsburgerreiches, Karl I., verzichtete heute vor 103 Jahren unter wütendem Protest seiner Frau Zita auf die Fortführung der Amtsgeschäfte.
Ein Thread über das schwierige Verhältnis d Republik Österreich zur ehemaligen Herrscherfamilie.
Bild: Karl I.
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Seinen Amtsverzicht verglich Karl "mit einem Scheck, welchen mit vielen tausend Kronen auszufüllen uns ein Straßenräuber mit vorgehaltenem Revolver zwingt." Der Schritt hatte va zwei Gründe:
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Bild: Schloss Eckartsau, das Refugium der kaiserlichen Familie im Herbst 1918.
1.) Karl sah keine Möglichkeit, seine Macht mit Gewalt durchzusetzen, weil die Armee sich in Auflösung befand 2.) hoffte er wohl auch, so nicht als Verantwortlicher für die Niederlage dazustehen, weil andere die schmachvollen Friedensverhandlungen würden führen müssen.
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