Florian Wenninger Profile picture
Leiter Institut für Historische Sozialforschung, Senior Research Fellow @univienna, forscht zu österreichischer Zeit- und Polizeigeschichte, hier privat.
Jun 18 5 tweets 2 min read
Während der eine Liberale - @krisenfrey - jüngst anregte, Menschenrechte endlich über Bord zu werfen, hält der andere - @OrtnerOnline - die Zeit für gekommen, auch ein bisserl Demokratiereduktion anzudenken.

Wird man doch noch sagen dürfen.

1/5 derpragmaticus.com/r/wahlkampfzeit Den Herren ist zugute zu halten, wie konsequent und offenherzig sie argumentieren. Mit Karl Kraus: da gibt's keine Würschtl! Die Frage wäre allenfalls, was man sich in den verantwortlichen Redaktionsstuben von Standard und Pragmaticus dachte, sowas zu publizieren. Then again..
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Jun 16 16 tweets 3 min read
Der Kommentar von @krisenfrey, den @a_sator und andere hier feiern, ist bestürzend.

Er geht von zwei grundfalschen Prämissen aus:

1. Annahme: Am grassierenden Rassismus sind die vielen Ausländer schuld. Weniger Ausländer - weniger Rassismus - weniger Rechtsextremismus.

1/ 2. Annahme: Menschenrechte begünstigen "irreguläre Migration", führen zu mehr Ausländern und geben Rechtsextremen Auftrieb. Daher müssen sie eingeschränkt werden. Menschenrechte werden also von einer zentralen Errungenschaft zur Bedrohung der Demokratie.

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Apr 18 8 tweets 2 min read
Heute vor 105 Jahren wurde der Adel in Österreich endgültig abgeschafft. Das entsprechende Gesetz war bereits am 3. April 1919 beschlossen worden. Am 18. 4. 1919 folgte dann die Durchführungsverordnung des zuständigen Innenministeriums.

Ein Thread

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Verboten wurde nunmehr:

- Das Führen des Zusatzes "von" im Namen
- die Verwendung sämtlicher Adelsprädikate und Ehrenworte ("Ritter", "Freiherr", "Erlaucht", "Durchlaucht" etc)
- Das Recht, Wappen (auch "bürgerliche") und Beinamen ("Edler" u. ä.) zu führen

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Mar 29 10 tweets 2 min read
Die Forderung nach einer Leitkultur ist ja vor allem eines: vage. Es braucht extra einen Expertenrat um sie auszuarbeiten, die angeblich tief eingewurzelte kulturelle Besonderheit, der sich alle anzupassen haben.

Ein Thread über eine interessante historische Parallele.

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In der Etablierungsphase des Austrofaschismus 1933/34 erfuhren die Begriffe "Vaterlandstreue" bzw "vaterländisch" eine gänzlich neue Aufladung. Gemeint war fortan nicht mehr nur ein Bekenntnis zum Staat Österreich oder zu dessen Verfassung.

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Feb 4 7 tweets 2 min read
Rette sich, wer kann! Der Kurier hat "zwei ausgewiesene Experten" zum "Mythos des Februar 1934" geladen: Historiker Kurt Bauer, dessen Buch über den Februar 34 eine klar anti-sozialdemokratische Schlagseite hat, und Alt-ÖVPler und Dollfuß-Apologet Andreas Khol.

Ein Thread
1/7 Image Wenig überraschend ist man sich - passenderweise in der politischen Akademie der ÖVP sitzend - durchwegs einig: die Polizei-Razzia in Linz, die am 12.2. auf bewaffnete Gegenwehr stieß, war keine Provokation, nein nein; "Austrofaschismus" ist ein "linker Kampfbegriff";

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Aug 17, 2023 7 tweets 2 min read
Nicht nur ist das Café Goldegg auf der Wieden eines der schönsten Jugendstil-Cafés Wiens, es hat auch eine bewegte Vergangenheit.

Ein Thread.

1/7 Image Im Februar 1934 wurde die Sozialdemokratie durch das austrofaschistische Regimes zerschlagen. Anders als die KPÖ hatte sich die Sozialdemokratie nicht auf die Illegalität vorbereitet. Immerhin gelang es, Teile des Parteivermögens rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.

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Aug 15, 2023 9 tweets 3 min read
Dorothy Counts war eine der ersten schwarzen SchülerInnen, die Zugang zu einer bis dahin rein weißen Schule in Charlotte, North Carolina, erstritten.

Die Fotos zeigen die Reaktionen der weißen Mitschülerschaft am ersten Schultag der damals 15jährigen im September 1957.

