Achtung Geschichtestudierende:
Diese Auseinandersetzung zwischen dem Sprecher des Verteidigungsministeriums @bundesheerbauer und Journalist @kappacherS ist ein Lehrbeispiel für kritische Quellenlektüre!

Ein Thread

1/12
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Benennung des Fliegerhorstes in Langenlebarn. Es gibt Menschen - nicht zuletzt im #ÖBH - die sich fragen, ob der aktuelle Namensgeber, Godwin Brumowsky (1889-1936), tatsächlich ein geeignetes Vorbild für das heutige Militär ist.

2/12
Brumowsky war nämlich nicht nur ein erfolgreicher Kampfflieger des 1. Weltkrieges, sondern im Februar 1934 auch aktiv an der militärischen Durchsetzung des Staatsstreiches unter Dollfuss beteiligt: er nahm zeitgenössischen Quellen zufolge einen Wiener Gemeindebau unter Feuer.

3/
Die entsprechenden Belege sind seit langem bekannt. @bundesheerbauer, Sprecher des Verteidigungsministeriums, behauptet dessen ungeachtet: alles kein Problem! Expert:innen hätten sich die Sache angesehen und nichts gefunden, das eine Umbenennung rechtfertige.

4/12
@skappacher interviewt daraufhin den Vorsitzenden der militärhist. Denkmalkommission, den renommierten Grazer Historiker Dieter A. Binder. Der sagt: Brumowski sei durchaus problematisch, die Kommission habe den Fall aber auf Wunsch des Ministeriums auf sich beruhen lassen.

5/
Kappacher fasst den Sachverhalt daraufhin zusammen: Das Ministerium habe die Umbenennung "hintertrieben". "Hintertreiben" bedeutet laut Duden, es "heimlich und mit zweifelhaften oder unlauteren Mitteln darauf anlegen, dass etwas nicht zur Ausführung gelangt".

6/12
Empfehlungen der Kommission sind nicht öffentlich. Auch das Drängen des BMLV, die Kommission möge die Sache auf sich beruhen lassen, wird kaum schriftlich erfolgt sein. Man kann also durchaus sagen, dass das BMLV es "heimlich" darauf anlegte, dass es zu keiner Umbenennung kam.
7/
Im Nachhinein ermöglichte es diese Intransparenz @bundesheerbauer zudem, entgegen den Angaben des Kommissionsvorsitzenden zu behaupten, die Kommission habe „keine Beweise gefunden, die eine Umbenennung rechtfertigen würden“.

8/12
Konfrontiert mit diesem Widerspruch reagiert der Ressortsprecher keck. Denn natürlich steht im Protokoll nicht: "XY hat angerufen, wir sollen bitte Ruhe geben". Festgehalten ist lediglich das Ergebnis der Intervention: "Vorerst keine Änderungen".

9/12
@bundesheerbauer postet also einen Auszug des Protokolls, wo nur steht: "Vorerst keine Änderung". Ganz so, als sei das ein Beleg für seine Behauptungen, die Kommission habe weder etwas gefunden das eine Umbenennung erfordere, noch habe das BMLV eine solche hintertrieben.
Natürlich könnte @bundesheerbauer auch behaupten, der Vorsitzende der Denkmalkommission, Prof. Dieter A. Binder, habe die Unwahrheit gesagt. Wer Binder kennt, weiß aber, dass der bei sowas keinen Spaß versteht. Dann schon lieber Desinformation auf Twitter.

11/12
Notabene also: der Quellenkontext ist von zentraler Bedeutung. Nur durch die Verknüpfung unterschiedlicher Quellenstränge lässt sich oft entziffern, was zwischen den Zeilen steht. Man ist zudem gut beraten, das Eigeninteresse von Akteuren in Rechnung zu stellen.

12/12
*@kappacherS, sorry!

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Feb 8
So so. Im Keller der Polizeidirektion Innsbruck "tauchen Akten auf". Aus der Nazizeit, Gestapo, Berichte über Pogrome etc. Zwei Dinge sind bemerkenswert:

1. In Wirklichkeit taucht gar nix auf. Die Polizei wusste, dass Unterlagen da sind.

1/4
tirol.orf.at/stories/319372…
Wie das BMI haben die Landespolizeidirektionen aber einfach jahrzehntelang das Archivgesetz ignoriert und das Material rechtswidrig unter Verschluss gehalten.

2. Bemerkenswert neben der Spur auch die Reaktion des Innenministers.

2/4
Karner sagt über Akten, die die Involvierung der Exekutive in NS-Verbrechen belegen: "Es geht darum, alles, was passiert ist, aufzunehmen und daraus zu lernen. Nicht im Sinne einer Verurteilung, sondern im Sinne einer Aufarbeitung dieser Geschichte." Aha.

