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Mar 3 23 tweets 4 min read
Service-Tweet: #MMT lässt sich nach Meinung einiger Kollegen nicht „anwenden”. Das ist und kann allerdings keine Kritik einer wissenschaftlichen Theorie sein. Theorien sind *immer* eine Beschreibung der Welt – sie lassen sich nicht „anwenden“.
In den Lehrbüchern ist beispielsweise von Staatsfinanzierung durch Steuern und Staatsanleihenerlöse die Rede. Diese Theorie lässt sich nicht „anwenden” – entweder sie beschreibt die Realität oder sie tut es nicht. Wenn sie es nicht tut, sollte eine andere Theorie gesucht werden.
Nach der MMT geben Staat Geld über ihre Zentralbank aus. Diese erzeugt bei Ausgaben neues Geld – eine „Finanzierung“ hat also politische, aber nicht technische Gründe. Die Zentralbank kann Geld nach Bedarf schöpfen, gemäß den jeweiligen Regeln des Geldsystems.
Das gilt auch für die Eurozone:
“As the sole issuer of euro-denominated central bank money, the Eurosystem will always be able to generate additional liquidity as needed,” Lagarde said
reuters.com/article/us-ecb…
Wir können also festhalten, dass sich die Theorie der „Staatsfinanzierung” empirisch nicht halten lässt. Zwar zieht die Bundesregierung Steuern ein, diese dienen aber nicht der „Staatsfinanzierung”. Das gleiche gilt für Staatsanleihen.
Die geldpolitischen Regeln der Eurozone zwingen die Regierungen der Mitgliedsstaaten, ihre jeweiligen Konten bei der Zentralbank am Ende des Tages in den positiven Bereich zu bringen. Dazu dienen Steuern und Staatsanleihen.
Ich habe noch keine MMT-„Kritik” gelesen, die auf dieser sachlichen Ebene Gegenargumente bringt und zeigt, wie „steuerfinanzierte“ und „schuldenfinanzierte” Staatsausgaben möglich sein sollen. Die Logik sagt, der Staat gibt erst neues Geld aus, welches *danach* ...
... über Steuern oder Staatsanleihenerlöse wieder zu ihm zurückfließt. Der Staat braucht nicht unser Geld, sondern er will für sein Geld von uns Arbeitsleistungen, Güter und Dienstleistungen bekommen. Diese Ressourcen sind begrenzt.
In einer Wirtschaft ist das Geld also theoretisch unbegrenzt vorhanden, die Ressourcen allerdings nicht. Wir müssen uns daher fragen, wer wie und wieviel Geld schöpfen können soll, damit das Gemeinwohl gefördert wird.
Die Sondervermögen der Bundesregierung haben glasklar gezeigt, dass Geld vorhanden ist, wenn der politische Wille vorhanden ist. Die Ausrede, es wäre kein Geld da, ist vorgeschoben. Die Schuldenbremse und andere Regeln sind Selbstbeschränkungen der Politik, ...
... welche jederzeit geändert werden können. Es sind dann diese politischen Regeln, die höhere Staatsausgaben verhindern und kein „Geldmangel”. Natürlich müssen die Ressourcen vorhanden sein, denn sonst kann das Geld nicht ausgegeben werden.
Aktuelle Lehrbücher der Makroökonomik sind mangelhaft, weil sie die Rolle des Staates als Schöpfer des Geldes ignorieren und diesen als schwäbische Hausfrau darstellen, der sich Geld leiht und Schulden zurückzahlen muss, was in der Realität nicht gegeben ist.
