Thread by @ybessal

Angeregt durch einen Tweet von @gepardtatze zur aufkommenden Diskussion über die Wehrpflicht möchte ich versuchen einfach ein bisschen persönliche Sicht in die Diskussion zu bringen. Ich bin Soldat (früher aktiv, heute Reservist) und habe die Wehrpflicht erlebt. /2 #Wehrpflicht

Ich habe als Abschnittsleiter (vergleichbar mit Zugführer beim Heer) rund 200 junge Männer "betreut", die Hälfte davon hat sich weiterverpflichtet, vielen davon haben sich erst dadurch Perspektiven entwickelt. Mit einer großen Zahl habe ich bis heute freundschaftlichen Kontakt./3

Vorab: Ich habe aus dieser Zeit mitgenommen, dass ich höchsten Respekt vor jedem habe, der Zivildienst geleistet hat und weiß, dass der Job dort oft schwerer war, als es jede Wehrpflicht sein wird und dass die Leistung für die Gesellschaft nicht hoch genug bewertet werden kann /4

Ich war aber nun mal Soldat und wurde irgendwann Abschnittsleiter (ist sowas wie Zugführer beim Heer) mit überwiegend Wehrpflichtigen, Mein Abschnitt hatte 50 Mann. Ergänzung: Meine Kinder sind in einem Alter, wo sie wehrpflichtig wären oder es vor kurzem gewesen wären. /5

In meinem Abschnitt befanden sich überwiegen junge Männer, die nun nicht gerade rosige Zukunftsaussichten hatten (Es waren 11er, Insider werden das einordnen können), es waren überwiegend Haupt- und Realschüler, fast keine Abiturienten, wenige mit Ausbildung /6

Ich selbst war fertig studiert und ausgebildet, stamme aus eine Militärfamilie und eigentlich nur 3-6 Jahre älter als meine „Untergebenen“. Ich hatte aber andere Perspektiven und die Möglichkeit auf diese Menschen einzuwirken. /7

Nun ist es spezifisch für die Marine, dass man in Seezeiten viel Zeit miteinander verbringt, wir haben bei den Einsätzen und Fahrten zum Teil viele Monate miteinander verbracht (24/7) und während der Brückenwachen auf dem Atlantik viele Stunden Zeit gehabt miteinander zu reden /8

Allein die Erweiterung der Erlebnishorizontes war für viele der jungen Männer prägend. Manch einer war noch nie aus Klein-Bottrop rausgekommen. Wir standen z.B. nachts zusammen in einem norwegischen Fjord fahrend mitten im Winter bei Dunkelheit /9

Stahlflechter, Betonbauer, Hauptschüler, Maurer oder Schüler ohne Ausbildung standen neben mir, den Kopf im Nacken, Mund offen und haben das erste Mal im Leben Nordlicht gesehen und sagten: Da leben die Norweger hier tagaus/tagein und wissen gar nicht wie schön sie es haben. /10

Da waren Typen dabei, für die bisher „Auf die Fresse hauen“ normale Form der Kommunikation war. Die wurden auf einmal die sanftesten Schäfchen, die man sich vorstellen kann. Allein diese Erlebnisse hat mit diesen Jungs was gemacht /11

Wir haben in den vielen Stunden gerade der Brückenwachen viel miteinander geredet, ich habe mir immer Zeit genommen, ich habe mir die Probleme angehört und die Sorgen und wir haben nach Lösungen gesucht, manchmal gab es keine, aber oft haben wir welche gefunden. /12

Manche Lösung bestand daraus einfach den Schubs zu geben sich was zu trauen, manchmal sich weiter zu verpflichten, um danach die Berufsförderung zu nutzen. Manchmal reichte es aus einfach zu sagen: Du machst es gut und richtig, geh Deinen Weg. /13

Fast alle, die dann wieder von Bord gingen, waren daran gewachsen, haben etwas für sich mitgenommen, sind erwachsener geworden und haben positiv in die Zukunft geblickt. Ich bin selbst heute noch mit einigen in gutem Kontakt /14

Betrachte ich die Generation meiner Kinder, die nach der Schule oft komplett überfordert sind mit der Lebenswirklichkeit, komme ich zu der Überzeugung, dass eine gewissen Dienstpflicht vielen sehr gut tun würde (muss gar nicht Militär sein). /15

Pauschal eine "Dienstpflicht" abzulehnen, weil sie ein Eingriff in die persönliche Freiheit sei, halte ich für einen Fehler, oft genug ist sie auch eine Chance.