3/4
Read 4 tweets
Jan 28
Ich mache sonst nicht in Hitler-History. Aber über diese unscheinbare kleine Rahmenhandlung in der Wiedner Hauptstraße 37, an der ich regelmäßig vorbei komme, möcht ich schon lange was schreiben. Nun also:

Ein Thread.

1/ Image
Im Jahr 1898 eröffnete hier Jakob Altenberg (1875-1944) ein Geschäft für Rahmung und Vergoldung. Altenberg war Sohn einer jüdischen Familie aus Galizien, der als junger Mann sein Glück in der Residenzstadt Wien suchte und zunächst fand, sowohl geschäftlich als auch privat.

2/ Image
Jakob war in Wien mit der nichtjüdischen Wirtstochter Barbara Braumüller (1875-1944) liiert. Sie wurde 1901 schwanger, im Mai 1902 wurde der gemeinsame Sohn Jakob Albin ("Jacques", 1902-1956) als lediges Kind geboren.

3/
Read 24 tweets
Dec 25, 2022
Aus der Verbindung zweier großer Chicagoer Fleischdynastien ging Muriel Gardiner (1901-1985) als eine der reichsten Frauen des Planeten hervor. Sie kam in d 1930ern nach Österreich, um bei Sigmund Freud zu studieren. Hier begann eine äußerst ungewöhnliche Liebesgeschichte.

1/
Gardiner unterstützte nach der Errichtung der Dollfuß-Diktatur die in den Untergrund gedrängte Sozialdemokratie. Sie verliebte sich in deren Vorsitzenden, den aus ärmsten Verhältnissen stammenden Joseph Buttinger. Das Paar verließ Österreich nach dem "Anschluß" 1938.

2/
In den USA organisierten Buttinger und Gardiner die Fluchten zahlreicher NS-Verfolgten und unterstützten hunderte Emigrant:innen. Später machte Gardiner sich einen Namen als Psychoanalytikerin. Buttinger wurde währenddessen einer der prominentesten Vietnam-Experten der USA.

3/
Read 6 tweets
Dec 19, 2022
Viel ist dieser Tage von der Migration nach Österreich die Rede, wenig von der (Arbeits)migration aus Österreich. Dabei beinhaltet die historisch gerade im 20. Jhd. ein paar recht überraschende Aspekte.

Ein (ziemlich langer) Thread

1/
Bis in d 1950er ist Österreich ein Netto-Auswanderungsland. Will heißen: es wandern mehr Menschen ab als zu. Besonders stark ist d Abwanderung aus wirtschaftl schwachen Gegenden, etwa d heutigen Burgenland, vor 1918 auch aus Galizien oder italienischen Regionen, va im Süden.

2/
Im 18. Jhd ist Auswanderung ein großes Wagnis: für durchschnittl Menschen gibt es gerade in Binnenregionen kaum verlässliche Information über Zielländer, Routen u Perspektiven. Wer geht, geht eher aufs Geratewohl, schlägt sich unter massiven Gefahren in eine Hafenstadt durch.

3/
Read 23 tweets
Nov 12, 2022
Weil jetzt die Neuverfilmung von #imwestennichtsneues - die mit dem gleichnamigen Buch nicht allzuviel zu tun hat - große Resonanz findet, hier ein paar Hintergründe zu den Reaktionen auf Buch und Film 1918 bzw 1930.

Thread

1/
Erich Maria Remarques Buchvorlage erschien 1928. Der Autor war zu diesem Zeitpunkt ein weitgehend unbekannter Journalist, der literarisch nicht hervorgetreten war und bislang über Allerweltsthemen geschrieben hatte: Sport, Gesellschaft, Kulinarik, Hundezucht.

2/

E. M. Remarque
Obwohl schon zuvor kritische Romane über die brutale Realität des Krieges erschienen waren - etwa Georg von der Vrings "Der Soldat Suhren" (1927) - traf erst "Im Westen nichts Neues" einen Nerv - interessanterweise nicht nur in Deutschland.

3/
Read 14 tweets
Nov 6, 2022
"Des Todes billige Ware" hat Kurt Tucholsky einfache Soldaten genannt. Als ein besonders eindrückliches Beispiel unter vielen zeigt die Schlacht von Waterloo 1815: wir machen uns keine Vorstellung davon, wie billig diese Ware oft war.

1/
Die Schlacht von Waterloo, 15 Km von Brüssel entfernt, endete am 18. Juni 1815 mit der endgültigen Niederlage Napoleons. Sie kostete etwa 20.000 Menschen das Leben, über 30.000 wurden verwundet, was oft nur einen späteren, qualvollen Tod infolge von Infektionen bedeutete.

2/
Die Ausplünderung der Gefallenen begann unmittelbar nach den Kämpfen durch überlebende Soldaten, denen sich lokale Bevölkerung anschloss. Begehrt waren neben Wertgegenständen v.a Kleidung und Schuhe. Während rundum noch die Verwundeten schrien, zog man die Toten aus.

3/
Read 14 tweets

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