Seit Jahresbeginn haben sich 3 Strafgefangene in Berliner JVAs das Leben genommen. Das ist furchtbar traurig. Skandalös hingegen ist: 2 von ihnen saßen nur, weil sie eine Geldstrafe nicht zahlen konnten. 1/
Der eine hatte 360 Tagessätze Geldstrafe abzusitzen in der JVA Plötzensee. An seinem 5. Hafttag tötete er sich. Der andere war schon seit 10 Wochen in Haft, jetzt hatte er noch 20 weitere Wochen vor sich. Es ging u.a. um Leistungserschleichung. 2/
Das bedeutet: Die von der Ampel geplante Minimalreform, die Dauer so einer sog. #Ersatzfreiheitsstrafe nur zu halbieren, hätte beide Fälle nicht verhindert. Suizide finden fast immer am Anfang der Haft statt, der „Haftschock“ ist da besonders groß. 3/
Um derart sinnloses Leid zu verringern, wäre es dringend nötig zu verhindern, dass Menschen *überhaupt* in Ersatzfreiheitsstrafe kommen, wenn sie nur mit einer Geldstrafe überfordert sind. Das macht in *jedem* Fall etwas kaputt in ihrer Biografie. 4/
Schon das geltende Recht böte theor. Möglichkeiten, dass Richter*innen hier humane Lösungen vereinbaren - Ratenzahlung zB oder langfristiger Zahlungsaufschub. Aber leider bekommen gerade die Ärmsten oft keinen Richter zu Gesicht. 5/
Stattdessen läuft die Verfolgung von Bagatellkriminalität inzwischen meist rein brieflich - über „Strafbefehle“, die in Briefkästen landen, ungeöffnet liegen bleiben, rechtskräftig werden. Genauso wie Mahnungen, Hilfsangebote… nicht Adressaten-gerecht. 6/
Menschen, die unter psych. Krankheiten leiden, desolate Zustände, Sucht: Sie haben so keine Chance, gehört zu werden. Und auch kaum Chancen, statt Geldstrafe Arbeitsstunden zu leisten. Hier ist das Gesetz derzeit brutal unflexibel, es kennt als Lösung für sie nur: Knast. 7/
📷: Regina Schmeken
• • •
Missing some Tweet in this thread? You can try to
force a refresh
Das ist Hayri T., 42 Jahre alt, Vater von zwei Kindern. Er sitzt in Berlin im Gefängnis, weil er eine Geldstrafe nicht bezahlen kann. Wie das? 🧵
Sein Vergehen: Er ist auf seinem Fahrrad mit einem Krankenwagen zusammengestoßen, in der Nacht, betrunken. Der Krankenwagen hatte dann eine Beule, drei Tage Werkstatt. Betriebswirtschaftlicher Schaden: 2000 Euro.
Trunkenheit im Verkehr, sagte das Gericht, deshalb hat Hayri T. 100 Tagessätze Geldstrafe zu bezahlen, das sind noch mal 1500 Euro.
Noch mal ein genauer Blick auf den überraschend verschärften 130 Abs.5 StGB (#Volksverhetzung): Es geht jetzt um Leugnung ALLER Kriegsverbrechen und Genozide weltweit und zwar in ALLEN Jahrhunderten. Gesetzesbegründung aus dem @bmj_bund besagt: keine historische Beschränkung. 1/3
Das erfasst Maos „großen Sprung nach vorne“ mit Millionen Toten theoretisch genauso wie Hungerkampagnen Stalins, Kolonialverbrechen in Afrika oder Indien… Wenn über historische Bewertung diskutiert wird, kann sich künftig in all diesen Fällen die deutsche Justiz einschalten. 2/3
Bemerkenswert. Geschichtspolitik ex cathedra. Ich frage mich, ob man sich das gut überlegt hat. Und ob das juristische Korrektiv, wonach eine Leugnung nur bei „Eignung“ zur „Gefährdung des öffentlichen Friedens“ in Deutschland strafbar sein soll, wirklich ausreicht. 3/3
Kritik an der von @MarcoBuschmann vorgeschlagenen Halbierung der #Ersatzfreiheitsstrafe kommt jetzt aus unerwarteter Richtung. Voilà: die Gefängnisdirektoren. Selbst sie erläutern, warum diese Reform nicht weit genug gehe. 🧵
Die Vereinigung der Gefängnisdirektoren heißt "Bundesvereinigung der Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter", sie hat jetzt eine Stellungnahme zum Referentenentwurf des @bmj_bund an das Ministerium übersandt.
Kurz gesagt, man muss dafür sorgen, dass künftig *weniger* Menschen wegen einer nicht gezahlten Geldstrafe in Haft kommen. Nicht bloß dafür, dass diese Menschen künftig schneller durchgeschleust werden.
Hunderte rechtextremer Fake Accounts führt der #Verfassungsschutz inzwischen.
„Das ist die Zukunft der Informationsbeschaffung“, sagt ein Leiter eines Landesamts für Verfassungsschutz.
Kleiner Recherche-🧵
Viele Rechtsradikale ahnen wahrscheinlich gar nicht, hinter wie vielen Accounts in ihren Chatgruppen bereits Agenten stecken, die unter einer „Legende“ posten. In solche „virtuellen Agenten“ hat der Geheimdienst seit 2019 massiv investiert.
Anlass war damals der Mord an Walter Lübcke. „Wir sollen mitschwimmen“, hat mir eine Agentin erzählt, die jetzt seit einem Jahr Fake Accounts führt, „gucken, was die anderen machen.“ Und, das ist das Besondere: auch selbst ein bisschen rechtsradikal spielen.
Das ist Benno S., inhaftiert in Berlin, weil er seine Geldstrafe nicht bezahlen kann.
Warum macht er dann nicht einfach Sozialstunden? Es MUSS doch keiner wegen ein paar Euro Strafe, die er als Hartz-IV-Empfänger nicht leisten kann, in den Knast!?
Thread 🪡
Antwort: Das darf er nicht. Er ist 63 Jahre alt, davon hat er 17 Jahre in Psychiatrien verbracht. Laut Gutachten des Jobcenters ist er zu null Prozent arbeitsfähig.
Menschen wie er, die wegen Zahlungsunfähigkeit inhaftiert werden, kommen heute zu 40 Prozent aus der Obdachlosigkeit. Zwei Drittel von ihnen sind abhängig von Alkohol oder Drogen.
Ich mag Avitall Gerstetter. Sie ist die Kantorin der @NeueSynagogeBLN in der Oranienburger Str., erste Frau in diesem Amt in Deutschland, eine sehr individuelle Sängerin. Aber was sie da in der @Welt schreibt an Verächtlichkeiten über Konvertiten zum Judentum, geht gar nicht. 1/
Aufhänger ist Avitalls Entsetzen über den Fall Walter Homolka, über den jüngst zuerst die @welt berichtete. Zum Hintergrund: Homolka ist der Rabbiner, gegen den derzeit Ermittlungen laufen, weil er Rabbinatsstudenten sexuell bedrängt haben soll. 2/
Avitall weist nun darauf hin: Homolka ist, was eigtl. wenig zur Sache tut, Konvertit. Das ist nicht selten im deutschen Judentum. Der langjährige Generalsekretär des @ZentralratJuden, @Stjkramer, ist auch Konvertit. Die Rabbinerin Gesa Ederberg von der @NeueSynagogeBLN auch. 3/