Solche Sätze hingegen haben keine Grundlage im heutigen Geldsystem:
„Entscheidend sind bei der Staatsverschuldung drei Faktoren: die Zinshöhe, das Wirtschaftswachstum und die Laufzeit der Schulden.”
zeit.de/wirtschaft/202…
Solange die Fiskalregeln der Eurozone ausgeschaltet sind und die EZB über Ankaufprogramme das Risiko bei den Staatsanleihen de facto auf Null reduziert, gibt es keine nominale Grenze der Staatsverschuldung für 🇩🇪. Nur dies erklärt, warum Griechenland mit ...
... Staatsschulden von über 210 Prozent des BIP im Jahr 2020 problemlos durch die Pandemie gesegelt ist. Von Staatsbankrott wie noch 2010 - bei etwa 130% Staatsverschuldung/BIP keine Spur. Die MMT lässt sich also ganz hervorragend anwenden, auch in der Eurozone.
17.000 Zugriffe und 19 Zitationen für unser Papier (mit Michael Paetz, Uni HH) zur Zukunft der Eurozone zeigt, dass es sehr viel Interesse an der MMT gibt und diese keineswegs „nicht anwendbar“ sei auf die Eurozone. link.springer.com/article/10.100…
„Nicht anwendbar” trifft hingegen zu auf die Theorien in den Lehrbüchern, in denen von Staatsfinanzierung die Rede ist, vom Geldmultiplikator und von den Banken als Intermediären, welche Ersparnisse weiterverleihen. Vgl. u.a. dieses Papier: tu-chemnitz.de/wirtschaft/vwl…
Die Realität hat deutlich gezeigt, dass staatliche Ausgaben nicht technisch beschränkt sind. Genau deswegen brauchen wir ja Wirtschaftspolitik, damit weder die Banken/Finanzmärkte aus dem Ruder laufen noch der Staat. Allerdings liegt der Fokus aktuell zu stark auf zu hohen ...
... Staatsausgaben, obwohl wir in der Eurozone permanent Massenarbeitslosigkeit haben. Private Schulden und Banken werden viel zu wenig thematisiert. Insofern kann die MMT helfen, den Fokus auf die richtigen Fragen zu lenken und den Einwand, ...
... es wäre kein Geld da, ein für allemal zu beseitigen. Der Staat also Schöpfer des Geldes - Euro - kann dieses über seine Zentralbank erzeugen. Politische Regeln (Schuldenbremse, Fiskalregeln) sind mit politischen Mehrheiten veränderbar und keine unüberwindbaren Hindernisse.
MMT hilft, die Diskussion zu führen, ob das Geldsystem in der aktuellen Ausgestaltung zu unseren gesellschaftlichen Defiziten passt. Dies gilt insbesondere für den Punkt sozial-ökologische Transformation, denn viele haben Angst vor Schulden und Steuererhöhungen. Mit MMT aber ...
... werden die Menschen verstehen, dass bei höheren Staatsausgaben nur diejenigen mehr Steuern zahlen müssen, die auch höhere Einkommen haben. Die kurzfristig höhere Staatsverschuldung ist harmlos, da der Staat problemlos an neues Geld kommt.
Niemand muss die MMT mit ihrer Bilanzsichtweise mögen, aber ihre „Anwendbarkeit” abzustreiten ist in etwa so wie die Ablehnung der Mathematik als Möglichkeit der Beschreibung von physikalischen Bedingungen.

