Als ich in der 5./6. Klasse war, hatten wir diesen Lehrer. Sport/Englisch. Es gingen Gerüchte um, dass er im Sportunterricht gerne Hilfestellungen leistet, die über das erforderliche Maß hinausgingen. Alles sprach darüber, nichts passierte.
Im Englischunterricht war ich sein
Liebling. Natürlich wegen meiner guten Leistung. Nicht etwa, weil ich aus einem desolaten Elternhaus stammte und das perfekte Missbrauchsopfer war:
Von den Eltern nicht gut behandelt, arm, von den anderen Schülern nicht gemocht, weil seltsam angezogen und
auch sonst eher nerdig, war ich dankbar für seine Aufmerksamkeit. Kleine, am Rande des Geschehens zugeworfene Bemerkungen, über mein souveränes Englisch, meine Intelligenz, meine schöne Schrift. Atem in meinem Ohr, wenn er sichergehen wollte, dass ich auch alles verstanden habe.
Es fühlte sich seltsam an. Aber ich fühlte mich auch wichtig. Gesehen.
Er brachte mir Kassetten mit, U2, fürs Hörverstehen. Wollte sich über die Texte unterhalten. Erzählte mir von seiner großen Motorradtour, quer durch Amerika. Er könnte mich ja mitnehmen. Mir die Welt zeigen.
Natürlich müssten wir erst meine Eltern fragen. Wäre aber ja eine Art Bildungsreise. Ob ich nicht nachmittags mal vorbeikommen wolle?
Es war mein Glück, dass mir das dann spanisch vorkam. Ich wusste von den Gerüchten. Ich ging nicht hin.
Trotzdem erinnere ich sein Gesicht. Den
kleinen silbernen Ohrstecker. Den Oberlippenbart. Sobald ich "Harley", "Route 66" höre, oder auch U2 - ist er wieder da. Ein kleiner Gedankenblitz. Eine kleine Erinnerung. Ein großes "Schwein gehabt".
wenn ihr euch zum Thema Gewalt an Frauen, Missbrauch, #MeToo, #Lindemannn etc. äußert und uns wissen lasst: "Ich schäme mich für meine Geschlechtsgenossen. Ich verurteile das sehr", ist das nett gemeint, aber schlecht gemacht.
Es ist nicht genug!
1/x
Wir brauchen kein Mitleid.
Wir brauchen eine Veränderung.
Wir brauchen euren Trost nicht.
Wir brauchen eure Stimmen. Laut und deutlich.
Wann immer Missbrauch stattfindet, sexualisierte Gewalt stattfindet, sexuelle Belästigung stattfindet: Seid laut! Seid deutlich!
2/x
Wir brauchen eure Rache nicht.
Wir brauchen eurer Beispiel.
Behandelt Frauen mit Respekt. Immer. Die anziehenden. Die für euch unattraktiven. Die selbstbewussten. Die schüchternen. Und, natürlich, gerade die naiven. Egal.
Achtet unsere Grenzen.Und, bitte,denkt über eure
3/x
Ich hab drei kleine Mädchen. Sie sind mein ein und alles.
Meine Mädchen vertrauen mir. Die bleiben zuhause, weil ich gesagt habe, dass das wichtig ist.
Sie waren seit Wochen auf keinem Spielplatz, in keinem Schwimmbad oder Zoo. Klaglos.
Sie haben seit Wochen ihre Oma nicht mehr besucht. Seit Wochen kein Geschäft mehr von innen gesehen. Keinen Pudding ausgesucht, kein Fangen mit Freunden gespielt. Klaglos.
Meine Mädchen vertrauen mir.
Sie würden wieder in die Schule und den Kindergarten gehen, wenn ich sage, dass das richtig ist. Sie würden versuchen, Abstand zu halten von denen, die sie so lange vermisst haben. Ihre Hände waschen, noch öfter als jetzt.
Mein Mann arbeitet im Einzelhandel. Vermehrt hört man Menschen darüber sprechen, wie tapfer sie doch alle seien, die da bei Lidl, Aldi, Rewe & Co. an der Kasse sitzen oder die Regale auffüllen. Ich verrate euch was:
Sie sind es nicht.
THREAD
Zunächst einmal: In der öffentlichen Wahrnehmung reden wir hier von der „Kassiererin bei Aldi“ oder dem „Kassierer im Rewe“, dem „Mann an der Fleischtheke“ oder der „Käseverkäuferin“.
Niemand sieht mehr den Menschen, nur noch seine Funktion.
Würde man einen Blick hinter die Namensschildchen werfen, träfe man Monika, Sabine, Sven, Achmed, Fatima oder Nurhan. Man sähe Alleinerziehende, die irgendwie versuchen, alles unter einen Hut zu bringen oder Frührentner, die dringend dazuverdienen müssen.