Thread Die Bilder des Verhöhntwerdens, das Dorothy erhobenen Hauptes ertrug, erregten in der US-Öffentlichkeit großes Aufsehen. Dabei zeigten die Fotos im Grunde den harmloseren Teil des Schultages: das Auto ihres Vaters, der sie zur Schule brachte, wurde von einem weißen Mob blockiert.
Jul 29, 2023 16 tweets 2 min read
Die aktuellen Vorgänge in Israel, zuvor in Ungarn oder der Türkei zeigen, wie verletzlich parlamentarische Demokratien besonders dann sind, wenn ihr Feind von innen kommt.

Ein Thread zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden aktueller und historischer autoritärer Regime.

1/16 In der Zwischenkriegszeit wurden zahlreiche europäische Demokratien liquidiert. Von Italien, über Griechenland oder Portugal bis Deutschland und Österreich. Auch damals brauchten Despotien scheinlegale Übergänge: Ernennung durch berufene Organe, Ermächtigungsgesetze, u. ä.

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Jun 6, 2023 14 tweets 2 min read
In den letzten Tagen reagierten Menschen, die mit der SPÖ nichts zu tun haben, verschiedentlich befremdet auf die Parteigrußformel "Freundschaft!".

Hier ein wenig historischen Kontext.

Thread.
#SPOE

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Noch bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war in der Sozialdemokratie der Gruß "Frei Heil" gängig. In unterschiedlichen Abwandlungen ("Berg Frei", "Ski Frei") stammte er ursprünglich aus der Arbeitersportbewegung. Seit den 1930ern war "Heil" aber zu stark NS-assoziiert.

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May 10, 2023 24 tweets 4 min read
Was rund um den unverantwortlichen Umgang des zuständigen Sozialministeriums mit der Causa Auslandsdienst bislang nicht vorkommt, ist die politische Dimension.

Ein (auch aufgrund persönlicher Betroffenheit ziemlich ausführlicher) Thread

tvthek.orf.at/profile/ZIB-1/…

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Den Verein Auslandsdienst gibt es überhaupt nur, weil es 1996/97 im Verein Gedenkdienst, dessen Gründer und Obmann Andreas Maislinger zuvor gewesen war, zu massiven Auseinandersetzungen gekommen war, die schließlich zu seiner Abwahl führten. zT ähnelten die Streitpunkte

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Feb 16, 2023 13 tweets 5 min read
Achtung Geschichtestudierende:
Diese Auseinandersetzung zwischen dem Sprecher des Verteidigungsministeriums @bundesheerbauer und Journalist @kappacherS ist ein Lehrbeispiel für kritische Quellenlektüre!

Ein Thread

1/12 Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Benennung des Fliegerhorstes in Langenlebarn. Es gibt Menschen - nicht zuletzt im #ÖBH - die sich fragen, ob der aktuelle Namensgeber, Godwin Brumowsky (1889-1936), tatsächlich ein geeignetes Vorbild für das heutige Militär ist.

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Feb 8, 2023 4 tweets 1 min read
So so. Im Keller der Polizeidirektion Innsbruck "tauchen Akten auf". Aus der Nazizeit, Gestapo, Berichte über Pogrome etc. Zwei Dinge sind bemerkenswert:

1. In Wirklichkeit taucht gar nix auf. Die Polizei wusste, dass Unterlagen da sind.

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tirol.orf.at/stories/319372… Wie das BMI haben die Landespolizeidirektionen aber einfach jahrzehntelang das Archivgesetz ignoriert und das Material rechtswidrig unter Verschluss gehalten.

2. Bemerkenswert neben der Spur auch die Reaktion des Innenministers.

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Jan 28, 2023 24 tweets 5 min read
Ich mache sonst nicht in Hitler-History. Aber über diese unscheinbare kleine Rahmenhandlung in der Wiedner Hauptstraße 37, an der ich regelmäßig vorbei komme, möcht ich schon lange was schreiben. Nun also:

Ein Thread.

1/ Image Im Jahr 1898 eröffnete hier Jakob Altenberg (1875-1944) ein Geschäft für Rahmung und Vergoldung. Altenberg war Sohn einer jüdischen Familie aus Galizien, der als junger Mann sein Glück in der Residenzstadt Wien suchte und zunächst fand, sowohl geschäftlich als auch privat.

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Dec 25, 2022 6 tweets 3 min read
Aus der Verbindung zweier großer Chicagoer Fleischdynastien ging Muriel Gardiner (1901-1985) als eine der reichsten Frauen des Planeten hervor. Sie kam in d 1930ern nach Österreich, um bei Sigmund Freud zu studieren. Hier begann eine äußerst ungewöhnliche Liebesgeschichte.

1/ Gardiner unterstützte nach der Errichtung der Dollfuß-Diktatur die in den Untergrund gedrängte Sozialdemokratie. Sie verliebte sich in deren Vorsitzenden, den aus ärmsten Verhältnissen stammenden Joseph Buttinger. Das Paar verließ Österreich nach dem "Anschluß" 1938.

