Ich habe mir heute die erste Folge der neuen #Podcast-Reihe zum "Fall Lina E." angehört. Ich war zunächt skeptisch bzgl. des Wordings ("Bande", "Extremismus", "Linksterrorismus") für politische Gewalt in der Ankündigung. Was sind meine ersten Eindrücke? 1/11
Zunächst wird nachvollziehbar als Ausgangspunkt der Geschichte einer der Angriffe der "kriminellen Vereinigung", wie es laut Anklage gegenüber der vermeintlichen "Bande" nach § 129 heißt, gewählt. Ein Hinweis erfolgt, dass der Prozess gegen Lina E. eine Besonderheit sei. 2/11
Ein sehr wichtiger Punkt, da Prozesse gegen "linksextreme Gruppierungen" nach § 129 und 129a selten und seit den 1990er Jahren fast nicht stattfanden. Und hier folgt eine Stärke der ersten Folge. Anhand der Beschreibung des Prozess-Sicherheitsaufwandes wird eines deutlich: 3/11
Der Prozess gegen Lina E. folgt einer ermittlungstaktischen und juristischen Theatralik. Durch das hohe Sicherheitsaufkommen soll die Gefahr des "Linksextremismus" betont werden. Unzweifelhaft handelt es sich bei den vorgeworfenen Straftaten um schwere Gewalttaten. 4/11
Die Bühne des Prozesses bietet jedoch gerade auch den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit, die generelle Gefahr des "Linksextremismus" durch eine hohe Gefährdungseinschätzung zu betonen! Der Prozess und die Person Lina E. wird zu Recht als Projektionsfläche bezeichnet. 5/11
Sehr positiv finde ich, dass im Podcast deutlich gemacht wird, was es eigentlich bedeutet, wenn Ermittlungsbehörden nach § 129 ermitteln dürfen. Deutlich wird auch, dass der "Kniff" hinter dem § 129 ist, dass es nicht notwendig ist, eine Tatbeteiligung nachzuweisen. 6/11
Die Gründung einer "kriminellen Vereinigung" als "Rädelsführerin" reicht aus, um eine Strafe von bis zu 5 Jahren zu erhalten. Hier hätte ich mir noch mehr Kontext aus den 1970er-1980er Jahren gewünscht, als besonders häufig das scharfe Schwert des § 129(a) eingesetzt wurde. 7/11
Was unterscheidet eigentlich den Fall Lina E. von anderen Formen des militanten Linksradikalismus? Es ist insbesondere die vorgeworfene gezielte Ausübung politischer Gewalt gegen militante Rechstradikale, die exakt geplant und durchgeführt worden sei. 8/11
Hier setzt der Podcast an: es wird gefragt, warum sich Personen radikalisieren und militantisieren, bis sie gezielt Angriffe gegen militante Rechtsradikale durchführen. Eine, wie ich finde, sehr wichtige Frage, die viel über den gesellschaftlichen Kontext der Taten aussagt. 8/11
Darüber hinaus fragt der Podcast auch, warum Lina E. im linksradikalen bis linksmilitanten Milieus und in Leipzig so viel Zuspruch und Solidarität erfährt. Eine sehr spannende Frage, die zunächst eher oberflächlich behandelt wird. Lina E. war eben Teil der Leipziger Szene. 9/11
Kritisch hinterfragt wird die These der Anklage, dass die Radikalisierung von Lina E. maßgeblich durch die Beziehung zu Johann G. "ausgelöst" wurde. Dieses Narrativ gab es bereits Ende der 1960er-Anfang der 1970er-Jahre im #RAF-Kontext und war damals als Erklärung beliebt. 10/11
Dieser Erklärungsansatz wird kritisch hinterfragt, was ich sehr gut finde. Insgesamt bleibt ein positiver erster Höreindruck zurück und ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht! Es folgen weitere vier Folgen, die ab Folge 3 hinter einer Paywall sein werden. 11/11
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Die Einsetzung und die Arbeit der israelisch-deutschen Historiker:innenkommission hat das Potenzial, eine Mauer des Schweigens und der Nichtaufarbeitung politischer Gewalt in der Bundesrepublik einzureißen. Was meine ich damit? #twitterstorians 1/10
Alle politischen Ebenen in der Bundesrepublik Deutschland haben über die letzten Jahrzehnte hinweg häufig keinen Willen dazu bewiesen oder waren nicht dazu in der Lage, Geschädigten und Hinterbliebenen von politischer Gewalt Antworten auf ihre drängenden Fragen zu geben. 2/10
Die Aufklärungsquote von politischen Gewalttaten in der Bundesrepublik, das wurde schon mehrfach festgestellt, ist niedrig. Das gilt insbesondere für die juristische Aufarbeitung und Aufklärung von politischen Morden, Attentaten und Anschlägen. 3/10