Thread by @ardenthistorian

Es wäre ja mal an der Zeit, einen großen Artikel in einem deutschen Medium zu dem Motor hinter den Republikanischen anti-demokratischen Bestrebungen zu erscheinen zu lassen: Dem Weißen Christlichen Nationalismus. Ohne dieses Puzzlestück lässt sich nicht verstehen, was passiert.

Auch was die deutsche Außenpolitik angeht: ich wünschte, man würde das Ausmaß dessen verstehen, was auf uns zukommt. Das scheint bei vielen leider nicht der Fall zu sein. Vielleicht nicht immer die Expert*innen fragen, die in den letzten Jahren regelmäßig hart daneben lagen.

Es geht um eine breite Koalition über Denominationsgrenzen hinweg, die sich in den letzten Jahrzehnten formiert hat. Detailliert aufgeschrieben habe ich das in #AmerikasGotteskrieger. Es macht keinen Spaß, Kassandra zu sein. rowohlt.de/buch/annika-br…

Diese Entwicklung ist nicht plötzlich, der Radikalismus kam nicht erst mit Trump - das Fundament, die politische Infrastruktur waren lange vorher da. Weißer christlicher Nationalismus ist eine Ideologie von Blut und Boden, faschistisch im Kern, und legitimiert Gewalt.

Also, auch wenn ich in dieser Hinsicht pitch-müde geworden bin, auch wenn Redaktionen wenig Luft haben, Freie zu engagieren: wer einen Text dazu haben will, möge sich melden. Denn: Wer glaubt, all das hätte auf Deutschland keine Auswirkungen, wird ein böses Erwachen erleben.

Ich verstehe es wirklich nicht, diese Mentalität von „das hab ich ja noch nie gehört oder gelesen“ - ja, dann wärs vielleicht mal an der Zeit, Expert*innen zuzuhören. Ist ja auch für Zeitungen gut, über etwas als Erste zu berichten.

Es ist so frustrierend: man kann seine Position mit noch so vielen Quellen belegen, wenn es gegen das geht, was die klassischen zum Thema geladenen (meist männlichen, älteren) Gäste in Talkrunden sagen (die seit Jahren daneben liegen), gibt’s kaum eine Chance.

Währenddessen wird ein Martin durch die Feuilletons gereicht, der zwar gefährlichen Stuss erzählt, aber halt einen Professoren-Titel hat und allen versichert, es sei gar nicht so übel und der Feminismus sei zu weit gegangen - während eine internationale Rechte sich daran macht,..

…die Menschenrechte von Frauen, Schwangeren, LGBTQ Menschen, BPoC und allen, die nicht ihrem Bild des „echten Volks“ entsprechen massiv einzuschränken und sie zu unterdrücken.

Selbst mir, als von Hause aus pessimistischer Mensch, graut mittlerweile vor dem, was in den nächsten Jahren nicht nur auf die USA, sondern auch auf Deutschland zukommen kann - und ich fühle mich so hilflos wie lange nicht. Politik und Gesellschaft sind darauf nicht vorbereitet.

Als ich (und viele Kolleg*innen) davor warnten, dass das Ende von Roe erst der Anfang war, dass als Nächstes Verhütungsmittel, Same Sex und interracial Ehe gefährdet sind, Frauen und Schwangere sterben, dass LGBTQ Menschen in größter Gefahr sind, wurden wir alarmistisch genannt.

Selbst wenn viele Redaktionen sich damals verschätzt haben: Wieso dann jetzt nicht denen zuhören, die seit langem korrekt vorhergesagt haben, was passiert? Aus Bequemlichkeit? Weil man glaubt, wenn man die Augen zukneift, ist es nicht real?

Man kann von Journalist*innen nicht unbedingt erwarten, dass sie über tiefe (historische) Kenntnisse der (amerikanischen) Rechten verfügen. Aber: wer ohne Einordnung darüber schreibt, ohne Ahnung zu haben, handelt fahrlässig und arbeitet unwissentlich der Rechten zu.

Niemand erwartet von einem Newsroom eine extralange Einordnung. Aber: wenn ihr es nicht könnt (was ja völlig legitim ist) lasst es doch von denen leisten, die sich seit langem damit beschäftigen. Aber dazu braucht es das Eingeständnis, dass man nicht alles wissen kann.

Und: ja, ich erinnere mich an Redaktionsalltag, ich weiß, wie unangenehm und schwer es sein kann, als Redakteur*in für Texte zu kämpfen, die dem/der Chef*in vielleicht gegen den Strich gehen. Aber bitte, bitte: macht es. Denn an euch hängt es.

Kein/e Redakteur*in, auch keine, die sich thematisch mit den USA befasst, muss Expert*in für die Geschichte der amerikanischen Rechten sein. Das ist meistens auch nicht leistbar mit der Breite an Themen, die sie abdecken müssen. Aber dann sourced doch bitte out.

Und an dieser Stelle: ein großes Dankeschön an die Kolleg*innen, die dafür sorgen, dass das gemacht wird. Die gibt es nämlich auch, genau wie die, die sehen, was passiert. ❤️ Ohne euch hätt ich die Hoffnung längst aufgegeben.