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Mar 3
Lieber wissenschaftlicher Dienst, zur Modern Monetary Theory (#MMT) habe ich 2022 eine Einführung bei @Springernomics veröffentlicht. Da hättet ihr euch einiges an Arbeit sparen können! 😉 link.springer.com/book/10.1007/9…
@Springernomics "Bekanntester deutscher Vertreter der Theorie ist Dirk Ehnts, Vorstandssprecher der Samuel-Pufendorf-Gesellschaft für politische Ökonomie."

Danke für die 💐, aber warum erwähnt ihr meine MMT-Bücher gar nicht und nur einen einzigen Artikel? 🤔
bundestag.de/resource/blob/…
@Springernomics Immerhin ist der frei zugänglich: intereconomics.eu/contents/year/…
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Nov 8, 2022
Repeat after me:

There is no such thing as "fiscal space".

A federal government using its own money cannot run out of it, but it can run out of resources that its citizens are willing to sell to it. "Fiscal space" is confusing real capacity with monetary capacity.
Taxes hence do not automatically create "fiscal space", a.k.a. real capacity. When taxing the rich, for instance, no/little capacity will be freed since they will not react by lowering consumption or offering more labor.
On the other side, government spending can increase the amount of available resources and increase capacity going forward. Public investment in education for instance means that we can produce more with less in the future.
Read 6 tweets
Oct 2, 2022
Nur die Modern Monetary Theory (#MMT) erklärt, wie der Staat tatsächlich Ausgaben tätigt – nämlich über die Zentralbank. Die Politik kann dabei Ausgaben beschließen. Eine "Finanzierung" durch Steuern (Steuererhöhungen) oder Staatsanleihen gibt es nicht.

MMT ist Mainstream.
Es ist ganz deutlich, dass die 200 Mrd. € nicht durch Steuererhöhungen "finanziert" werden. Es gibt keine Steuererhöhungen und auch keine neuen Steuern.
Es ist auch nicht so, dass sich die Bundesregierung jetzt Geld "von den Finanzmärkten" leiht. Die für die Ausgabe von Staatsanleihen zuständig und hätte ja ankündigen müssen, dass jetzt 200 Mrd. € "geliehen" werden - das hat sie aber nicht getan.
deutsche-finanzagentur.de/fileadmin/user…
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Sep 30, 2022
“Angesichts der Zweifel, ob die Entlastungen für Verbraucher und Unternehmer finanzierbar sind, sank der Wechselkurs des britischen Pfund […] auf den tiefsten Stand seiner Geschichte.”

Kein Mensch zweifelt an der “Finanzierbarkeit”. BoE hat £-Monopol. sueddeutsche.de/wirtschaft/pfu…
Die @bankofengland kann mit neu geschöpften £ die Ausgaben der Regierung bestreiten. Bei Steuersenkungen gibt es aber keine Ausgaben zu tätigen und daher auch nicht zu “finanzieren”.
Wenn die Investoren denken würden, dass die britische Regierung nicht mehr zahlungsfähig ist, dann würden sie alle Staatsanleihen an die BoE verkaufen. Diese bezahlt wiederum mit Geldschöpfung.
Read 6 tweets
Sep 16, 2022
A short history of Eurozone interest and inflation rates. Thread. [1/n]
The Euro was introduced in 2002, exchange rates fixed in 1999. So, we have interest and inflation rates from 1999 onwards. From late 1999 the ECB raised interest rates, but inflation was steady at around two percent.
ecb.europa.eu/stats/policy_a…
The ECB reduced interest rates between summer 2001 and 2003. The inflation rate stayed stable at around two percent all the time. In late 2005, the ECB hiked rates again until Lehman Brother went bust in fall 2008. The inflation rate went up, not down. en.wikipedia.org/wiki/Bankruptc…
Read 9 tweets
Sep 5, 2022
'Der Stahlhersteller Arcelor Mittal will Ende September einen seiner beiden Hochöfen in Bremen "bis auf Weiteres" stilllegen.'

Hier sollte die Politik jetzt handeln. Es kann nicht sein, dass wir in 🇩🇪 nicht genug Stahl produzieren in diesen Zeiten.
weser-kurier.de/bremen/wirtsch…
Es ist ähnlich wie bei der Abhängigkeit vom russischen Erdgas unklug, sich bei Stahl abhängig von Importen zu machen. 🇩🇪 importiert den meisten Stahl aus Russland und China. Es gibt keinen "Freihandel" – Handel ist immer politisch.
stahl-online.de/startseite/sta…
Bau und Automobilindustrie verantworten mehr als die Hälfte des Stahlbedarfs in Deutschland. Engpässe in der Stahlversorgung würden zu Produktionsstopps in der Automobilindustrie führen mit entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigung.
stahl-online.de/startseite/sta…
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