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Nov 21 21 tweets 5 min read
Viele Menschen haben eine Meinung zu den Protestaktionen der @AufstandLastGen (ALG) – nur wenige scheren sich um die (politik-)wissenschaftliche Auseinandersetzung.

Ein Thread 🧵darüber, was wir wissen und was wir nicht wissen.
#LetzteGeneration
(1/x)
🔴Zunächst zu den theoretischen Hintergedanken der Aktionen:
➡️Es wird angenommen, dass es in der Bevölkerung (1.) ein grundlegendes Wissen um die Klimakrise & (2.) ein diffuses Problembewusstsein gibt, die Klimakrise politisch zu bekämpfen.
Während 2019 die Klimakrise auf der...
politischen Agenda an der Spitze stand, wurde sie zunehmend durch die Coronakrise und nun die Energiekrise von dort verdrängt.

➡️Die Ausgangslage ist ergo: Es gibt zwar eine diffuse Unterstützung in der Bevölkerung (public support) für Klimaschutz – aber mit Blick auf die...
öffentliche & politische Agenda werden knappe kognitive Aufmerksamkeitsressourcen (attention) derzeit durch andere "Probleme" besetzt.

➡️Daraus folgt nun die Zielsetzung: Die Klimakrise soll zurück auf die öffentliche und politische Entscheidungsagenda.
➡️Die gewählte Strategie: Ziviler Ungehorsam (ZU), also friedliche und symbolische Aktionen, die auf die Problematik aufmerksam machen, indem sie die Öffentlichkeit mit dem Problem konfrontieren und den Alltag stören. Wichtig: Es geht um "attention" – nicht um "support".
🔴Nun zur Einordnung:
➡️Wir wissen, dass es in den Umfragen – trotz Aktionen – weiterhin einen starken diffusen "Support" für Klimaschutz in der Öffentlichkeit gibt.
➡️Wir wissen NICHT, ob zukünftige Aktionen daran etwas ändern. FFF es hat geschafft, dieses diffuse Bewusstsein... ImageImage
in den Köpfen festzusetzen. Das ist der kleine, aber nicht unbeachtliche Erfolg von FFF.

➡️Wir wissen, dass die Aktionen von ALG auf breite Ablehnung in der Öffentlichkeit stoßen. Wir erinnern uns aber: das ist Teil der Strategie. Es geht um "attention" durch Stören, das... Image
erzeugt keine Gegenliebe.
➡️Wir wissen NICHT, ob sich das durch vermehrte Proteste oder veränderte Lagen ändert. Viele erfolgreiche ZU-Bewegungen wurden zu Beginn breit abgelehnt.
➡️Was wir aber wissen, ist, dass die Strategie zumindest aufgeht. Ohne den Aktionen hätten wir...
nicht die Debatte, die wir haben. Keine mehrseitigen Leitartikel, keine Titelseiten, keine Leserbriefe, keine Aktivisti in Talkshows, keine Äußerungen von PolitikerInnen und keine schlechten Witze von Gottschalk. Das Thema ist zurück auf der Diskussionsagenda – teilweise.
Viele wenden ein, ob tatsächlich nun übers Klima oder nur Aktionsformen gesprochen wird. Zweifelsohne wird oft nur über ZU gestritten, aber das kann man nicht ALG ankreiden. Es ist die reaktionäre Presse, die hier den Deutungskampf gewinnt. Dass wir nicht über die Forderungen...
sprechen, liegt am erfolgreichen Framing der konservativen Medien – und das wäre bei allen Protestformen so (vgl. "Schulschwänzer"-Streit). Das soll allerdings nun auch nicht heißen, dass die Kritik per so unberechtigt ist. Manche Aktionen setzen bessere Frames als andere,...
manche Aktionen (bzw. schlechte Kommunikation) machen es den konservativen Medien zu leicht, die Debatte zu diskreditieren.
➡️Das größte Problem: Wir wissen NICHT, ob die Grundannahmen tatsächlich stimmen und ob "attention" tatsächlich das alleinige Problem ist.
🔴 Das führt auch zur zentralen Kritik: Meinung!
➡️Die (1.) Annahme des diffusen "support" in der Bevölkerung erscheint zu schwach. Es gibt zweifelsohne das Problembewusstsein für die Klimakrise (2.), aber bei politischen Entscheidungen geht es um Entscheidung zwischen A und B.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es bei Entscheidungen zwischen Wohlstand und wirksamen Klimaschutz (bzw. kurz- vs. langfristig Wohlstand) zu wenig "support" für echten Klimaschutz in der #Verdrängungsgesellschaft gibt. Das ist ein riesiges Problem.
Es fehlt zudem v. a....
auch an politischen "support". Es gibt keine Partei, deren Führung wirksamen Klimaschutz derzeit in die Institutionen und damit auf die politische Agenda (nicht zu verwechseln mit der vorigen öffentlichen Diskussionsagenda) trägt. Hier gäbe es viel Handlungsbedarf.
➡️Daraus folgt: ZU der ALG erscheint zu eindimensional. Es gelingt das Thema auf die Diskussionsagenda ("attention") zu setzen, aber es scheitert, es auf die polit. Entscheidungsagenda zu bringen. Der Grund hierfür ist der fehlende politische "support" – und dieser fehlt, u. a.
weil der "support" in der Öffentlichkeit zu diffus ist. Die Lüge "Klima und Wirtschaft gingen zusammen" sitzt zu tief in den Köpfen. Die Lüge zu entlarven & den Gegensatz zu politisieren, das wäre DIE Aufgabe der moderaten Klimabewegung – aber die träumt immer noch zu sehr...
davon, die Menschen zu überzeugen, obgleich es eine Frage des Überredens ist. Die Menschen müssen mehr Angst vor der Klimakatastrophe als vor einer wirtschaftlichen Rezession haben. Dafür braucht m. E. einen "Klimapopulismus" (keinen diffusen, sondern radikalen "support").
🔴Fazit:
Ob die Aktionen der ALG zu diesem "Klimapopulismus" und "radical support" mittelfristig beitragen, wissen wir NICHT. Das wäre aber die Frage der Fragen.

Meinung:
Derzeit denke ich mit dem Fokus auf "attention" allein, der sich durch Habituation zunehmend abnutzt, noch nicht.

Besser als Internetaktivismus ist es aber zugestandenermaßen.

Ich denke, das größte Potenzial liegt kurzfristig in der populistischen Verteidigung von #Lützerath.

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Jun 6, 2021
Zur Wahl in Sachsen-Anhalt #ltwsa21:
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