Thread by @VeroWendland

Weil es immer wieder kommt: der #SuperGAUThread. 🧵Die deutschen Kernkraftwerke werden verschrottet, aber eins hat die 🇩🇪Kerntechnik geschafft: sie hat sich einen Platz in der Alltagssprache erobert.
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#SuperGAU und #GAU sind neben #Kernschmelze Synonyme für alle möglichen maximalen Unannehmlichkeiten von „Kaffee aufs Hemd kurz vor dem Konferenzauftritt“ bis „Totalzusammenbruch des Finanzsystems“.
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Vor allem fällt aber eins auf: keine kerntechnische Fachperson verwendet den Begriff, dafür aber Grüne & AKW-Gegner umso mehr. Warum ist das so, und was sagen eigentlich die Fachleute, wenn sie von Unfällen und Störfällen sprechen?
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GAU, „größter anzunehmender Unfall“ war in der Anfangsphase der Reaktorsicherheits-Forschung eine schlechte deutsche Übersetzung des englischen Begriffs „maximum credible accident“, womit der *Auslegungsstörfall* gemeint war.
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Ein Auslegungsstörfall ist der schwerste Störfall, den die Anlage mit ihren Sicherheitssystemen beherrscht. „Beherrschen“ bedeutet, es werden alle 3 Schutzziele erreicht:
• Wärmetransport aus dem Reaktorkern/Kernkühlung
• Aktivitätsrückhaltung
• Unterkritikalität
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Wärmetransport bedeutet: die auch nach einer Notabschaltung des Reaktors in den Brennelementen produzierte Nachzerfallswärme kann zu einer Wärmesenke transportiert werden, ob nun passiv (zB im Naturumlauf) oder aktiv, zB unter Beteiligung v Nach/Zwischen-/Nebenkühlpumpen.
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Aktivitätsrückhaltung bedeutet: Radioaktive Stoffe werden nicht freigesetzt, zB infolge von Brennelementschäden.
Unterkritikalität bedeutet: die nukleare Kettenreaktion wird beendet und darf auch nicht selbsttätig wieder einsetzen.
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Das erreicht man durch Einfall/Einschießen der Steuerstäbe & durch Einspeisen von neutronen-absorbierender Borsäure.
Ein Beispiel für einen Auslegungsstörfall („GAU“) ist der vollständige Abriss einer Hauptkühlmittelleitung („2F-Bruch“),
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den die Anlage mit passiven & aktiven Notkühlsystemen beherrscht. Der „GAU“ ist also gar nicht das „Größte“, wie alle annehmen. Wegen dieser fehlenden Präzision wird die Begrifflichkeit von Fachleuten schon seit über 40 Jahren nicht mehr genutzt.
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In der Fachsprache heißt es:
• Auslegungsstörfall / design basis accident (alt: „GAU“)
• auslegungs-überschreitender Unfall / beyond design accident (alt: „Super-GAU“)
Der passiert, wenn die Anlage einen Störfallverlauf nicht beherrscht & Schutzziele gebrochen werden.
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Aber auch in diesem auslegungs-überschreitenden Bereich gibt es viele Maßnahmen, die eine Freisetzung nach draußen verhindern, zB Prozeduren der primär- & sekundärseitigen Druckentlastung & -bespeisung, gefilterte Druckentlastung des Containments…
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dh hier beschränkt sich, selbst im Falle der „Kernschmelze“, dh eines gravierenden Kernschadens, die Freisetzung radioaktiver Stoffe auf das Innere des Containments oder analoger Schutzstrukturen. Solche Maßnahmen nennt man auch anlageninternen Notfallschutz.
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Zur Einordnung & Meldung von Schadensereignissen gibt es die 8-stufige International Nuclear & Radiological Event Scale INES der IAEA. base.bund.de/DE/themen/kt/s…
0 = meldepflichtiges Ereignis geringer Sicherheitsrelevanz, 7 = großflächige Freisetzung wie in Tschernobyl.
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Die INES unterscheidet zwischen Ereignis, Störung, Störfall (ab Stufe 2) & Unfall (ab Stufe 4) , bei letzterem kommt es zur Freisetzung über das Anlagengelände hinaus. In der Fachdiskussion wird sie wg Ungenauigkeiten kritisiert, da sie anders als zB eine Erdbebenskala
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nicht zwischen Magnitude und Intensität des Umwelt-Impacts unterscheidet & keine rechnerischen Kriterien für das Verhältnis der Stufen untereinander bei der Größe der Freisetzung hat, etwa eine logarithmische Anordnung nach freigesetzter Aktivität.
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Dazu erschwert der Kriterienmix aus Relevanz für die Reaktoranlage, Schäden/Verletzungen bei Menschen & Aktivitätswert den Vergleich von Ereignissen oder führt zur Einstufung sehr verschiedenartiger Ereignisse in dieselbe Stufe.
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Ich kann davon ein Lied singen, als ich mal für meine Habil eine angeleitete Bewertung eines historischen Dampferzeuger-Störfalls aus der vor-INES-Zeit vornehmen wollte (der dann bei INES-3 landete)
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Daher wird vorgeschlagen, sie durch eine andere Metrik, zB eine Magnitudenskala, zu ersetzen, in der jede Stufe in einem definierten Verhältnis (eine Größenordnung) zur nächsten steht de.m.wikipedia.org/wiki/Nuclear_A…
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In der deutschen Debatte kommt erschwerend hinzu, dass - aus Unwissenheit oder mit agitatorischer Absicht - häufig „meldepflichtiges Ereignis ohne/mit geringer sicherheitstechnischer Relevanz“ (INES 0) als „Störfall“ (INES 2) bezeichnet wird.
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Ein ME ist aber grundsätzlich jedes Ereignis, das ein Sicherheitssystem beeinträchtigt. Daher gibt es sehr viele ME, die aber trotzdem INES 0 sind, da dank redundanter Auslegung die Sicherheitsfunktion des Systems erhalten bleibt:
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wenn zB in einem 🇩🇪Druckwasserreaktor bei einer Wiederkehrenden Prüfung eine Notkühlpumpe nicht startet, ist dank der Auslegung 4x50% (dh 2v4 Stränge Notkühlsystem reichen zur Störfallbeherrschung; es kann ein Strang wegen Reparatur unverfügbar sein,
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ein weiterer kann wegen Einzelfehlers ausfallen) die Sicherheitsfunktion verfügbar, die Anlage muss nicht vom Netz. Das ist der Vorteil einer sog. n+2-Auslegung (n = Anzahl der zur Störfallbeherrschung benötigten Systeme), die in 🇩🇪 & Osteuropa (3x100%) Standard ist.
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Nicht aber in Frankreich, wo wegen der n+1 Auslegung der älteren Anlagen im Reparaturfall eines Sicherheitssystem-Strangs das Abfahren der Gesamtanlage angesagt ist. Zu dem ME/Störfall!-Problem siehe auch: nuklearia.de/2019/01/06/kei…
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Σ: GAU & Super-GAU sind veraltet. Bei Aktivisti beliebt sind sie aus Gewohnheit & wg der negativen Assoziation des Gau-Worts. In einer seriösen Diskussion haben sie genausowenig was zu suchen wie eine Vertauschung von „meldepflichtiges Ereignis“ mit „Störfall“.
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