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Dec 19, 2022 23 tweets 4 min read
Viel ist dieser Tage von der Migration nach Österreich die Rede, wenig von der (Arbeits)migration aus Österreich. Dabei beinhaltet die historisch gerade im 20. Jhd. ein paar recht überraschende Aspekte.

Ein (ziemlich langer) Thread

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Bis in d 1950er ist Österreich ein Netto-Auswanderungsland. Will heißen: es wandern mehr Menschen ab als zu. Besonders stark ist d Abwanderung aus wirtschaftl schwachen Gegenden, etwa d heutigen Burgenland, vor 1918 auch aus Galizien oder italienischen Regionen, va im Süden.

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Nov 12, 2022 14 tweets 4 min read
Weil jetzt die Neuverfilmung von #imwestennichtsneues - die mit dem gleichnamigen Buch nicht allzuviel zu tun hat - große Resonanz findet, hier ein paar Hintergründe zu den Reaktionen auf Buch und Film 1918 bzw 1930.

Thread

1/ Erich Maria Remarques Buchvorlage erschien 1928. Der Autor war zu diesem Zeitpunkt ein weitgehend unbekannter Journalist, der literarisch nicht hervorgetreten war und bislang über Allerweltsthemen geschrieben hatte: Sport, Gesellschaft, Kulinarik, Hundezucht.

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E. M. Remarque
Nov 6, 2022 14 tweets 3 min read
"Des Todes billige Ware" hat Kurt Tucholsky einfache Soldaten genannt. Als ein besonders eindrückliches Beispiel unter vielen zeigt die Schlacht von Waterloo 1815: wir machen uns keine Vorstellung davon, wie billig diese Ware oft war.

1/ Die Schlacht von Waterloo, 15 Km von Brüssel entfernt, endete am 18. Juni 1815 mit der endgültigen Niederlage Napoleons. Sie kostete etwa 20.000 Menschen das Leben, über 30.000 wurden verwundet, was oft nur einen späteren, qualvollen Tod infolge von Infektionen bedeutete.

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Apr 30, 2022 6 tweets 1 min read
Neben den Kellnern sind die wahren Wiener Autoritäten ja die Fleischhauer. Stehe bei "meinem" an. Hipster vor mir kauft zwei Kilo Schopf ohne Knochen. Ware wird vom stattlichen, gewiss über 70jährigen Meister mit verächtlichem Blick auf den Verkaufstisch geknallt.
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Meister mustert jungen Mann, der umständlich im Börsel kramt, herausfordernd: "Pulled Pork, gö?" Kunde, abwesend: "jojo". Fleischhauer wendet sich mit wegwerfender Geste mir zu. Ich: "3 Kilo Schopf bitte. Wenn'S mir die Knochen rausschneiden kö..." "San se a aner von denen?"
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Mar 19, 2022 21 tweets 4 min read
Wenn man sich als Historiker mit schlimmen Dingen befasst, kann man sich oft denken: "Immerhin ist das vorbei". Manchmal geht das aber nicht so einfach.

Beispiel: das Armenwesen. Ein (langer) Thread. Bis 1938 war das Armenwesen großteils Gemeindeangelegenheit. Abseits rot regierter Kommunen nach 1918 mussten Menschen peinlich genau ihre Bedürftigkeit nachweisen. Hilfe war Gnade, kein Recht der Armen. Es wurde erhebliche Energie darauf verwandt, ihnen das bewusst zu machen.
Jan 27, 2022 13 tweets 2 min read
Weil am Holocaust-Gedenktag gerne mit Adorno-Zitaten um sich geworfen wird, gestatte ich mir einige Anmerkungen.
Anspruch auf besondere Originalität ist damit nicht verbunden, eher d Bemühen, der Reduktion hochpolitischer Thesen auf d Niveau v Kalendersprüchen entgegenzuwirken. 1. Faschismus ist f Adorno keine vergangene Angelegenheit: "Man spricht vom drohenden Rückfall in die Barbarei. Aber er droht nicht, sondern Auschwitz war er; Barbarei besteht fort, solange die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, [..] fortdauern. Das ist das ganze Grauen."
Jan 9, 2022 17 tweets 3 min read
So kann man vom Habsburger Leopold I. (1640-1705) erzählen - und tut es in Österreich meist auch. Dabei gäbe es von dem Mann noch einiges mehr zu berichten.

Wenn auch etwas weniger Vorteilhaftes.

Ein Thread.

1/ Da wäre zunächst Leopolds Faible für höfischen Prunk. Unter seiner Regentschaft verdreifachte sich das Hofpersonal. Die Kosten des aufwändigen Hofstaates verfünffachten sich. Während Kaiser und Adel im Überfluss schwelgten, lebten die meisten UntertanInnen in bitterer Not.

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